Wes Andersons „Isle of Dogs“ im Kino: Tierische Widerstandskämpfer
Räudig und rebellisch: Wes Andersons kunstvoller Trickfilm „Isle of Dogs“ überzeugt mit Dialogwitz, Botschaft und Kläfferromantik.
Hunde? Ja, die sind auch ansehnlich. Besonders ihr struppiges Fell, durch dessen Fransen immer eine Brise zu ziehen scheint. Aber die Wölkchen, die sind reine Poesie. Staubwolken, Rauchwolken, Wuselwolken. Als implodierende Wattebäusche decken sie die Beißereien konkurrierender Hunde. Wie Tumbleweed im Western kugeln sie durch die verheerte Landschaft von Trash Island. Und als Ataris Flugzeug über der Müllinsel abstürzt, steigt ein graues Wollwirrsal auf. Wäre Wes Andersons „Isle of Dogs“ keine dystopische Allegorie auf die Herrschaftsmechanismen autoritärer Regime, man könnte ein ums andere Mal „entzückend“ rufen.
In der Tat schlägt der Märchenerzähler Wes Anderson, dessen Hunde-Saga in diesem Jahr zum zweiten Mal nach „Grand Budapest Hotel“ 2014 die Berlinale eröffnete (allerdings ohne wieder den „Silbernen Bären“ zu gewinnen), einen ungewohnt apokalyptischen Ton an. In der japanischen Stadt Megasaki regiert mit Bürgermeister Kobayashi ein Diktator übelster Sorte. Und seine pompös inszenierten Versammlungen wirken wie eine Kreuzung aus Nürnberger Reichsparteitag und chinesischer Volkskongress.
Um die Leute auf Linie zu halten, muss in jedem Regime ein Feind her und das sind in Andersons Japan zwanzig Jahre von heute die angeblich verseuchten, weil mit einer Grippe infizierten, Hunde. Schwupp, schon sitzt Spots der Leibwächter und beste Freund des Bürgermeister-Mündels Atari im Käfig, wird kaltherzig als „Dog Zero“ per Seilbahn übers Meer expediert und zwischen Müllwürfeln seinem Schicksal überlassen.
Wüster Look zwischen Fukushima und Lausitzer Tagebau
Das nimmt ein von Streuner Chief angeführtes Rudel von Alphahunden beherzt in die Hand, als sie den Bruchpiloten Atari auflesen. Der Zwölfjährige sorgt sich als einziger der treulosen Herrchen und Frauchen von Megasaki um seinen Vierbeiner. Gemeinsam gehen das Kind und die Tiere auf die abenteuerliche Suche nach Spots.
Und zwar in einer Landschaft, deren beeindruckend wüster Look zwischen Fukushima und Lausitzer Tagebau angesiedelt ist und weidlich Katastrophenfilmszenarios zitiert. Dass Andersons unverwechselbare Ästhetik prima mit Stop-Motion-Animation harmoniert, hat er 2010 bereits in „Der fantastische Mr. Fox“ gezeigt. Die Idee, sich zusätzlich zu den keineswegs nur possierlichen Fellträgern auch der japanischen Ikonografie zu bedienen, zündet jedoch eine weitere Stufe formalen Reichtums.
Anderson und seine Setdesigner Paul Harrod und Adam Stockhausen haben offensichtlich nicht nur jede Menge Mangas und Animes gesichtet, sondern von Akira Kurosawas Dramen über Ishiro Hondas Monsterfilmen bis zu den Holzschnitten von Katsushika Hokusai großflächig die Kulturgeschichte durchforstet. Das Ergebnis ist ein von dröhnenden Taiko-Trommeln eingeleiteter Augenschmaus, der grafisch bestrickend und unfassbar detailreich, fantasievoll und liebevoll ausgeführt ist. Der von Spaßbremsen und Puristen gern geäußerte Vorwurf, Andersons Welten seien manieriertes Kunsthandwerk, ist diesmal Quatsch: Nie war mehr Stop-Motion-Kunst als in „Isle of Dogs“. Dagegen sieht Tim Burtons Trickfilm-Meisterwerk „Frankenweenie“ reichlich schwarzweiß aus.
Selbst manipulierte Menschen brauchen Hoffnung
Dass die durch die Stimmen von Tilda Swinton, Bryan Cranston, Scarlett Johansson, Jeff Goldblum, Bill Murray und vielen anderen zum Leben erweckten Hunde auch tatsächlich Charaktere werden, ist das Verdienst von Andersons Drehbuch. Neben Dialogwitz, Sentiment und Botschaft, bietet es in der zarten Annäherung zwischen dem räudig-rebellischen Chief und der schönen Zirkushündin Nutmeg auch Kläfferromantik. Und weil selbst manipulierte Menschen Hoffnung brauchen, sind auch aufseiten der Zweibeiner ein paar Widerständler am Werke. Dass deren Anführerin nun ausgerechnet eine blondlockige, amerikanische Gastschülerin ist, mag etwas viel des Kulturaustauschs sein. Und auch die Nibelungen-Treue der domestizierten Haushunde könnten eine fantastische Volte vertragen. Geschenkt. „Isle of Dogs“ ist ein Wunderwerk, von dem (der sinnlichen Überforderung wegen?) nur buntes Gewölle im Gehirn bleibt.
In 15 Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, fsk, Hackesche Höfe, International, Kulturbrauerei, Odeon, Passage, OV: Sony Center, Delphi Lux, Rollberg
Gunda Bartels
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