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Kritisch. Christa Wolf (hier im Jahr 1978) repräsentierte die DDR, setzte sich aber auch für Dissidenten ein.
© picture alliance / dpa

Briefe von Christa Wolf: „Sind Sie des Teufels?“

Nachrichten einer Aufrechten: Unter dem Titel "Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten" sind die Briefe von Christa Wolf erschienen.

Sie habe oft gesagt, schreibt Christa Wolf 1969 an Brigitte Reimann, „dass es über unsere Zeit leider später mal keine Briefliteratur geben wird, weil kein Mensch mehr Briefe schreibt, aus mehreren Gründen.“ Einen speziellen erwähnt sie gegenüber Gabriele Wohmann: Sie könne sich bei Briefen über die Grenze „nicht ganz von dem Gedanken an die Mitleser befreien“.

Alle sonstigen Gründe aber hat sie selbst so nachhaltig widerlegt, dass Sabine Wolf für den jüngsten Auswahlband auf einen Fundus von rund 15 000 Briefen zurückgreifen konnte, von denen auf 1000 Druckseiten immerhin 483 Platz gefunden haben.

Der Briefwechsel mit Reimann ist schon 1995, noch zu Lebzeiten, vollständig erschienen („Sei gegrüßt und lebe“) und gab eine Kostprobe von der Intensität, Geduld und Zuwendung, mit der sie korrespondierte. Nicht nur, wenn auch bevorzugt, mit Freundinnen, Kolleginnen und Kollegen, sondern auch mit Leserinnen und Lesern ihrer Bücher und – ausnahmsweise – mit Instanzen und Parteigewaltigen der DDR, wenn sie hoffte, etwas bewegen zu können.

Die SED erteilte ihr nach dem Biermann-Protest eine Rüge

Wer sie, wie manche Kritiker, als Staatsdichterin wahrnahm, wozu sie durch DDR-Loyalität im Ausland und ihr spätes Bekenntnis „Für unser Land“ (1990) auch Anlass lieferte, wird sein Urteil nach der Lektüre dieser Briefe überprüfen müssen. Zwar war sie sich auch nach Meinung ihres Biografen Jörg Magenau bei öffentlichen Auftritten im Westen „ihrer Rolle als Repräsentantin der DDR bewusst und handelte danach.“ Aber die SED, der sie bis 1989 angehörte, hat es ihr nie gedankt, auch wenn sie auf einen Parteiausschluss wegen ihres Protests gegen Biermanns Ausbürgerung verzichtete und ihr nur eine strenge Parteirüge erteilte.

In einem Brief an den Parteisekretär im Schriftstellerverband verweigerte sie einen Widerruf: „Dann muss eben auch ich mit dem höchsten Strafmaß rechnen und darauf bestehen.“ Den Chefideologen der SED, Kurt Hager, beschied sie im Oktober 1989 auf sein Versprechen, nun werde alles anders in Staat und Partei, lapidar: „Zu spät“. Doch auch der CDU, die sie 1990 zur Staatspräsidentin der gewendeten DDR machen wollte, antwortete sie entgeistert: „Sind Sie des Teufels?“ Sie habe, bekannte sie nach der Wende in einem Brief an Günter Grass, „dieses Land geliebt. Dass es am Ende war, wusste ich, weil es die besten Leute nicht mehr integrieren konnte, weil es Menschenopfer forderte.“

„Der geteilte Himmel“ und seine Folgen veränderten ihre Wahrnehmung

Dass das keine nachträgliche, sondern schmerzlich durchlittene Einsicht war, belegt jenseits offizieller Rollenspiele schon ihre Korrespondenz mit westlichen Autoren, Verlegern und Germanisten seit dem Erscheinen ihres Romans „Der geteilte Himmel“ (1963). Die vorliegende Auswahl ihrer Briefe, die bis in das Jahr 1952 zurückreicht, macht deutlich, wie dieses Buch und seine Folgen – Lesereisen, Diskussionen und persönliche Kontakte mit Autoren und Verlagen im Westen – ihre Wahrnehmung der politischen und literarischen Welt verändert hat.

Begonnen hatte sie als rechtgläubige Literaturkritikerin für das „Neue Deutschland“ und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Schriftstellerverbands, bevor sie als Erzählerin mit einer „Moskauer Novelle“ (1961) debütierte, die ihr Kollege Günter de Bruyn nicht ohne Ironie als „sozialistisches Märchen“ qualifizierte und die ihr selbst schon 1964 „vorkommt, als hätte ich sie gar nicht geschrieben“.

Ihre Meinung zu Uwe Johnson ändert sich

So kam ihr später auch ihr einziger – vergessener oder verdrängter, vom Opfer verziehener – Stasibericht als IM Margarete vor, der sie nach der Wende von 1989 einholte. Uwe Johnsons „Mutmaßungen über Jakob“ las sie 1960, zunächst nur, um „meine Kenntnisse der westdeutschen Literatur zu vervollständigen“ – als sei ihr nicht bewusst gewesen, dass es sich um ein in der DDR entstandenes, dort abgelehntes Buch eines früheren Leipziger Studienkollegen (bei Hans Mayer) handelte. Sie fand es „unverschämt und überdies oft genug langweilig. Was ideologisch los ist, liegt auf der Hand“, nämlich: „Kenntnis und Nachahmung der westlichen ,Moderne’.“ Dass ihr „Geteilter Himmel“ als Gegenentwurf zu Johnson entstanden sei, wird sie zeitlebens abstreiten, doch schon drei Jahre später räumt sie gegenüber Ernst Schumacher ein: „Von bewusstem Dagegenschreiben kann keine Rede sein, aber das sagt natürlich nicht, das sich nicht irgendeine Gegenposition bei mir ausgedrückt haben könnte.“ Sie müsse das Buch noch einmal lesen. 1983 wird sie DDR-Kulturminister Hoffmann sogar empfehlen: „Uwe Johnson müsste erscheinen“, samt anderen Hauptwerken der Moderne.

„Meine Bekanntheit im Westen ist mein einziger Schutz.“

Kritisch. Christa Wolf (hier im Jahr 1978) repräsentierte die DDR, setzte sich aber auch für Dissidenten ein.
Kritisch. Christa Wolf (hier im Jahr 1978) repräsentierte die DDR, setzte sich aber auch für Dissidenten ein.
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Johnson kennt sie inzwischen persönlich, bei einem Besuch in Begleitung Max Frischs hat er ihr geraten, die DDR zu verlassen, dort könne ein Schriftsteller „nichts Ehrliches schreiben“. Obwohl Frisch zu vermitteln versuchte, blieb ihr „ein Stachel zurück“ – wie 1990, als Jurek Becker forderte, die Autoren der DDR sollten sich insgesamt „zu ihrer vierzigjährigen Feigheit bekennen.“

Das konnte und musste sie nicht auf sich sitzen lassen. Und wenn es dafür nach ihrem mutigen Auftreten – als einzige ihrer Kollegen – auf dem 11. Plenum, nach ihrem Eintreten für Wolf Biermann und ihrer Maßregelung durch die SED noch weitere Beweise brauchte, dann liefern sie die vorliegenden Briefe. Sie zeugen von ihren wiederholten Interventionen bei Erich Honecker, Kurt Hager und dem Zentralkomitee der SED für drangsalierte und inhaftierte Autoren und Bürgerrechtler wie Volker Braun, Lutz Rathenow, Frank-Wolf Matthies, Bärbel Bohley, Ulrike Poppe und von ihrer Weigerung, den Protest gegen Biermanns Ausbürgerung zurückzunehmen.

Dass sie dabei taktischen Gebrauch von ihrer am Ende nur noch formellen Mitgliedschaft in Partei und Schriftstellerverband machte, war nicht Feigheit, sondern Voraussetzung des Erfolgs – dessen sie sich so wenig rühmte, dass einige der Betroffenen erst jetzt davon erfahren werden. Ihr persönlicher Preis für solches Taktieren waren Selbstzweifel, Depressionen bis zu Selbstmordgedanken, die sie nur in Briefen an Freunde und Freundinnen wie Lew und Raissa Kopelew offenbarte.

Sie berichtet von der Überwachung ihres Telefons und ihrer Post

Anfangs macht sie noch Zugeständnisse, lehnt auf Wunsch der Partei einen Preis im Westen ab, legt in der DDR „undruckbare“ Manuskripte beiseite, akzeptiert Zensureingriffe in die DDR-Ausgaben ihrer Bücher, die im Westen ungekürzt erscheinen. 1978 ist es so weit, dass sie ihrem West-Verleger Hans Altenhein (Luchterhand) ankündigt, wenn ihr neues Buch in der DDR nicht erscheinen dürfe, „dann eben zuerst bei Ihnen.“ Beim Kulturminister der DDR beschwert sie sich über den „Dauerzustand, dass keines meiner Bücher in Buchhandlungen zu kaufen ist“. Auf eine Nachauflage ihres Schlüsselromans „Nachdenken über Christa T.“ muss sie lange warten, während das Buch in der Bundesrepublik schon zum Bestseller wird. Jetzt weiß sie: „Meine Bekanntheit im Westen ist mein einziger Schutz hier.“ Ein sehr bedingter Schutz, wenn sie im Brief an Kopelew von Postüberwachung, „Verwanzung“ ihres Telefons und heimlichen Stasivisiten in ihrer Wohnung berichtet. Dass ein griechischer Freund der Familie sie jahrelang bespitzelt hat, erfährt sie erst nach dem Ende der DDR aus den Stasi-Akten. Dem Maler Sieghard Pohl, der Opfer desselben Spitzels wurde, verweigert sie 1990 noch gutgläubig die Vermittlung einer Aussprache mit dem falschen Freund.

Ermutigung und Fürsorglichkeit für junge Autoren

Nur ihr Reiseprivileg, schreibt sie 1984 entnervt an die aus Moskau nach Köln ausgereiste Raissa Kopelew, könne es ihr noch „erträglich machen, hier zu leben und zu arbeiten... Wenn es mir nicht gelingt, mich innerlich unabhängig zu machen von der herrschenden Ideologie, muss ich weggehen.“ Dass es gelingt, verdankt sie ebenso dem Rückhalt bei Freundinnen und Kollegen (auch bei denen, die im Laufe der Jahre weggehen müssen wie Sarah Kirsch, Günter Kunert und Reiner Kunze, von dem sich erstaunlicherweise kein Brief in der reich kommentierten Auswahl findet) wie ihren treuen Leserinnen und Lesern in der DDR.

Sie dankt es ihnen durch Solidarität, Ermutigung und Fürsorglichkeit für junge Autoren, schreibende Frauen und friedensbewegte Christen. Sie bestärkt Erich Loest, ermutigt Lutz Rathenow, fragt Uwe Kolbe im P.S. eines Briefes fürsorglich: „Und wovon lebst du?“ Die junge Herta Müller, in Rumänien von der Securitate bedrängt, lädt sie zu sich nach Berlin ein. Brigitte Reimann und Maxie Wander begleitet sie in ihrem Schreiben und in ihrer Krankheit bis zum Tode, Gerti Tetzner als Freundin jahrzehntelang durch ein ganzes Autorinnenleben. Franz Fühmann nennt sie deswegen hinter ihrem Rücken eine militante Feministin.

Militant? Feministin? Davon kann bei Lektüre ihrer Briefe keine Rede sein. Eher von der mitmenschlichen Güte, die sie mit Heinrich Böll – ihrem und der Kopelews gutem Freund – gemeinsam hatte. Nicht zufällig ist sie 1985 „kurzentschlossen zu Bölls Beerdigung geflogen, ich hatte das Gefühl, es musste sein.“ An ihrer Seite ihr Mann Gerhard Wolf, dem sie zu seinem 82. Geburtstag schreibt: „Dass wir uns getroffen haben, dass daraus unsere Familie gewachsen ist, das ist mein Lebensglück.“

Christa Wolf: Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952-2011. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 1040 S., 38 €.

Am 6.12. um 20 Uhr liest Dagmar Manzel im Deutschen Theater aus dem Band.

Hannes Schwenger

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