MeToo-Debatte und Kevin Spacey: Künstler können Monster sein
Aber die Werke und ihre Urheber sind nicht unbedingt eins. Über einige Lehren aus dem Fall Kevin Spacey, der mehr ist als ein Sex-Skandal.
Ist der eben noch hochgepriesene, mit zwei Oscars, Golden Globes und Emmy Awards ausgezeichnete und erst 2016 von Prince Charles als Amerikaner und langjähriger Direktor des Londoner Old Vic Theatres zum britischen Ritter geschlagene Schauspieler Kevin Spacey nunmehr zur völligen Unperson geworden?
Wir müssen die ganze MeToo-Debatte um sexuellen Missbrauch, im Film- und Fernsehgeschäft wie in der übrigen Gesellschaft, hier nicht ausführlich wiederholen. Aber der Fall Kevin Spaceys, der im Unterschied zum Hollywood-Produzenten Weinstein selbst ein Künstler ist, darf in mehrerlei Hinsicht als besonders gelten.
Am 15. Februar, dem Eröffnungstag auch der Berlinale 2018, wird in den deutschen Kinos Ridley Scotts neuer Film „Alles Geld der Welt“ über die einstige Entführung des Milliardärsenkels John Paul Getty anlaufen. In dem bereits abgedrehten und fertig geschnittenen Film hatte Spacey den grausam geizigen, das Leben seines Enkels riskierenden Familienboss J. P. Getty verkörpert. Ende Oktober aber behauptete der bis dahin nicht sehr bekannte Schauspieler Anthony Rapp, vor über 30 Jahren habe der damals 26-jährige Spacey ihn als erst 14-Jährigen bei einer Party in Spaceys Wohnung angefasst und körperlich „belästigt“. Wie der Junge auf diese Party kam, wurde nicht weiter erörtert.
Spacey reagierte per Twitter, er könne sich an den Vorfall nach drei Jahrzehnten nicht erinnern, entschuldige sich aber für den Fall eines im Alkoholrausch ein „unangemessenen“ Verhalten. Dazu machte er erstmals öffentlich bekannt, „inzwischen das Leben eines schwulen Mannes“ zu führen. Fast postwendend erklärte die Firma Netflix, Spacey als Hauptdarsteller der TV-Erfolgsserie „House of Cards“ zu entlassen und einen mit Spacey gedrehten Film über den homosexuellen Autor Gode Vidal unter Verschluss zu halten.
Spacey taucht in "Alles Geld der Welt" nicht mehr auf
„Alles Geld der Welt“ wird dagegen gezeigt. Aber nicht mehr mit Kevin Spacey. Regisseur Ridley Scott hat seinen Star aus dem mehr als zweistündigen Film herausgeschnitten und in neun Tagen für etwa sechs Millionen Dollar die entsprechenden Szenen mit Christopher Plummer als Milliardär Getty nachgedreht und einmontiert. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte der 80-jährige Altmeister Scott dazu, es sei vor allem darum gegangen, die bisherigen 45 Millionen Dollar Produktionskosten nicht umsonst ausgegeben zu haben. Also keine zuvörderst moralische, eher eine geschäftliche Entscheidung.
Im SZ-Interview wird Scott allerdings auch nach dem Verhältnis zwischen Kunst, Moral und den Künstlern gefragt. Der Regisseur: „Man muss die Person von ihrem Werk trennen.“ Scott verweist etwa auf die Gemälde des Franzosen Balthus und seine Darstellung kindlich junger Mädchen in lasziven Posen. „Es sind unbehagliche, teils verstörende Gemälde.“ Aber ihn selbst interessiere dabei nicht, was ein Künstler „privat macht. Ich beurteile ausschließlich seine Kunst“. Und bei dem von ihm gleichfalls bewunderten Akteur Spacey? Der hätte „wegen dieser Skandale“ den Film, sprich „das Gemälde zerstört!“
Tatsächlich sind bei einem Schauspieler als Darsteller Werk und Person nicht zu trennen. Der Akteur wird so selbst zum Werk. Und Proteste gegen einen Film oder eine Aufführung würden alle sonst beteiligten Künstler in Mitleidenschaft ziehen. Trotzdem bereitet der Film-Fall Kevin Spacey jetzt Unbehagen.
Vorverurteilungen sind problematisch
Technisch ist das, was bei „Alles Geld der Welt“ passiert, gewiss machbar. Aber Schauspieler, ihre Besetzung mit bestimmten Rollen sind künstlerisch (und damit auch menschlich) nicht einfach austauschbar wie Requisiten. Regisseure beharren normalerweise darauf, dass ihre einmal gewählten Schauspieler für sie der Inbegriff ihrer Inszenierung seien.
Und: Im möglichen Missbrauchs-Fall Kevin Spacey ist wohl nicht alles so eindeutig, wie es etwa bei den zahllosen Attacken des Produzenten Weinstein auf junge Frauen zu sein scheint. Anders auch als einst bei Roman Polanski und einer 13-jährigen Party-Bekanntschaft ist laut den Schilderungen von Anthony Rapp zwar von körperlichen Anzüglichkeiten, aber von keinem Sexualverkehr die Rede. Was nach dem Statement von Rapp noch etliche andere (erwachsene) männliche Kollegen von Spacey als Erfahrungen vor allem während dessen Londoner Theaterzeit am Old Vic vorgebracht haben, klingt dennoch unappetitlich. Klingt nach (situativem) Machtmissbrauch durch einen Prominenten. Ohne hier den strafrechtlichen Begriff der Vergewaltigung zu diskutieren oder über unbekannte Details zu spekulieren: Es gibt trotzdem bislang keine Anklage, es ist wenig oder nichts wirklich bewiesen – ganz abgesehen von der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung, an die sich vor allem in der amerikanischen Öffentlichkeit derzeit kaum noch jemand zu erinnern bemüht. Und selbst in Deutschland, wo im Film-, TV- und Showbusiness allerorts ohne konkrete Namensnennung debattiert wird, selbst hier herrscht ein Klima der teils gratismütigen, teils selbstgerechten Vorverurteilung.
Auch eine schlimme Kindheit, von der Kevin Spaceys älterer Bruder Randall Fowler in der „Daily Mail“ ausführlich berichtet hat (der Vater Spacey ein Nazi, Antisemit, Peiniger und sexueller Missbraucher in der Familie), selbst sie entschuldigt nichts, was ein mittlerweile berühmter Star mit seinen weniger privilegierten Mitmenschen privat oder in Ausnutzung seiner beruflichen Stellung womöglich treibt. Aber folgt aus dem Verdacht für den jetzt 58-jährigen Spacey ein – lebenslängliches ? – Berufsverbot, ein gar retrospektiver Bann?
Man muss nicht gleich die früheren Bilderstürmer bemühen
Als die Künstler-Agentin Heike-Melba Fendel zu Gast bei Anne Will vor einigen Wochen auch nur ansatzweise erwähnte, dass es bei Kevin Spacey ohne gesicherte Fakten um den (dennoch nichts vorab entschuldigenden) Respekt gegenüber „einem der bedeutendsten lebenden Schauspieler“ gehe, umgab sie in der TV-Talkrunde sogleich eine eisige Wand.
Man muss heute gegenüber einem übertreibenden Rigorismus nicht gleich die früheren Bilderstürmer bemühen. Oder die modernen Bildmanipulationen eines Stalin, der den Mitrevolutionär Trotzki durch Retuschen bei Film- und Fotoaufnahmen aus der russischen Geschichte löschen wollte.
Aber, der bislang beispiellose Umgang mit dem Fall Spacey lässt einen weiter fragen: Sollen Roman Polanskis oder Woody Allens Meisterwerke, wie es in den USA zum Teil gefordert wird, aus dem cineastischen Gedächtnis verschwinden? Und was wäre mit Charlie Chaplin oder Marlon Brando, die es auch mit sehr jungen Mädchen hatten, und was mit all den noch immer bejubelten Sexsymbolen der Pophistorie?
Sicherlich ist unser Blick, nicht erst durch die Missetaten eines Strauss-Kahn oder Weinstein, geschärft. Und in der Kunstgeschichte weiß jeder halbwegs Kundige, wie viele barbusig stillende Madonnen, wie viele antike Göttinnen, Sklavinnen oder geraubte Sabinerinnen der Erbauung vor allem des männlich lüsternen Blickes galten. Wie ein Großteil der Aktmalerei überhaupt. Oft genug sind sie trotzdem größte Kunst und allemal Zeugnisse anderer Zeiten.
Auch ein Caravaggio ist gegen Angriffe auf sein Werk zu verteidigen
Das gilt auch für den berühmten nackten Amor des Caravaggio aus der Berliner Gemäldegalerie. Die Frage ist nur, ob man ausgerechnet dieser Tage das Gemälde aus seinem um das Jahr 1600 noch halb privaten und dann seit langem musealen Kontext herausnehmen soll und ziemlich knallig, mit dem fotorealistisch entblößten Glied eines etwa zwölfjährigen Modells als Plakatwerbung der Staatlichen Museen zu Berlin unter dem Motto „5.322.913 Kunstwerke 365 Tage 15 Museen“ auf Berliner Litfasssäulen kleben muss. Wie vor Weihnachten geschehen – und alsbald an der empfindlichsten Stelle mit allerlei Kritzeleien bedacht. Die Werbeaktion wirkte frech, doch nicht unbedingt sensibel.
Dennoch ist der wunderbare Künstler Caravaggio, mag er im Leben auch ein Messerstecher und womöglich Liebhaber Minderjähriger gewesen sein, gegen Angriffe auf sein Werk, die es immer wieder gibt, zu verteidigen. Wie auch Nabokovs (rein literarisch gebliebene) erotische Liebeserklärungen an junge Mädchen. Wie Louis-Ferdinand Célines grandioser Weltkriegsroman „Reise ans Ende der Nacht“ – obwohl der Autor zu einem rabiaten Antisemiten wurde. Gallimard wird Célines gegen Juden hetzende Pamphlete 2018 erstmals im Rahmen seiner Gesamtausgabe wieder drucken, aber, was sonst, mit historisch-kritischer Kommentierung.
Die Fallbeispiele sind ohne Zahl. Brecht etwa wurde nicht zu Unrecht sein Sex in Schreibarbeit verwandelndes Verhältnis zu seinen Geliebten und Koautorinnen vorgeworfen. Trotzdem hat Brecht in seinen erotischen Gedichten und mit den Heldinnen seiner Stücke einige der schönsten Frauenfiguren der Weltliteratur geschaffen. Es gehört eben zur Geschichte der Kunst wie zur gesamten Menschheitsgeschichte sehr oft: eine Disproportion von Talent und Charakter. Oft ist sie der Preis und bildet zugleich die humane, weil widersprüchliche Wahrheit der Kunst. Oder anders gesagt: Das Werk ist und weiß mehr als der Autor.
Kevin Spacey übrigens habe ich vor gut sechs Jahren in der weltweit gezeigten Inszenierung von Sam Mendes als Richard III. am Londoner Old Vic leibhaftig erlebt. Er spielte Shakespeares Mörderkönig als furioses, von diabolischem Witz befeuertes Monster. Ungeheuerlich. Ja: genial. Sein Regisseur, der mit ihm auch den Oscar-Gewinner „American Beauty“ gedreht hat, sagte über Spacey damals: „Ich hatte immer das Gefühl, er wurde geboren, um diese Rolle zu spielen.“