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Böser, alter Mann. J. Paul Getty (Christopher Plummer) verhandelt mit dem Ex-CIA Agenten Fletcher Chase (Mark Wahlberg).
© Tobis

Ridley Scotts Film "Alles Geld der Welt": Spiel mit Millionen

Der Film „Alles Geld der Welt“ von Ridley Scott erzählt über den Ölmagnaten J. Paul Getty - ohne Kevin Spacey, der zuvor wegen Missbrauchsvorwürfen aus dem Film geschnitten worden war

Das ist er also, sozusagen der erste Film der Post-Kevin-Spacey-Ära. Der Film auch, der ein Paradigma Hollywoods vielleicht endgültig aus der Welt geschafft hat: Kein Star ist größer als sein Film, jeder ist ersetzbar. „Alles Geld der Welt“ wird sicher nicht als herausragende Regie-Arbeit von Ridley Scott in die Filmgeschichte eingehen, aber er kommt zum richtigen Zeitpunkt. In ihm kulminieren gleich mehrere gesellschaftliche Debatten, die die Filmbranche seit Monaten beschäftigen.

Scotts Film über den US-amerikanischen Ölmagnaten J. Paul Getty, zu Lebzeiten reichster Mann der Welt, handelt nur vordergründig von einer Entführung. Im Juli 1973 kidnappten Handlanger der kalabrischen 'Ndrangheta den 16-jährige Enkel Gettys und forderten 17 Millionen Dollar Lösegeld. Um dem Nachdruck zu verleihen, schnitten sie dem Jungen ein Ohr ab. Der alte Getty, der sich zu diesem Zeitpunkt weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, weigerte sich, die Summe zu zahlen. Christopher Plummer übernahm bekanntermaßen die Rolle von Kevin Spacey, neun Tage dauerte der Nachdreh – nur wenige Wochen vor dem US-Kinostart im Dezember.

Ridley Scott hat längst den Status eines Zen-Meisters in der A-Liga Hollywoods. Dass er ein paar Stars mal kurz aus den Ferien zurückzuholen kann, hat aber auch viel damit zu tun, wovon „Alles Geld der Welt“ im Wesentlichen handelt. Man darf Scott seine moralischen Skrupel durchaus abnehmen. Hinter der Entscheidung, Kevin Spacey aus dem Film zu schmeißen, steckt trotzdem zuerst finanzielles Kalkül. Immerhin war es Scott, der vor ein einigen Jahren – den anhaltenden Diskussionen über „Whitewashing“ zum Trotz – sein Bibelepos über den Exodus der Israeliten aus Ägypten mit englischen und australischen Hauptdarstellern besetzte.

Oscar-Nominierung für Christopher Plummer

Sieht man jetzt „Alles Geld der Welt“, ist kaum vorstellbar, dass Scott je einen anderen Darsteller als Christopher Plummer für die Getty-Rolle vorgesehen hatte. Plummer hat in seiner Karriere schon ein paar echte Schweinehunde gespielt, er verkörpert die rationale Skrupellosigkeit Gettys mit einem sparsamen Repertoire an Gesten und der natürlichen Autorität von über 60 Jahren Erfahrung. Kevin Spacey dagegen hatte sich als präsidialer Strippenzieher Frank Underwood in „House of Cards“ zuletzt ja zunehmend theatralische Marotten angeeignet. Die ironische Pointe ist eine Oscar-Nominierung für Plummers kurzfristigen Einsatz, vielleicht auch ein böses Nachtreten der Academy gegen Spacey.

„Wenn du dein Geld zählen kannst, bist du kein Milliardär,“ erzählte Getty 1965 dem „Playboy“. An anderer Stelle sagt Plummer im Film: „Reich zu werden, ist einfach. Reich zu sein die Herausforderung“. Getty hat nach dem Zweiten Weltkrieg sein Vermögen mit arabischem Öl gemacht, er förderte es riesigen Mengen und ließ dafür Supertanker bauen. Eine Welt obszönen Reichtums, die Scott in wenigen Szenen zeichnet: Getty in den herrschaftlichen Räumen seines englischen Anwesens, in die kaum ein Lichtstrahl fällt; gebeugt über Papierstreifen eines Börsentickers, Herzschlag seines Imperiums. „Vielleicht könnt ihr uns vergeben“, meint der entführte John Paul Getty III (Charlie Plummer, nicht verwandt mit Christopher) zu Beginn aus dem Off. „Es ist, als kämen wir von einem anderen Planeten. Wir sehen aus wie ihr, aber wir sind nicht wie ihr.“

Ex-CIA-Agent Fletcher Chase soll mit der Mafia verhandeln

„Ich kämpfe gegen ein Imperium“, versucht auch Gail Harris (Michelle Williams) am Telefon einem Entführer ihres Sohnes zu erklären. Gail hat in den Getty- Clan eingeheiratet, blieb im Geldadel aber immer eine Außenseiterin. Sie hat nach der Scheidung von ihrem Mann auf einen Anteil am Getty-Vermögen verzichtet, um das Sorgerecht für ihre Kinder zu bekommen. Nun muss sie den Schwiegervater davon überzeugen, das Lösegeld für seinen verstoßenen Enkel zu zahlen. Getty stellt ihr den Fixer Fletcher Chase (Mark Wahlberg), ex-CIA, zur Seite, der die Verhandlungen mit der Mafia führen soll. Sein Auftrag: den Preis drücken. Fletcher unterschätzt jedoch die Bauernschläue der Entführer. Der Thriller-Plot ist eher unterentwickelt, man spürt, dass den Genrefilmer Scott an der Getty-Geschichte etwas ganz Anderes interessiert.

Gail stellt sich in „Alles Geld der Welt“ mit verzweifelter Wut einem Regime weißer männlicher Privilegien. Gettys Reich wirkt wie aus einer Epoche, in der Könige ihre Herrschaftshäuser noch antiken Vorbildern nachempfanden. In seinem Arbeitszimmer präsentiert Getty Fletcher ein Modell der Getty Villa von 1974, ein Nachbau der Villa dei Papiri am Vesuv. Dass Macht korrumpiert, ist keine bahnbrechende Erkenntnis, aber „Alles Geld der Welt“ zeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Herrschaftssphären Gettys von jeder sozialen Verantwortlichkeit entkoppelt haben. Hier hat die menschliche Würde ihren Preis und Lösegeld ist steuerlich absetzbar.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: wie die Produktionsgeschichte von Scotts Film selbst – sozusagen als perfide Doppelung – einen überholten Status quo sichtbar macht. Im Januar, zur Hochphase von „Time’s Up“, enthüllte USA Today, dass Michelle Williams’ Gage für den Nachdreh 0,1(!) Prozent ihres Ko-Stars Wahlberg betrug. Beide werden von derselben Agentur vertreten. Michelle Williams dürfte sich da wie im falschen Film gefühlt haben. Beziehungsweise in dem, den sie gerade abgedreht hatte. Insofern ist „Alles Geld der Welt“ mehr als ein historischer Krimi. Er ist genauso Produkt seiner Zeit.

Ab Donnerstag in den Berliner Kinos.

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