Wes Andersons "Isle of Dogs": Berlinale-Eröffnungsfilm überzeugt mit Charme und Splatter
Eine sichere Bank zum Start: Der Animationsfilm „Isle of Dogs“ von Wes Anderson eröffnet den Wettbewerb der 68. Berlinale.
Walter White hat die Schnauze voll, könnte man sagen. Unwillkürlich denkt man bei den ersten Worten des Hundes Chief an den drogenkochenden Chemielehrer aus „Breaking Bad“. Cranstons granitraue Simme hatte schon in der Serie immer etwas Knurriges, wie das Grollen eines Straßenköters. Chief verfügt tatsächlich über street credibility. Von seinem Herrchen verstoßen, musste er sich von Abfällen ernähren, ein Hundeleben. Sein Überlebenswille prädestiniert ihn nicht nur nominell zum Anführer der Gruppe von Hunden, die in Wes Andersons Stop-Motion-Film „Isle of Dogs“ auf einem Mülldepot vor der Küste von Megasaki City herum streunen.
Die Insel dient als Endlager für die Hunde der japanischen Metropole, die von einer Seuche befallen wurden. Der korrupte Bürgermeister verfügte ihre Deportation und verbannte als erstes den Wachhund Spots seines Adoptivsohns Atari. Der macht sich in einem Propellerflugzeug zur Mülldeponie auf, um seinen vierbeinigen Freund zu retten.
Einen Animationsfilm zur Eröffnung eines Festivals einzuladen, birgt immer gewisse Glamour-Risiken, aber Anderson hat auch für seinen zweiten Trickfilm nach „Fantastic Mr. Fox“ eine Reihe von Stars gewinnen können. Bill Murray, Edward Norton, Jeff Goldblum und Tilda Swinton komplettieren die Hundegang, die sich mit Atari auf die Suche nach Spots macht. Greta Gerwig spricht eine altkluge Austauschstudentin und Hundeaktivistin, die die Rettungsaktion für den Bürgermeistersohn in den Nachrichten verfolgt und Verschwörungstheorien über die Herkunft der Epidemie ausbrütet – eine typische Greta-Gerwig-Figur also. Ein Witz des Films besteht darin, dass die Eigenarten der Schauspielerinnen und Schauspieler in ihren animierten Figuren sicht- und hörbar bleiben. Das Vergnügen erschließt sich leider nur in der Originalfassung. Anderson ist hierin konsequent, auch die japanischen Figuren sprechen in ihrer Landessprache und sind nicht untertitelt.
Wes Andersons Filme funktionieren vor allem als Liebhaberobjekte
„Isle of Dogs“ ist eine Mischung aus Zukunftsdystopie und dem Kriegsfilm „Das dreckige Dutzend“,der Stoßtrupp an das andere Ende der Insel, wo ein Stamm kannibalistischer Hunde leben soll, führt durch eine desolate Industrielandschaft, die von Natur- und Umweltkatastrophen heimgesucht wurde. Ein Hauch von Fukushima durchweht die detailverliebten Kulissen des Films, Andersons nostalgischer Puppenhaus-Realismus lebt von solchen kleinen, morbiden Einlassungen: In „Isle of Dog“ blickt man unter anderem einem Sushi-Chef und einem Chirurgen bei der blutigen Arbeit über die Schulter, Entzücken und Splatter liegen stets nah beieinander.
Filme von Wes Anderson funktionieren vor allem als Liebhaberobjekte, man muss sich schon auf die ganz spezielle Welt einlassen, die der Regisseur mit seinem bewährten Team (am Drehbuch schrieben Jason Schwartzman und Roman Coppola mit, die Musik ist von Alexandre Desplat, das Design stammt von Adam Stockhausen) entwirft. Auch „Isle of Dog“ ist wieder ein kleines Gesamtkunstwerk mit einem Hang zum Kunsthandwerk. Der naive Stil der Kulissen ist japanischen Holzschnitten aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden, die Stop-Motion-Technik schlägt den Bogen vom digitalen zum analogen Kino. Kurosawas Samurai-Epen werden genauso zitiert wie Ozus Familendramen. Würde man Anderson Böses wollen, könnte man auch von kultureller Aneignung sprechen.
Glücklicherweise besitzt Andersons Film als Miniatur eines Gesellschaftsentwurfs einen gewinnenden Charme. Die Solidargemeinschaft von Mensch und Hund, die sich auch über die Sprachbarriere und soziale Schranken hinaus verständigen (einer der Hunde fraß früher das Dosenfutter, für das ein anderer Werbung machte), verfasst eine schöne Utopie. Zum Auftakt ist „Isle of Dog“ eine sichere Bank nach einigen schwächeren Eröffnungsfilmen in den vergangenen Jahren. Ein Crowdpleaser mit großen Namen und der Handschrift eines Autorenfilmers. Die Pflicht ist geglückt, nun beginnt die Kür.
16.2., 10.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast); 17.2., 10 Uhr (Haus der Berliner Festspiele) und 15.30 Uhr (Zoo-Palast)
Andreas Busche