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Afrikas Zukunft: Alva Rogers, Trula Hoosier und Barbara-O (von links) in Julie Dashs "Daughters from the Dust".
© picture alliance / AP Photo

Afroamerikanisches Kino im Arsenal: Die Definition von Schwarz

Die Filmreihe "Black Light" im Arsenal sucht nach neuen Ausdrucksformen für ein schwarzes Kino zwischen Amerika und Afrika.

Der Artikel erschien ursprünglich zum Start der Reihe am 9. März. Zur Wiedereröffnung der Kinos holt das Arsenal das Programm nun fast komplett nach. Die Reihe läuft vom 1. Juli bis zum 26. August.

Mit Melvin van Peebles beginnt 1971 eine neue Erzählung im US-Kino. Der Schauspieler, Autor, Regisseur und Proto-Rapper erzählt in „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ von einer Revolution. Bezeichnend für die Zeit ist, dass diese Geschichte außerhalb des boomenden New Hollywood, damals Inbegriff der Aufbruchsjahre in der Filmindustrie, begann.

Van Peebles’ Sweetback ist ein Zuhälter, der nach einem Konflikt mit der Polizei auf der Flucht eine Politisierung durchläuft. Der hypersexualisierte schwarze Körper wird durch die Erfahrung von Polizeigewalt, Rassismus und einer Begegnung mit den Black Panthers zur politischen Waffe. Ein amerikanischer Albtraum.

Die aggressive Fluchtbewegung Sweetbacks, ein visuelles Delirium aus Doppel-/Überbelichtungen, Jump-cuts und Splitscreens, markiert keinen Rückzug mehr, sondern eine Flucht nach vorn. Vier Jahre zuvor bestand Sidney Poitier im Südstaatenkrimi „In der Hitze der Nacht“ noch bestimmt, aber höflich darauf, vom rassistischen Polizeichef mit „Mr. Tibbs“ angesprochen zu werden.

„Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ ist somit ein logischer Auftakt der Reihe „Black Light“ im Kino Arsenal. Greg de Cuir Jr., der das Programm 2019 für das Filmfestival in Locarno kuratierte, vermeidet in seinem Katalogbeitrag den Begriff Retrospektive, obwohl „Black Light“ auch die über 100-jährige Geschichte des Kinos abbildet. Er sieht die Reihe stattdessen als offenes Forschungsprojekt zum Thema „Black Cinema“.

Ein neuer Kanon des „Black Cinema“

De Cuir Jr. kritisiert diesen Begriff als zu eng gefasst, um all den „schwarzen Erfahrungen“ im 20. Jahrhundert – auf dem afrikanischen Kontinent nach den Unabhängigkeitskämpfen, in der Diaspora entlang der Routen des Sklavenhandels, der „Mittelpassage“, bis zur afroamerikanischen Realität als Folge der Bürgerrechtsbewegungen in den Sechzigern – gerecht werden zu können. Filmhistorisch ist seine Reihe auch der Versuch, einen neuen Kanon des „Black Cinema“ zu definieren.

Dass „Black Light“ dabei kanonische Filme streift, ist so unvermeidlich wie notwendig. „Sweetback", Charles Burnetts melancholischer „Killer of Sheep“ (1975) über das Arbeiterviertel Watts in Los Angeles, Shirley Clarkes treibende Harlem-Straßenpoesie „The Cool World“ von 1963 (produziert von der Dokumentarlegende Frederick Wiseman) und Julie Dashs traumhafter „Daughters of the Dust“ (1991) sind wesentlich für das Verständnis von de Cuirs „Schwarzlicht“-Theorie, als Ausgangs- und Referenzpunkte.

Schwarzlicht als Metapher für Sichtbarmachung

„Schwarzlicht“, schreibt er, „beginnt am Ende des sichtbaren Spektrums“. Er benutze diese Metapher, damit das Publikum „die Wellenlängen, die unser Sichtfeld erweitern, wertzuschätzen lernt“. Van Peebles’ Film fungiert als Dreh- und Angelpunkt der Reihe. „Sweetback" war eine radikale Hymne auf den schwarzen Körper, dessen Sexualisierung im weißen Kino, angefangen bei Griffiths Bürgerkriegsdrama „Birth of a Nation“, stets ein rassistisches Drohpotential besaß.

Bei Van Peebles ist die Fixierung auf den (eigenen) schwarzen Körper eine nicht minder bedrohliche Geste der Selbstermächtigung, die die Wahrnehmung des „Black Cinema“ bis weit in die frühen Neunziger, auch durch den Einfluss des Hip-Hop, prägte. De Cuir hält diese Entwicklung für eine Sackgasse, aus der sich das afroamerikanische Kino erst in den vergangenen Jahren, mit Filmen wie dem Martin-Luther-King-Biopic „Selma“, der Horrorsatire „Get Out“, „Black Panther“, dem Oscar-Gewinner „Moonlight“, aber auch den preisgekrönten Videoarbeiten von Arthur Jafa befreite.

Jafa ist auch für die Bilder einer der schönsten Filme der Reihe verantwortlich, „Daughters of the Dust“ von Julie Dash, der einzigen Regisseurin der „Los Angeles School of Black Filmmakers“. Dash beschreibt die Ankunft in und den Aufbruch aus einem utopischen Inselreich an der amerikanischen Küste im frühen 20. Jahrhundert.

Während die Matriarchin Nana nach den afrikanischen Traditionen ihrer Vorfahren lebt, die mit den Sklavenschiffen über den Atlantik kamen, drängt die nächste Generation schon aufs Festland – mit allen Vor- und Nachteilen der westlichen Zivilisation. Nana und das ungeborene Baby der jungen Eula, das Kind einer Vergewaltigung, fungieren als Erzählstimmen: „Zwei Menschen in einem Körper, die letzte der alten und die jüngste der neuen.“

Identität über gemeinsame kulturelle Erfahrungen

„Daughters of the Dust“ ist das einflussreiche Beispiel für ein „schwarzes Kino“, das seine Identität nicht mehr über Körperbilder, sondern über eine gemeinsame kulturelle Geschichte sucht. Rassismus ist nur ein Aspekt dieser afroamerikanischen Erfahrung. Im tragikomischen „Losing Ground“ (1982), dem einzigen Langfilm der 1988 verstorbenen Kathleen Collins, verhandelt ein schwarzes Paar – sie lehrt an der Universität europäischen Existenzialismus, er, ein Maler, lebt selbigen mit allen Konsequenzen – die gesellschaftlichen Errungenschaften der sechziger Jahre zwischen Beziehung und persönlicher Erfüllung. Collins’ Film ist die jüngste Wiederentdeckung der Reihe, der in seinen pointierten Beobachtungen von Mann-Frau-Dynamiken durch das Prisma französischer Philosophie einen sehr europäischen Ton findet.

Die älteste Wiederentdeckung ist der Stummfilm „Within Our Gates“ (1920) von Filmpionier Oscar Micheaux, in dem eine junge Afroamerikanerin aus den Südstaaten im Norden Spenden für eine öffentliche Schule sammelt, weil nur Bildung den sozialen Status der Menschen im verarmten Süden verbessert. Dass die Filme von Collins und Micheaux so lange ignoriert werden konnten – die letzte Kopie von „Within Our Gates“ wurde 1970 in einem spanischen Archiv gefunden – verrät einiges über die Mechanismen der amerikanischen Filmindustrie.

Porträts von schwarzen Stadtteilen

Micheaux’ Film ist auch der älteste überlieferte Film eines afroamerikanischen Regisseurs, wobei die Filmhistorikerinnen Racquel J. Gates und Michael Boyce Gillespie in ihrem Essay „Reclaiming Black Film and Media Studies“ argumentieren, dass das Primat des „Ersten“ immer auch einer rassistischen Lesart Vorschub leistet, weil damit afroamerikanischer Kultur automatisch eine Ausnahmestellung zugewiesen wird.

Greg de Cuir Jr. plädiert daher mit „Black Light“ für einen Blick auf ein „schwarzes Kino“ ohne kulturelle Hegemonie und Kanon im Hinterkopf – obwohl in der Auswahl des Arsenals mit dem US-Schwerpunkt die afrikanische und diasporische Sichtweise zu kurz kommt. Empfohlen sei daher vielleicht eher das Prinzip der Paarung.

Was haben sich etwa Robert Wise’ Noir „Odds against Tomorrow“ (1959), produziert von Harry Belafonte, und Spencer Williams’ Gospelfilm „The Blood of Jesus“ (1942), ein unabhängig produziertes race movie aus dem amerikanischen Süden, zu sagen? Oder wie interagieren „The Cool World“, „Killer of Sheep“ und Christopher Harris’ Avantgardefilm „Still/Here“ über St. Louis als Porträts marginalisierter schwarzer Nachbarschaften? Es wäre ein lohnenswertes Experiment. Das Schwarzlicht holt die afroamerikanische Lebenswirklichkeit ins Reich des Sichtbaren zurück.
Das aktuelle Programm findet sich unter www.arsenal-berlin.de

Andreas Busche

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