Sexuelle Belästigung: Kevin Spacey und sein Sturz vom Olymp
Nach Vorwürfen wegen sexueller Belästigung verliert Hollywood-Star Kevin Spacey seine Reputation. Gerade noch gefeiert, wird er nun zur Unperson. Ein Kommentar.
Wohl oder übel gilt sie immer noch, die alte Weisheit, wonach ein Mensch nur so viel wert ist wie sein Ruf. Eigentlich sollte es anders sein, sollte weniger gelten, was man von jemandem hält, als das, was er ist und was ihn ausmacht. Doch der Fall Kevin Spacey zeigt gerade wieder sehr deutlich, wie wenig von einer öffentlichen Person übrig bleibt, die ihre Reputation verliert. Ihre bürgerliche Existenz steht auf dem Spiel.
Aber wo zieht man die Grenze? Die Vorwürfe gegen den Hollywood-Star, die sich im Zuge der Affäre um Filmproduzent Harvey Weinstein auf ihn ausgeweitet hatten und ihn als notorisch übergriffigen Sex Maniac offenbaren, sind beschämend. Spacey ist offenkundig Täter in dieser Sache, seine Erklärungen reichen für eine Rehabilitierung bei Weitem nicht aus.
Spacey wird aus dem fertigen Film herausgeschnitten
Doch wo leben wir, dass er nun bestraft wird, ohne vor ein Gericht gestellt worden zu sein? Ihn auf der Grundlage unbewiesener Anschuldigungen aus dem Olymp der Unterhaltungsindustrie zu stürzen, wo er eben noch mit „House of Cards“ als Retter des anspruchsvollen Fernsehspiels gefeiert wurde, wirft ein düsteres Licht auf die Art, sich mit unbequemen Wahrheiten auseinanderzusetzen. Als bräuchte es eine prominente Unperson, um das schwerwiegendere Problem sexueller Ausbeutung vergessen zu können.
Es ist jedenfalls nicht damit getan, Spacey aus einem schon fertigen Film wieder herauszuschneiden und durch einen anderen Schauspieler zu ersetzen. Der große Regisseur Ridley Scott hat es dennoch beschlossen. Er befürchtet, dass sein Film über die Entführung des Milliardärserben John Paul Getty III („Alles Geld der Welt“) sonst in dem Skandal um Spacey untergehen würde. Am Markt besteht nur das makellose Produkt. Das erklärt die Leichtigkeit, mit der gerade in Hollywood künstlerische Konzepte über den Haufen geworfen werden, wenn sie finanzielle Nachteile versprechen. Wenn 40 Millionen Dollar auf dem Spiel stehen, ist jeder ersetzbar. Das dürfte Spacey nicht mal persönlich nehmen.
Als diabolischer Bösewicht lebte er in seinen Rollen von Grenzverletzungen
Dass eine solche vorauseilende Selbstzensur gut fürs Geschäft ist, bedeutet nicht, dass sie auch richtig ist. Sollten wir etwa die Musik Richard Wagners nicht mehr hören, weil er Antisemit war? Sollten wir Kinski-Filme verabscheuen, weil er seine eigenen Kinder missbrauchte? Gehören die Songs von Jerry Lee Lewis verbannt, weil er seine minderjährige Cousine heiratete? Und müsste, was von Michael Jacksons Privatleben bekannt geworden ist, nicht ebenfalls für ewige Verdammnis reichen?
Jahrzehntelang fiel nicht ins Gewicht, dass Kevin Spacey als einer der wenigen wahrhaft diabolischen Bösewichter von Grenzverletzungen lebte. Er zerrüttete das Vertrauen in den Schurken als letztlich dumme Figur. Seine Fieslinge waren dem Publikum stets einen Schritt voraus. Und sie gefielen sich darin mit obszönem Spaß. Woher er die Überzeugungskraft für seine Rollen bezog, wollte lieber niemand so genau wissen. Da war einer menschlich ein Monster und brillierte im Kino als Biedermann des Horrors.
Kunst lässt immer wieder in Abgründe blicken
Die interessante Kunst zapft düstere Energien von Menschen an, die diese nicht länger zurückhalten, bändigen, sondern ausleben und verständlich machen wollen. Ob es einem moralisch passt oder nicht: Kunstwerk und Künstler sind einfach nicht voneinander zu trennen. Und die wichtige Kunst lässt uns immer wieder in Abgründe blicken.