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Verwüstet: Nach fremdenfeindlichen Ausschreitungen im Moskauer Außenbezirk Birjulewo ist ein von Migranten betriebener Großmarkt völlig verwüstet.
© AFP

Ausschreitungen in Russland: Eine Welle des Hasses

Fremdenfeindlichkeit ist in Russland weit verbreitet – auch unter vermeintlichen Liberalen. Der Hass dehnt sich aus in einem Land, in dem Polizisten illegale Einwanderer nur deshalb verfolgen, um sich von ihnen bezahlen zu lassen.

Es sind apokalyptische Szenen, die seit Tagen im russischen Internet kursieren: Amateurvideos dokumentieren Plünderungen und Vandalismus, Glas splittert, Sirenen heulen, Hassparolen dröhnen. „Bewaffnet euch, der Krieg beginnt!“, brüllt eine alte Frau in eine Handykamera, während hinter ihr Elitesoldaten und Randalierer durch die Moskauer Nacht jagen. Nach mehr als 1200 Festnahmen ist weiter keine Ruhe eingekehrt im Randbezirk Birjulewo, wo am vergangenen Donnerstag ein junger Russe erstochen wurde, dessen mutmaßlicher Mörder aus dem Kaukasus stammen soll.

Keineswegs nur kahlrasierte Nationalisten sind es, die seit dem Mord Pogromstimmung verbreiten, längst hat der Fremdenhass in Moskau die breite Bevölkerung erfasst. Auch Rentner und junge Mütter erklärten in den Tagen nach dem Verbrechen vor Fernsehkameras „die Fremden“ pauschal zu Kriminellen und Vergewaltigern, forderten Deportationen, verteidigten Gewaltexzesse als Akt der nationalen Selbstverteidigung.

Natürlich gibt es mehr als einen Grund für diese Welle des Hasses, die Russland überrollt. Da ist zum einen die verfehlte Einwanderungspolitik der Regierung: Schätzungsweise 2,5 Millionen Gastarbeiter aus den Ex-Sowjetrepubliken im Kaukasus und Zentralasien leben in der Hauptstadt, viele von ihnen illegal. Für die notorisch korrupte Polizei sind diese Menschen eine Einkommensquelle: Uniformierte machen Jagd auf Migranten, um sich statt gültiger Papiere Rubelscheine aushändigen zu lassen. Das Resultat dieser systematischen Förderung von Illegalität sind rechtsfreie Räume wie der Gemüsemarkt, der in Birjulewo den Hass der Bevölkerung auf sich zog: Ausländerghettos, in deren Umkreis sich Migranten zu Dutzenden winzige Elendsquartiere teilen, jeder staatlichen Kontrolle entzogen. Es sind Strukturen, die sich keine klar denkende Regierung wünschen kann, die aber fortbestehen, solange bestechliche Beamte daran verdienen. Völlig zu Recht hat die Bevölkerung Angst vor diesem explosivem Gemisch.

Davon aber, und das ist die vielleicht beunruhigendere Seite des Hasses, profitieren in Russland längst nicht mehr nur Ultrarechte wie der kremltreue Marionettenpolitiker Wladimir Schirinowski, der nach den Unruhen in Birjulewo wieder einmal forderte, Moskau müsse alle Fremden rauswerfen. Nein, auch der echte Putin-Gegner Alexej Nawalny, im Westen gerne als liberaler Systemkritiker gesehen, forderte in seinem Blog, die Anzahl der in Moskau lebenden Ausländer zu reduzieren und Kaukasier wie Zentralasiaten nur noch mit Visum einreisen zu lassen (was sie als Bürger von GUS-Ländern bisher nicht müssen).

Im Detail wären das vielleicht sogar diskutierbare Forderungen auf dem Weg zu einer kontrollierteren Einwanderungspolitik. Dass Nawalny jedoch kein Wort des Bedauerns über die fremdenfeindlichen Ausschreitungen verliert, sie implizit sogar als probates Mittel im Kampf gegen das korrupte Putin-Regime darstellt, muss jeden beunruhigen, der Russland Gutes wünscht.

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