Wolf Biermann zum 80. Geburtstag: Sein Witz ist stärker als die Apparatschiks
Wolf Biermann stieg in der DDR zum Symbol des Nichteinverstandenseins auf. Dann warf die SED ihn raus. An diesem Dienstag wird der Sänger und Dichter 80 Jahre alt.
Vor achtzig Jahren begann der Spanische Bürgerkrieg, der drei Jahre später mit dem Sieg der Faschisten endete. Vor achtzig Jahren wurde Wolf Biermann in Hamburg geboren, drei Jahre nach Hitlers Machtergreifung. Statt des Sterns der Geburt gibt es manchmal einen Haufen düsterer Gestirne.
Der Spanische Bürgerkrieg war die Blaupause für das, was danach kam. Das betrifft unmittelbar auch das Denken und Dichten, das Singen, Wirken und Einwirken Biermanns. Der Mythos des Spanienkriegs und sein ästhetischer Nachklapp erreichen ihn direkt. Mag er Brecht seinen Meister nennen und Heine seinen Cousin – der Klang seiner Gitarre und seine Stimmführung verraten früh anderes. Bei dem spanischen Dichter García Lorca heißt es zur Wurzel des Flamenco: „Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Gitarre den Cante jondo gefügt hat. Sie hat die dunkle orientalische jüdisch-arabische Muse, die uralt ist und deshalb stammelt, vervollkommnet und verinnerlicht.“
Genau, sie stammelt. Wie Biermann seine Lieder stammelt, jauchzt, schluchzt und, naja, grölt. Und zwar zuerst immer die von der leichtfertigen Liebe, doch gleich danach die von der großen Hoffnung und davon, was interessant an ihr ist, das Scheitern. So geht es im Flamenco: Der Liebe folgt das Messer, folgt der Schmerz. Eine bestimmte, eine laut herausgeschriene, nur im Scheitern bestehende Hoffnung ist Biermanns Fixierung und Lebensthema, die „lebenrote“, die kommunistische, die „todrote“, genau dieselbe. So wie es im Spanischen Bürgerkrieg vorgezeichnet war: Vorn wird für die Republik gekämpft, hinter der Front lässt Stalin Abweichler liquidieren.
Außen Hochglanz, innen Gefängnis
Der kleinere deutsche Nachkriegsstaat, in den der junge Kommunist Biermann 1953 übersiedelt, folgt der Blaupause: außen die Behauptung von Sozialismus und Republik, innen die Erziehungsdiktatur mit Gefängnis für Andersdenkende und schließlich Einmauerung der ganzen Bevölkerung. Zum Glück gibt es Alltag, zum Glück „gehn wir mal hin“, wo nix los ist, und „die Mädchen gehörn der LPG“ in Buckow zur Süßkirschenzeit. Es gibt einen „Frühling auf dem Mont-Klamott“ und den Hugenottenfriedhof, dort „freun wir uns und gehen weiter/ Und denken noch beim Küssegeben:/ Wie nah sind uns manche Tote, doch/ Wie tot sind uns manche, die leben“.
Aber Biermanns Balladen reicht es nicht, in ein Volkslied zu münden. Er zielt auf die gesellschaftlichen Verhältnisse: „Warte nicht auf bessre Zeiten, / Warte nicht mit deinem Mut... Und das beste Mittel gegen/ Sozialismus (sag ich laut)/ ist, daß ihr den Sozialismus/ AUFBAUT!!!“ Die dialektische Kritik wird selbstverständlich verboten. Biermann ist zu fordernd, zu witzig, zu direkt. Jedes Wort, mit dem er die Utopie einfordert, stellt die realsozialistische Totgeburt in Frage. Neben seinem Furor verblassen die Bemühungen der meisten anderen Utopisten jener Tage. Deshalb wird Biermanns in der Ostberliner Chausseestraße, „in China, hinter der Mauer“ mit Marx- und Engelszungen artikulierte, revolutionäre Programmkunst nur beim Klassenfeind publiziert. Da passt sie mal mehr, mal weniger in den linken Mainstream.
1976, nach fast zwölf Jahren totalen Auftrittsverbots in der DDR, bringt CBS seine vierte eigenständige Langspielplatte heraus unter dem Titel „Es gibt ein Leben vor dem Tod“. Gut gedrosselt singt er „Spaniens Himmel“ dem Ernst Busch nach. Pathetisch tremoliert er seine Fassung des „Commandante Che Guevara“ gegen die Bonzen im Sozialismus. Und er spiegelt sich in seinem romantischen Helden selbst „mit Knarre und Gitarre“, bewusst im Widerspruch zu seiner eigenen populären Pazifistenhymne „Soldat, Soldat in grauer Norm“.
Seine Botschaft erwischte dich
Auf den wunden Punkt kommt er in dem kürzesten Lied: „Wir saßen am Feuer im Dunkeln/ Und sangen das Spanienlied / Die Alten kamen ins Schunkeln / Die Jungen kamen ins Schwärmen / Sie fanden den Abend so nett./ Du aber nicht. Ich sah in dein Gesicht/ Uns drehte sich das alte Lied/ Wie ein rostiges Bajonett/ In den Gedärmen.“ Das Erbe des Spanienkriegs, da war es, dunkel und fatal ergriff es auch mich, den Heranwachsenden, der nichts wusste, der anfing nachzufragen. Auf derselben Biermannplatte findet sich das Lied „Chile. Ballade vom Kameramann“. Es trifft noch immer, trotz der inzwischen großen Distanz, und zwar aus einem wesentlichen Grund: Botschaft kommt nur an, wenn denjenigen, der sie formuliert, tatsächlich etwas erwischt hat: „Der Kameramann zielt genau auf den Mann/ Der Mann legt genau auf die Kamera an/ Dann wackelt das Bild, der Film reißt ab.“ Es hatte ihn selbst wie ein Schuss getroffen. Sonst träfe sein Lied nicht ins Herz.
1988 begegnet der Liedermacher dem Historiker Arno Lustiger, der eben „Schalom Libertad!“, sein Buch über Juden im Spanienkrieg, veröffentlicht hat. Biermann geht zur Lesung und kauft einen ganzen Stapel der Bücher. Sein Talent zu produktiver Freundschaft – hier wird es zum Glücksfall. Voraussetzung dafür, dass diese soundsovielte Begegnung mit der halb eigenen und bekannten, aber noch nicht wirklich erschlossenen jüdischen Geisteslandschaft stattfindet, ist der Fall des Eisernen Vorhangs, doch vor allem der zweite Golfkrieg 1991. Biermanns viel diskutiertes Bekenntnis zur militärischen Verteidigung Israels, für den amerikanischen Krieg gegen Saddam Hussein, ist der Turning Point. Biermann – darf ich es sagen? – findet sein Israel.
Etwa zur selben Zeit fordert Lustiger Biermann auf, ein paar Strophen des hebräisch-jiddischen Dichters Jitzchak Katzenelson in sein kraftvolles Deutsch zu übertragen. 1994 erscheint „Dos lied vunem ojsgehargetn jüdischn volk“ in Biermanns Fassung als „Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk“. Katzenelsons 1800 regelmäßige, gereimte jiddische Verse in 15 Gesängen, kurz vor der eigenen Deportation aufgeschrieben, erzählen vom Widerstand und Untergang des Warschauer Ghettos, von der Vernichtung der europäischen Juden. Dass Biermann das Werk übertragen hat, ist eine große Erfahrung für ihn selbst geworden, etwas, das ihm aufgegeben war. Das Ende der Hoffnung, das Verwerfen allen menschlichen und göttlichen Sinns, das Zerreißen des Herzens, bevor es zu Stein wird – neben der Hinführung zum jiddischen Original ist hier Biermanns Kunst, seine Sprache am rechten Platz. Sein Register der Klage und sein aggressives Potenzial sind gefordert gleich dem des Psalmisten zwischen „Aus Tiefen rufe ich dich“ und den Rachephantasien an den Wasserläufen Babylons.
Der Dämon arbeitet langsam
Das meiste andere, manch Weises und manch weniger Weises zu diesem Sängerleben lese man nach in Biermanns frisch erschienener Autobiografie: wer in Markneukirchen die besten Gitarren herstellt. Warum neben Helga Novak alle zeitgenössischen Dichterinnen verblassen. In welchem Kibbuz die Nachfahren von Jitzchak Katzenelson leben. Noch einmal Lorca: „Ich hörte einen Meister sagen: ‚Der Dämon sitzt nicht in der Kehle, sondern klettert im Innern von den Fußsohlen herauf.’“ Der Dämon ist etwas anderes als die Muse. Es dauert, bis es so einer den ganzen Mann herauf geschafft hat, es braucht ein Leben, ein langes, und unnachgiebige Arbeit. Wolf Biermanns Mythen sind die Macht der Liebe und die permanente Revolution. Sie können nicht scheitern, auch weil sie poetische Bilder sind. Wem diese Stimme etwas sagt, wen Widersprüche mehr fordern als schrecken, der geht auch ein Stück über der Welt und fühlt sich dazu ermutigt. Herzlichen Glückwunsch, Wolf Biermann!
Uwe Kolbe, 1957 in Berlin geboren, lebt heute als Schriftsteller in Hamburg. Zuletzt erschienen sein Gedichtband „Gegenreden“ und sein Essay "Brecht" im S. Fischer Verlag.
Uwe Kolbe
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