Filmkritik: "The Grand Budapest Hotel": Auf nach Fantasistan!
Dieser Berlinale-Eröffnungsfilm knallt rein: Wes Anderson schafft in „The Grand Budapest Hotel“ ein bonbonbuntes Fantasie-Ungarn am Vorabend des Weltkrieges. Das schrammt knapp an der Überdosis vorbei - doch es gibt eine ganze Reihe edle Schauspieler, die den Film zum Genuss machen.
Festival-Eröffnungsfilme folgen eigenen Gesetzen. Wegen des nötigen Initial-Glamours auf dem roten Teppich braucht es in ihnen zunächst möglichst viele Stars. Zweitens prunken sie gern mit dem „Boah ey“-Effekt, schließlich sollen die geladenen Gala-Gäste, die übers Jahr nicht unbedingt viel Zeit fürs Kino haben, ordentlich staunen, was auf der großen Leinwand noch immer so geht. Drittens sollte der Film vor allem gute Laune machen, schließlich trifft man sich nach gehabtem Kulturkonsum gleich wieder – beim Empfang.
So gesehen ist Wes Anderson der ideale Filmfestivaleröffnungsregisseur. Vor zwei Jahren hat er in Cannes, mit „Moonrise Kingdom“, entsprechendes Talent auf das Vorzüglichste bewiesen – und sich nun für die Berlinale, man möchte fast sagen, auftragsgemäß selbst übertroffen. Seine Filme sind Märchen auf Speed: purer Augenschmaus, der vor lauter Verspieltheit und hibbeliger Mitteilungslust schon mal ins Augenpulvrige hinüberoszilliert. Stets auch versammelt Anderson, meist in jeweils kleinen Rollen, illustre Schauspieler – nicht weniger als ein Dutzend seiner Akteure schmückten am Donnerstag den roten Teppich. Und fröhlich, zumindest von umwerfendem Unterhaltungsbedürfnis geprägt, sind seine filmischen Panoptiken allemal.
Darüber hinaus besticht der 44-jährige Amerikaner, der mit „The Grand Budapest Hotel“ sein bereits achtes Werk vorlegt, mit einer unter Filmfestivaleröffnungsregisseuren weniger verbreiteten Qualität. Die Protagonisten seiner Fantasiewelten verzaubern Gelegenheitskinogänger ebenso wie Hardcore-Cineasten: Ob die derangierte Familie in „The Royal Tenenbaums“ (2002) oder die lustigen „Tiefseetaucher“ (2005), beide einst im Berlinale-Wettbewerb, ob das verirrte Brüder-Trio im psychedelisch illuminierten Indien des „Darjeeling Limited“ (2007) oder das reizend schrullige Ostküsten-Kinderliebespärchen in „Moonrise Kingdom“ (2012): Wes Andersons superbunte Spaßkanone beschießt unterschiedslos jedes Publikum.
"The Grand Budapest Hotel" ist wie immer andersonesk: Eine Welt wie in einer Schneekugel
Diesmal geht es in ein Gebirge wie für die Schneekugel erfunden, in ein durchgewirbeltes Zwischenkriegs-Ungarn namens Zubrowka. Mittendrin prangt das „Grand Budapest Hotel“, das in seiner verblassten Pracht mitsamt Badeanstalt an das so real existierende wie legendäre Budapester Hotel Gellért erinnert. In der kleinsten Dienstbotenkammer steigt regelmäßig der mysteriöse uralte Zero Moustafa (F. Murray Abraham) ab, der sich alsbald als der Hotelbesitzer zu erkennen gibt. Und eines Abends erzählt er im theaterhaften Rahmen des gewaltigen Speisesaals einem jungen Schriftsteller (Jude Law) seine Geschichte.
Vor ewigen Zeiten hat Zero Moustafa hier als Page (zum Knuddeln herzensgut: Tony Revolori) angefangen. Schnell wird der „Lobby Boy“ zum gelehrigen Zögling des Concierges Gustave (oberschnöselig: Ralph Fiennes) und heimlichen Herrschers der Bettenburg, der nebenbei weiblichen Gästen jeden, aber auch wirklich jeden Alters jeden, aber auch wirklich jeden Wunsch erfüllt.
Als die stinkreiche Madame D. (wunderbar grotesk aufgedonnert: Tilda Swinton) das Zeitliche segnet, bestimmt sie den Concierge ihrer Gunst zum Alleinerben. Das ruft ihren wütenden Sohn (dauerverschwitzt: Adrien Brody) nebst Oberschläger (tolle olle Schurkenrolle: Harvey Keitel) und bald auch die Polizei (oberwachtmeisterlich: Edward Norton) auf den Plan. Wurde die Alte etwa umgebracht? Und wenn ja, natürlich von wem?
Die folgenden Verwicklungen sind, so gehört sich das bei Wes Anderson, enorm. Hierzu gehören unter anderem, als hätte der Regisseur die Tagesaktualitäten vorausgeahnt, finstere Machenschaften um ein entwendetes Gemälde, eine rekordverdächtige, absolut sotschitaugliche Verfolgungsjagd über Pisten, Schanzen und Bobbahnen, ein abenteuerlicher Gefängnisausbruch sowie ein Operettenkrieg mit präfaschistisch herumquakenden Teutonen. Ja, wäre der äußerst glücksbegabte Concierge nicht doch eines fraglos traurigen Tages zu Tode gekommen, würde der Film wohl mindestens bis zum Ende dieser Berlinale so weitergehen.
Ein bisschen Überdosis von allem ist bei Wes Anderson spürbar - aber egal
So überwältigend das alles ist – eben jenes frenetische Auffahren immer neuer Plotwendungen und Szenerien führt auch zu einer gewissen zuschauerseitigen Ermattung. Liegt es an den raumgreifend in die Bildmitte springenden Protagonisten, liegt’s am raunenden Dauerton von Zero Moustafas Voice-over oder am anfangs lustigen Kleinstdarstellerinnenraten – Saoirse Ronan gibt Zero Moustafas Liebchen, Léa Seydoux schwebt als Zofe durchs Bild –, dass einem hier manches bei aller Liebe bald als Imponiergehabe erscheinen will? Selbst die robustesten Spieluhren kann man überdrehen, und dann legen sie nur noch schnarrende Mechanik frei. Peter Greenaways Werk ist daran einst in Schönheit gestorben, und selbst manches Spätwerk Fellinis litt unter manch dröhnendem Zuviel. Schlimme Frage: Gibt es das, eine Überdosis Erfindungslust?
Egal, einstweilen egal. Wes Anderson ist längst ein Erstliga-Trainer des großen Kinos, und sein neuestes Heimspiel in Fantasistan bringt er im Ergebnis locker nach Hause. Ein Heimspiel auch im örtlichen Sinne: Studio Babelsberg hat koproduziert, gedreht wurde in und um Görlitz, und stattliche fünf Millionen Euro deutsche Förderung sind mit von der Partie. Man kriegt was für sein Geld in „The Grand Budapest Hotel“, Büffet inklusive; und man sieht was von der Welt – von jener alpinen und abgrundtiefen, wie sie in den Träumen beginnt.
7. 2., 12 und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 8.2., 19 Uhr (Haus d. Berliner Festspiele), 16.2., 18 Uhr (Berlinale Palast)