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„Die Frau mit der Kamera“, das Porträt von Abisag Tüllmann ist bei Arsenal 3 zu sehen.
© bpk/Abisag Tüllmann

Digitales Angebot des Arsenal-Kinos: Streamen für Arthouse-Fans

„Arsenal 3“ heißt der virtuelle Saal des Filmhauses am Potsdamer Platz. Im zweiwöchigen Wechsel wird dort ein kuratiertes Filmprogramm  angeboten.

Kurzfilmtage Oberhausen 1965: Bei einer Pressekonferenz der Hochschule für Gestaltung Ulm wird lautstark übers Kino gestritten: „Zu viele formalistische Spielereien“, moniert einer, von „Rollkragen-Rossellinis“ ist die Rede, und von „regionaler Trainingslyrik“. 

Claudia von Alemann studiert zu dieser Zeit in Ulm, und hier in Oberhausen lernt sie jene Frau kennen, über die sie fünfzig Jahre später einen Film drehen wird: Abisag Tüllmann. Die Aufnahmen von Oberhausen 1965 sind nicht nur filmisches Zeitdokument, sondern auch der Moment, ab dem Alemanns eigener Film ein persönlicher wird.

„Die Frau mit der Kamera“ heißt ihr berührendes Porträt der 1996 gestorbenen Fotografin, das seit Samstag für zwei Wochen im Arsenal 3 zu sehen ist, dem neuen, virtuellen Saal des im Filmhaus am Potsdamer Platz beheimateten Kinos. 

Bereits seit dem 20. März werden hier wöchentlich neue Programme aus Kurz- und Langfilmen, dokumentarischen und fiktionalen Werken gezeigt. Der Übergang vom physischen in den virtuellen Raum ging für das Arsenal auch deshalb so schnell, weil die technische Infrastruktur bereits vorhanden war. 

Schon seit letzten Herbst können Vereinsmitglieder des „Arsenal Institut für Film- und Videokunst“ auf das Arsenal 3 zugreifen und ausgewählte Filme aus dem umfassenden Verleihprogramm streamen.

Diesen virtuellen Saal der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war deshalb der erste Gedanke nach dem Schock der Schließung, erzählt Stefanie Schulte Strathaus, die das Arsenal gemeinsam mit Milena Gregor und Birgit Kohler leitet. 

15 Filme für zwei Wochen

Zugleich war klar, dass mit diesem Schritt künstlerische wie technische Herausforderungen verbunden waren. Es sollte nicht bloß darum gehen, ein paar Filme ins Netz zu stellen, sondern tatsächlich Kino zu machen.

Dass die jeweils etwa 15 Filme eines Programms nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehen, gehört also zum Prinzip. Das Arsenal 3 soll keine möglichst breite Plattform sein, auf der sich User Filme nach ihrem individuellen Geschmack zusammenstellen. Vielmehr soll der virtuelle Saal die Fortführung jener sorgfältigen kuratorischen Praxis ermöglichen, für die das Arsenal bekannt ist. 

Allerdings in durchaus veränderter Form: So gilt es derzeit nicht, etwa für eine thematische Werkschau überall auf der Welt Kopien aufzutreiben, sondern Filme aus einem bereits bestehenden Pool miteinander ins Gespräch zu bringen. „Wir spinnen jetzt neue Geschichten, aus den Filmen, die schon vor uns liegen“, sagt Schulte Strathaus.

Damit ist auch ein logistischer Aufwand verbunden. Für etwa 2000 Filme besitzt der Verleih des Arsenal die Kinorechte, die gelten in der Regel aber nicht fürs Internet. Nach einem ersten Aufruf stellten eine Vielzahl von Filmschaffenden ihre Werke dem Arsenal zur Verfügung, gerade bei internationalen Produktionen muss aber weiterhin für jeden Einzelfall geklärt werden, ob eine virtuelle Vorführung möglich ist. 

Der auf der Berlinale 2018 gefeierte „An Elephant Sitting Still“ des chinesischen Filmemachers Hu Bo musste etwa wieder aus dem Programm genommen werden, das Streaming wäre nur gegen Bezahlung möglich gewesen.

Doch in Corona-Zeiten will das Arsenal die Filme möglichst kostenlos zur Verfügung stellen, es wird lediglich um Spenden gebeten und eine Mitgliedschaft angeregt. Zudem gibt es derzeit noch kein funktionierendes Bezahlsystem auf der Seite. Das wird sich noch ändern, denn langfristig soll das Arsenal 3 zum festen Bestandteil des Kinos werden.

Schulte Strathaus stellt sich etwa vor, dass zu bestimmten Reihen, die in den beiden Arsenal-Kinos laufen, weitere Filme online zu sehen sein werden, gewissermaßen als Fußnotenprogramm. Weil das Streaming den Kinobesuch niemals ersetzen, aber vielleicht ergänzen kann.

Solange die Kinos geschlossen sind, sind diese „Fußnoten“ der Kern des Arsenals, das auch weiterhin im mittlerweile zweiwöchigen Turnus Programme zusammenstellen wird – jeweils unter einem bestimmten Thema, mit einem möglichst breiten Spektrum filmischer Formen. 

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In den nächsten zwei Wochen laufen neben „Die Frau mit der Kamera“ weitere, zum Teil experimentelle Porträtfilme, etwa über Harun Farocki, den Avantgardekünstler Tony Conrad oder die ägyptische Schauspielerin Soad Hosni. Ulrike Ottingers „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“, Abschluss ihrer Berlin-Trilogie, gehört ebenfalls zum neuen Programm.

Zum jeweiligen Wochenabschluss werden einige der Filmemacherinnen und Filmemacher über die Open-Source-Plattform Jitsi zum Werkgespräch gebeten; auch das vom Arsenal gewohnte Rahmenprogramm wird also in die digitale Welt überführt. Technisch läuft das noch nicht perfekt, aber das Arsenal 3 ist eben weniger Notlösung oder Zukunftsmodell als offenes Experimentierfeld. 

Und eine Einladung, der 1965 in Oberhausen diskutierten Frage nach Wesen und Wirken des Kinos weiter auf den Grund zu gehen – eine Frage, die noch lange im Raum stehen wird, derzeit eben vorwiegend im virtuellen. 

Till Kadritzke

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