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Finnischer Charme. Iiro Rantala.
© Gregor Hohenberg/ACT Records

Jazz: Tanz der Troika

Berliner Jazzklaviergipfel: Michael Wollny, Leszek Mozdzer und Iiro Rantala in der Philharmonie

Welcher Triumph für den Jazz, mit drei Pianisten die große Philharmonie fast vollständig auszuverkaufen. Vor vier Jahren, als der Pole Leszek Mozdzer, der Deutsche Michael Wollny und der Finne Iiro Rantala zum Auftakt der Reihe „Jazz at Berlin Philharmonic“ schon einmal durch ihre Flügel (und ein Fender Rhodes) pflügten, genügte ihnen noch der Kammermusiksaal.

Welches Unbehagen, dass sich das Fenster, durch das ein symphonisch erzogenes Publikum auf eine ihm sonst fremde Welt schaut, wohl nur verbreitert hat. Wie viele, von der Energie dieser drei angesteckt, werden nun wirklich in den Clubs auf Entdeckungsreise gehen, wo ihnen eine verwirrende Vielfalt exzellenter Musiker oft ebenso viel bietet, nur manchmal mehr fordert.

Als der geschäftstüchtige Impresario Norman Granz 1944 in Los Angeles die Konzertserie „Jazz at the Philharmonic“ begründete und später nach Europa exportierte, ging es auch darum, eine Kunst zu nobilitieren, deren Leistungen zumindest in den USA heute außer Frage stehen. Siggi Loch, Labelchef von ACT Records und Kurator der Berliner Reihe, beruft sich ausdrücklich auf Granz und muss hierzulande doch um eine Klientel kämpfen, die zeitgenössischen Jazz nicht gerade als selbstverständlich akzeptiert.

Zum Einstieg Leonard Bernstein, zum Ausklang George Gershwin: Das ist der Rahmen, der zugleich die Perspektive vorgibt. Keiner der beiden Komponisten schrieb im eigentlichen Sinn Jazz. Sie jonglierten, obwohl viele Themen zu Standards wurden, nur mit seinen harmonischen Farben und rhythmischen Mustern. Iiro Rantala gönnt sich bei seiner Fassung von Bernsteins Ouvertüre zu „Candide“ denn auch nur kurze Ausbrüche aus dem Notentext. Größere Freiheiten nehmen sich die drei, wenn sie im Wechsel über „Summertime“ aus „Porgy and Bess“ improvisieren.

Besonders Rantalas effektvolle Arrangements, darunter die seines jüngsten Albums „My Working Class Hero“ mit Soloversionen von John-Lennon-Songs, leben eher von einem intensiven Geschmack nach Jazz. Von den teils gleichfalls reproduzierten, doch auf die Erkundung des Materials aus dem Moment heraus gerichteten Stücke von Michael Wollny unterscheiden sie sich grundlegend.

Ein Rest von Ungewissheit

Im Dreigespann ist er der einzige, der sich einem Rest Ungewissheit ausliefert, auch wenn er zum x-ten Mal seinen „Hexentanz" intoniert und dramatische Intervallspannungen auskostet. Seiner Musik wohnt eine Substanz inne, die der bis ins Spieluhrenhafte reichenden Gefälligkeit von Rantala und Mozdzer fehlt. Vor allem, was der Pole mit der rechten Hand spielt, ist reines Ornament: Tonmustergewirbel über ostinaten Strukturen.

Das freundschaftliche Miteinander – technisch nehmen sich die drei nichts – macht das nicht weniger vergnüglich. Rantala ist der augenzwinkernde Virtuose, Mozdzer der chopineske Elegant, Wollny der sich durch chromatische Gewitter kämpfende Schlaks. Zusammen jagen sie in wechselnden Konstellationen durch eine einzige Folge von Kabinettstücken aus eigener und fremder Herstellung. Der Showstopper ist das treibende Moment, das Gefühl nicht abreißender Encores der Dauerzustand.

Rantala, Mozdzer und Wollny beweisen auch, dass das prepared piano, seit den Zeiten Henry Cowell Ausweis avantgardistischer Gesinnung, unwiderruflich im Mainstream angekommen ist, um vom Griff in die Eingeweide des Instruments gar nicht erst zu reden. Hier werden, in Rantalas Jonathan Franzen gewidmetem filmmusikreifen Stück „Freedom“, die mittleren Tonlagen abgedämpft, dort, in Chris Beiers „White Moon“, erschafft Wollny mit zwei umgedrehten Weingläsern einen geradezu elfischen Klang.

Das Reizvollste ist allerdings – der dritte Flügel ist offenbar um einen guten Halbton höher gestimmt – der Einsatz elektronisch anmutender Schwebungen. Im Unisono-Spiel ergeben sie fantastische Schwebungen und genüsslich strapazierte irisierende Effekte. Als Zugabe Chick Coreas „La Fiesta“ im munteren Ringelreihen der Beteiligten, die sich auch beim flamencohaften Klappern der palmas abklatschen. „Olé!“, ruft Rantala zum Schluss in den Saal hinein. Das lassen sich die 2000 in der Philharmonie nicht zweimal sagen.

Gregor Dotzauer

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