Der legendäre Musik-Manager Siggi Loch im Interview: „Ich sehe mich als Einzelgänger“
In einer Hotelsuite legte man ihm 1,2 Millionen Mark hin und sagte: Mach mal! Siggi Loch bewies eine gute Nase, für Jazz, Pop und Kunst. Er wurde reich damit.
Siegfried „Siggi“ Loch war mal Deutschlands mächtigster Musikmanager, er arbeitete mit Katja Ebstein, Marius Müller-Westernhagen und der Jazzlegende Klaus Doldinger. Ab 1992 baute er sein eigenes Jazzlabel ACT auf – „mein Leben“, wie er sagt. Jetzt wird der Wahlberliner 75 Jahre alt.
Herr Loch, auf älteren Bildern sieht man Sie, exquisit gekleidet, neben Rockstars wie Rod Stewart, den Rolling Stones, Led Zeppelin. Ein Gentleman.
Ich konnte mit Rockmusikern umgehen, doch die Eleganz eines Jazzers wie Miles Davis war mir näher. Ich habe mich bewusst nicht gemeingemacht mit dem Rockbusiness und war ziemlich unangenehm, wenn meine Mitarbeiter mein Vertrauen enttäuschten. Ich weiß, dass mir einige diese Seite an mir noch nachtragen.
Was musste passieren, um Sie zu enttäuschen?
Wer von meinen Leuten mit Drogen in Berührung kam, vielleicht sogar um sie für die Musiker zu beschaffen, wurde entlassen, mit sofortiger Wirkung. Wenn ich zurückblicke, sehe ich einen Einzelgänger, einen Loner.
Der es weit gebracht hat. Wir sitzen auf dem Dach Ihrer Villa in Grunwald...
... erbaut von dem Architekten Oskar Kaufmann, der die Volksbühne entworfen hat.
Das Erdgeschoss ist Ihrer Kunstsammlung vorbehalten. Manchmal begrüßen Sie Neuerwerbungen mit Konzerten, die Sie dort veranstalten. Musik hat Sie wohlhabend gemacht.
Ich war nie darauf aus, ein hohes Gehalt zu bekommen. Bei Liberty Records, meiner zweiten Station, habe ich eine Gewinnbeteiligung von fünf Prozent durchgesetzt. Als das Label verkauft wurde, hieß es: No more participation. Dabei fingen da die Gewinne erst zu fließen an. Also ging ich. Bei WEA habe ich eine Drei-Prozent-Beteiligung rausgehandelt. Klingt nicht nach viel. Diese drei Prozent haben sich für mich durchaus lohnend ausgewirkt. Doch als die Entscheidung für dieses Haus anstand, war klar, dass ich mich von einem meiner Bilder trennen müsste. Am besten das teuerste. Ich hatte es 1970 gekauft für 15 000 Mark, was eine stattliche Summe für meine Verhältnisse war, von einem Künstler namens Gerhard Richter.
Der gilt heute als teuerster zeitgenössischer Maler der Welt, von dem ein Bild schon für 26 Millionen Euro versteigert wurde.
Ich habe 3,2 Millionen für „Vierwaldstätter See“ bekommen. Das war das Haus.
Sind Sie zum Einzelgänger geworden oder als einer geboren?
Gesellig wie mein Vater war ich nie. Der blühte unter Menschen auf und hatte stets eine kleine Mundharmonika dabei. Er war als Kriegsveteran sehr früh aus der Gefangenschaft heimgekehrt. Weil er sich gut mit den Russen verstand, vermutlich wegen seiner Trinkfestigkeit, wurde er Kreisbauernführer in Sachsen-Anhalt. Allerdings seilte er sich sehr früh von der Familie ab. Als er aus der Sowjetzone abhaute und in einer Gartenlaube in Hannover unterkam, vollkommen mittellos, folgten wir ihm. Weil kein Platz für mich und meine beiden jüngeren Geschwister war, wurden wir auf Kinderheime aufgeteilt.
Das klingt nicht nach glücklicher Kindheit.
Nach der Schule, wenn andere Kinder spielten, verdiente ich Geld. Für meine Ideen habe ich immer gekämpft. Ich bin dabei einsam geblieben. Mein Freundeskreis ist auch heute überschaubar.
Weil Sie eingesehen haben, dass man mit Stars nicht befreundet sein kann?
Ich hatte mit dem größten Star, den ich entdecken und fördern durfte, nämlich Marius Müller-Westernhagen, durchaus meine Probleme. Über Nacht wurde die enge persönliche Beziehung von ihm aufgekündigt mit dem Satz: Ab sofort redest du nur noch mit meinem Anwalt. Und das, nachdem wir nächtelang um jede Zeile seiner Texte gerungen hatten. Er hatte ein ausgeprägtes Sprachgefühl, das mich immer mehr faszinierte als seine musikalischen Ideen. Musikalisch wollte er mehr, als damals üblich war.
Nämlich was?
Er sagte, dass er mit Lucifer’s Friend zusammenspielen wollte, einer ungeheuer guten Hard-Rock- Band. Deren Gitarrist Peter Hesslein war eigentlich Jazzmusiker. Um diese Westernhagen-Platten mit denen machen zu können, habe ich auch die Band unter Vertrag genommen. Hesslein produzierte die ersten drei Alben von Marius. Die waren okay, aber weit davon entfernt, ein Erfolg zu sein. Nach der dritten Platte, „Bittersüß“, kam Marius an und meinte, er habe keine Lust mehr, Jazz zu machen. Er wolle jetzt selbst produzieren. Da musste ich ihm sagen, das, was er und Hesslein entwickelt hatten, sei kein Jazz. Wir hatten im Vertrag festgelegt, dass wir gemeinsam über den Produzenten entscheiden würden. Seine Wahl war auf Hesslein gefallen, damit hatte ich mich anfreunden können. Du, mein Lieber, sagte ich, produzierst dich jedenfalls nicht. Krach!
"Meine Vorlieben haben über die Jahre stark gewechselt"
Ihr Verhältnis war vorher gut?
Solange er erfolgreich werden wollte, war ich der zweitwichtigste Mensch für ihn – neben seiner damaligen Lebensgefährtin. Als der Erfolg da war, waren wir von der Plattenfirma nur noch die Blutsauger. Vor zwei Jahren etwa las ich im „Spiegel“ ein Interview mit ihm, darin sagte er, dass der Niedergang der Musikindustrie kein Wunder sei, denn in den Chefetagen säßen keine Leute mehr, die etwas von Musik verstünden, dort säßen keine Siggi Lochs mehr. Ich dachte, ich lese nicht richtig. Heute, und nachdem wir keine geschäftlichen Beziehungen mehr haben, sind wir wieder sehr gute Freunde.
Sie haben Stars wie Katja Ebstein, Ideal, Amon Düül II, Can, Klaus Doldinger und eben Westernhagen berühmt gemacht. Aber seit über 20 Jahren betreiben Sie Ihr eigenes Jazzlabel.
Ich hatte das schon früher vorgehabt. Eigentlich bin ich mit dem Wunsch in die Musikindustrie eingetreten, Jazzplatten zu produzieren. Bei Philips erschlich ich mir diese Möglichkeit, obwohl ich dafür gar nicht angestellt war. Später hielt mich der große Produzent Nesuhi Ertegün davon ab mit dem Satz: There is no money in jazz.
Gibt es einen Song in Ihrem Leben, den Sie immer wieder hören müssen?
Nein, meine Vorlieben haben über die Jahre zu stark gewechselt. Zurzeit ist meine Lieblingsplatte eine ganz alte, „The Blues and the Abstract Truth“, des Saxofonisten Oliver Nelson, 1961 entstanden. Das schönste Stück darauf ist „Stolen Moments“. Für mich sehr wichtig. Ich habe die Aufnahmen im Auto dabei, in einem Fach in der Seitentür, sodass ich sie einlegen kann, wenn mir danach ist. Und wenn ich mal etwas Verlässliches brauche zwischen den Angeboten, die ich abhören muss, weil die Musiker eine Antwort erwarten.
Und bei Nelson finden Sie, was gut ist?
Nelson bezieht sich auf die Ursprünge des Jazz, dessen Wurzeln, wie man weiß, im Blues liegen. Mich erinnert Nelsons Platte an meine eigenen Anfänge. Alles was ich als Musikproduzent gemacht habe, sei es im Jazz oder im Rock ’n’ Roll, hatte mehr oder weniger mit dem Blues zu tun, war immer geerdet. Der erste Titel meiner ersten Platte als Produzent von Doldinger hieß „Blues for George“. Und gleichzeitig hatte ich im Star-Club in Hamburg Toni Sheridan und die Beatles gehört. Die spielten zunächst auch Kopien des amerikanischen Rhythm’n’Blues, bevor sie sich davon emanzipierten.
Der Blues ist die Konstante, die man überwinden muss?
Für mich geht es bei allem um die Suche eines Musikers nach seiner persönlichen Sprache. Jazz ist die Freiheit des Ausdrucks eines Einzelnen in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Deshalb kann sich ein Jazzmusiker überall auf der Welt, egal wohin er reist, mit anderen Jazzmusikern verständigen. Das geht in keiner anderen Musikform. Denn allen sind dieselben Grundlagen vertraut.
Das Problem ist vielleicht die gleiche Gesinnung. Sie verleiht dem Jazz etwas Elitäres.
Der Grundgedanke, sich selbst zu verwirklichen im Austausch mit anderen, hat eine hohe politische Dimension. Jedenfalls für mich als Kriegskind, das 1954 nicht wusste, was aus ihm werden soll. Ich wurde von der Musik so sehr gepackt, dass sie mein ganzes Leben bestimmte. Die Frage, vor der junge Jazzmusiker heute stehen, ist die, wie sie ihre eigene Generation für ihre Musik gewinnen können.
Was hat Sie als junger Mensch geritten, sich eines Abends das Konzert eines Jazzmusikers ansehen zu wollen?
Wir waren zwei 15-jährige Bengel, fanden es spannend, durch ein Kellerfenster in die Niedersachsenhalle einzusteigen und uns Zutritt zu einer Welt zu verschaffen, die wir uns nicht leisten konnten. Wer da spielte, war uns egal, ein Lausbubenstreich. Ich ahnte ja nicht, dass mich der Auftritt von Sidney Bechet so sehr berühren würde.
Dieser Saxofonist hat Ihr Leben verändert?
Nach dem Konzert habe ich mir auf einem kleinen Zettel ein Autogramm von Bechet geben lassen. Zu Hause habe ich dann mit schwarzer Tinte das Porträt Bechets darübergemalt. Ich kann mich nicht erinnern, überhaupt jemals wieder ein Porträt gezeichnet zu haben, aber das eine Mal habe ich es getan. Warum, ist mir bis heute ein Rätsel. Als Nächstes musste ich natürlich eine Platte von dem Mann haben. Die sollte 7,50 D-Mark kosten. Ich hatte gar keinen Plattenspieler. Fünf Tage in der Woche stand ich nachts in der Kegelbahn, um die Kegel wieder aufzustellen. Wenn man etwas nachhalf bei dem einen oder anderen, gab’s extra Trinkgeld. So verdiente ich mir meinen Zugang zur Musik.
"Ich habe mit Katja Ebstein lange Nächte diskutiert"
Musiker wollten Sie nicht werden?
Nicht, dass ich nicht Musiker hätte werden wollen. Aber ich spürte, dass ich als Drummer einer kleinen Band in Hannover nicht gut war. Meine erste Bechet-Platte war von Blue Note herausgebracht worden. Ich las, dass dieses legendäre Label 1939 von zwei jazzbegeisterten Berlinern gegründet wurde, einem Fotografen und einem Exportkaufmann. Siehste, sagte ich mir, geht auch, die Liebe zum Jazz reichte. Ich gründete einen New-Orleans-Club. Alle zwei Wochen kamen wir in einem Keller zusammen, um neue Platten zu hören.
Sie waren als Geschäftsmann ein Autodidakt wie die Musiker, die Sie verehrten. War das von Vorteil?
Wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, auf einen Spieler wie den Musik-Tycoon Alvin Bennett zu stoßen, was wäre aus mir geworden? Als wir uns trafen, im Bayrischen Hof in München, wo er in der Präsidentensuite logierte, da sagte er: Ich gründe in Deutschland eine eigene Plattenfirma, und du wirst sie leiten. Ich war 26 Jahre alt. Auf dem Tisch in seiner Suite lagen Banknoten, 100 000 Pfund. Das waren umgerechnet 1,2 Millionen D-Mark.
Woher stammte das Geld?
Er hatte in der Nacht zuvor im Londoner Curzon Club die Bank gesprengt und das so gewonnene Geld in Zeitungspapier versteckt aus dem Land geschmuggelt. Er zeigte auf den Stapel Geldscheine und sagte: „Und das ist das Geld, mit dem du die Firma aufbauen wirst.“ Kein Europäer hätte mir diese Chance gegeben. Das können nur Amerikaner, die mit dem Instinkt eines Jazzmusikers Vertrauen in einen setzen und sagen: Mach!
Sie haben Ihn sicher mit irgendwas beeindruckt.
Das Einzige, was er von mir wusste, war, dass ich Aufnahmen im legendären Hamburger Star-Club gemacht hatte. Durch Zufall war auch „Sweets For My Sweets“ von den Searchers darunter gewesen, der zweite Nummer-1-Hit einer Liverpool-Band in England. Die haben unglaublich viel Geld damit verdient. Aber mich wollten sie bei Philips nicht zu einem bestallten Producer mit Lizenzbeteiligung machen. Deshalb wollte ich mein eigenes Jazzlabel starten. Bennett sagte ich das auch. Worauf er fragte, ob ich Blue Note kennen würde. Dieses Label prägte ja seit Langem die Jazz-Szene der Welt. Natürlich, sagte ich, und es sei der Grund, warum ich es auch machen möchte. „I just bought it“, sagte er. Wenn er nicht Blue Note gekauft und ich darin die Chance gesehen hätte, mit den beiden Gründern zu tun zu haben, hätte ich das Angebot ausgeschlagen.
Das Erste, womit Sie als Liberty-Chef 1967 für Aufsehen sorgten, war der Satz: „Ich schlag die Schnulze k. o.“ Unter dieser Titelzeile waren Sie mit Boxhandschuhen zu sehen.
Diese Geschichte hat mich selbst überrascht. Ein Journalist der „B.Z.“ sagte, dass er ein Porträt über Deutschlands jüngsten Plattenboss schreiben wolle. Er meinte, wir inszenieren jetzt die Geschichte, dass du ein Telegramm bekommen hast, das Motto des Fotos: Siggi boxt sich durch. Deshalb die Boxhandschuhe. Okay, Siggi boxt sich durch. Als Nächstes bekam ich einen Anruf von einem prominenten Berliner Schlagerproduzenten. Der sagte: Dir stopfen wa och noch dit Maul. Ich wusste gar nicht, wovon er sprach.
Sie wollten den Schlager gar nicht fertigmachen?
Natürlich nicht. Ich habe mit Katja Ebstein lange Nächte diskutiert, wie die Musik sich anhören könnte, die ihr gefallen und sie groß herausbringen würde. Unser Vorbild war das französische Chanson. Der erste Titel, den ich mit ihr produzierte, war die deutsche Version von „Wichita Lineman“, was wir in „Der Draht in der Sonne“ übersetzten, längst vergessen, nie ein Erfolg gewesen. Anschließend haben wir vieles probiert. An dem Tag, an dem im Fernsehen die Sendung „Katja Ebstein, Porträt einer Unbekannten“ ausgestrahlt werden sollte, auf die wir unsere Hoffnungen setzten, an dem Tag reiste Willy Brandt in die DDR. Und die Sendung blieb das Porträt einer Unbekannten. Es wurde nachts um eins gebracht und ging unter. Es war ihr damaliger Lebensgefährte Christian Bruhn, der daraufhin mit der Idee aufkam, „Wunder gibt es immer wieder“ aufzunehmen. Das Stück hatte er selbst geschrieben. Der Rest ist Geschichte.
Auf dem Höhepunkt Ihres Erfolges stiegen Sie 1987 aus, um später das Jazzlabel ACT zu gründen. Ausgerechnet vor der größten Krise der Musikindustrie. Der Markt hat sich in der Zeit halbiert. Haben Sie den Schritt bereut?
Die Anfänge waren mühsam. Ein erster Deal platzte nach einem Jahr. Aber mit der Millionen-Abfindung, die ich erhielt, fing ich noch mal von vorne an. Mit meiner alten Sekretärin und dem Sohn eines Galeristen, David Zwirner. Nach anderthalb Jahren sagte er mir, er glaube nicht an die Zukunft des Musikbusiness. Er gehe nach New York und mache eine eigene Galerie auf. Recht hat er gehabt. Seine Galerie ist heute eine der weltweit größten.
Und Sie?
Ich habe Angebote von Leuten bekommen, die mein Label kaufen wollten. Ich lehnte jedes Mal ab. Ich behandle meine Musiker wie meine nicht vorhandenen Kinder. Eine Ersatzfamilie. ACT ist mein Leben, und mein Leben ist nicht käuflich.