Ausstellung "Genesis" bei C/O Berlin: Sebastião Salgado und die Unschuld der Schöpfung
Vom Grauen zur Schönheit: Der Fotograf Sebastião Salgado hat mit seiner Ausstellung "Genesis" in der Fotogalerie C/O Berlin eine Hommage an den Planeten geschaffen.
Fast die Hälfte der Erde befindet sich noch in ihrem Urzustand. So erzählt es Sebastião Salgado. Das klingt wie eine wunderbare Nachricht. Hat der Mensch nicht überall seine hässlichen Spuren hinterlassen? Salgados Schwarz-Weiß-Bilder, die von heute an in der Fotogalerie C/O Berlin ausgestellt werden, zeigen die Welt als Paradies.
Üppige Wälder, majestätische Canyons, geheimnisvolle Eisberge. Man sieht Alligatoren in Brasilien, schaut in die Augen von Affen, Walrossbullen strecken ihre mächtigen Stoßzähnen in die Luft, einem Wal im argentinischen Meer kam Salgado so nah, dass man denkt, er wäre auf dessen Rücken geritten. Den Menschen in diesen Bildern geht es gut, Salgado portraitierte die Korowai in West-Papua, das Nomadenvolk der Dinka im Sudan, die Nenzen am Polarkreis.
Im Eselskarren in den entlegensten Winkel der Erde
Acht Jahre nahm er sich für das Projekt „Genesis“ Zeit, allein fünfeinhalb Jahre war er unterwegs, reiste mit Flugzeugen, Eselskarren und Fesselballons in die entlegensten Gegenden der Welt. „Genesis“ ist eine Hommage an den Planeten. Eine Verbeugung vor der Schönheit der Welt. Und dann kommt der Dämpfer: „Ich habe große Hoffnung für die Erde. Für die Menschheit sehe ich keine Chance“, sagt Salgado gleich zu Beginn des Gesprächs.
Er sitzt im Amerikahaus am Bahnhof Zoo, der Heimat von C/O Berlin, und plaudert vor einer Fernsehkamera, während seine Bilder nach und nach in Holzkisten in die Eingangshalle geschoben werden. Kurz vor der Ausstellungseröffnung ist noch nichts am rechten Platz. Sebastião Salgado sieht’s entspannt, er winkt zum Gruß, singt ein Lied auf Brasilianisch und bittet Gesprächspartner, an seiner linken Seite zu sitzen. Er hört schlecht auf dem rechten Ohr, seit 1991 in Kuwait um ihn herum die brennenden Ölfelder explodierten.
Orte ohne Hoffnung
So braun gebrannt, wie der 71-Jährige ist, sieht er ausgesprochen fit aus. Mit Jeans, North-Face-Jacke und Kappe könnte er sofort ins nächste Abenteuer ziehen. Seit der ausgebildete Ökonom in den 1970er Jahren erstmals eine Leica in die Hand bekam und beschloss, ein professioneller Fotograf zu werden, geht er immer genau dahin, wo es am unzugänglichsten, gefährlichsten und trostlosesten war, dorthin, wo es keine Straßen gibt, keine Häuser und oft auch keinen Funken Hoffnung.
Er fotografiert hungernde Frauen und Kinder in der Sahelzone, er zeigt Sterbende und Massakrierte, für das Projekt „Migrations“ folgt er verarmten Menschen in allen Erdteilen auf der Flucht vor bewaffneten Konflikten und Naturkatastrophen. In Ruanda dokumentiert er die Massaker der Hutu an den Tutsi. Vermutlich war niemand so dicht dran wie er. Er wird zur Legende auf dem Feld der Sozialfotografie. Er arbeitet mit allen großen Magazinen und wird eine Weile von Magnum vertreten, bevor er seine eigene Fotoagentur gründet.
2014 porträtierte ihn Wim Wenders in dem Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ als großen emphatischen Abenteurer. Er zeigt einen Fotografen, der nach den Erlebnissen in Ruanda an der Brutalität der Menschen verzweifelt. „Ich habe unendlich viele Dramen und Tragödien gesehen. Nun hatte ich den Wunsch, den Planeten zu sehen, wie er vor einer Million Jahren gewesen ist“, sagt Salgado.
Sein Neuanfang besteht aus zwei Millionen Bäumen
Nach den Erlebnissen in Ruanda kehrt er auf die Farm seines Vaters im Zentrum Brasiliens zurück. Das üppige Land seiner Kindheit war durch Rodung und Bewirtschaftung in eine Ödnis verwandelt worden. Sebastião Salgados Frau Lélia kommt auf die Idee, den Regenwald wieder aufzuforsten.
„Wir haben über zwei Millionen Bäume gepflanzt, das Ökosystem hat sich regeneriert. Jetzt sind wir gerade dabei, den eingetrockneten Flusslauf des Rio Doce zu renaturieren“, sagt Salgado. Der CO2-Ausstoß des Taschen- Verlages, in dem seine zentnerschweren Bildbände erscheinen, sei durch die gepflanzten Bäume kompensiert, so Salgado: „Wir können den Regenwald aufforsten, wir können Kohlendioxid neutralisieren, wir haben die Techniken, wir haben das Geld. Nur – das Bewusstsein fehlt.“
Nach dem Elend will Salgado das Leben feiern. Die Vorbereitungszeit dauert drei Jahre. Salgado, Lélia und Mitarbeiter ihrer Pariser Fotoagentur stürzen sich in eine ausgedehnte Suche nach Landschaften, Tieren und Völkern, die von der modernen Welt weitgehend unberührt geblieben sind. 30 Ziele in aller Welt stehen schließlich auf ihrer Liste. „Viele Ideen musste ich wieder verwerfen“, erzählt Salgado. „Ich wollte unbedingt Myanmar fotografieren. Ich dachte, es müsste dort herrlich unberührte Flecken geben. Wir haben zwei Leute hingeschickt, um sich das anzusehen. Auf allen Bildern sah man Menschen, die genauso angezogen waren wie Sie und ich.“ Ähnlich bei den Salzkarawanen in der Region Afar im Norden Äthiopiens: Sneakers, Plastikjacken. Das ist es nicht, was er zeigen will.
Sebastião Salgado besucht Völker, die weitab von der Zivilisation im Einklang mit der Natur leben, er ist mehrere Wochen in diesen Gemeinschaften zu Gast, teilt ihren Alltag, genauso, wie er sich den Flüchtlingstreks in Ruanda und im Kongo anschließt. Innere Konflikte, weil er diese Menschen und ihre Riten ans Licht der Öffentlichkeit bringt, hat er nicht. Er zeigt stolze Krieger, selbstbewusste Frauen, Dorfgemeinschaften im Gegenlicht wie in einem Gemälde von Caravaggio.
Die Schönheit gehört nicht dem Westen.
Manchmal richtet er mitten im Urwald eine Art Fotostudio ein, er hängt schwarze Stoffe in die Bäume oder vor eine Hütte und wartet. In Indonesien sitzt eine Gruppe von Schamanen vor seiner Kamera, ein anderes Mal porträtiert er zwei alte Frauen, von denen die eine den besessenen Sohn der anderen ermordet hat. Salgado erinnert sich bei jedem Bild an die Details. Die Menschen, die er zeigt, sind stolz und schön.
Das Pathos des Schwarz-Weiß, die kinematografische Bildkomposition, die so passend scheint beim „Genesis“-Projekt, wurde Salgado bei den Leidenden und Hungernden, die er in Afrika und Lateinamerika fotografierte, zum Vorwurf gemacht. „Schönheit ist kein Monopol der reichen Länder“, sagt er deshalb und wird noch emotionaler als zuvor.
„Niemand findet ein Helmut- Newton-Bild von einer schönen Frauen schockierend. Aber es ist schockierend zu sehen, dass verhungernde Menschen in Äthiopien schön sein können.“ Wir wünschen uns arme Menschen hässlich, behauptet Sebastião Salgado. Unbequeme Perspektiven, in schlechtem Licht.
„Sie sind aber genauso schön wie die Helmut-Newton-Frauen. Ihre Würde ist dieselbe. Das Licht dort ist genauso schön wie das Licht hier. Warum sollen nur die Orte, mit denen unser Gewissen im Reinen ist, schön sein. Es gibt keinen Grund, die schwierigen Dinge hässlich darzustellen“, sagt Salgado und schaut aus dem Fenster, hinaus auf die vom Verkehr verstopfte Hardenbergstraße. Ein Bus hupt laut.
Der Klimawandel ist für alle
„Wir verdienen es nicht zu leben, weil wir keinen Respekt vor der Natur haben, von der wir Teil sind. Wir haben keinen Respekt vor uns selbst“, lautet seine Quintessenz. Am Samstagabend wird er mit Hans Joachim Schellnhuber, dem Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam, diskutieren. Salgado hat auf seinen Reisen mit eigenen Augen gesehen, was Schellnhuber mit Zahlen belegen kann: Der Klimawandel erfasst alle, dabei hat die Mehrheit der Menschen vom massiven Verbrauch der Rohstoffe gar nichts gehabt.
Er sei bei all seinen Reisen immer als Mensch unter Menschen aufgenommen worden, erzählt Salgado. Die Gastfreundschaft, die er erfahren hat, gibt er zurück. Beeindruckt hat ihn ein Besuch bei den Curcuru, einem indigenen Volk in Papua Neuguinea mit außerordentlichem Sinn für Schönheit. Salgado holt sein Handy aus der Tasche. Darauf ist der Häuptling der Curcuru zu sehen. Der Mann steht in Jeans und Jacke vor einem Schloss an der Loire. Er wirkt wie in einem Urlaub vom Paradies.
Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, 71, wuchs auf einer Farm im Zentrum Brasiliens, im Staat Minas Gerais, auf. Er ist ausgebildeter Ökonom. Mit 26 bekam er das erste Mal einen Fotoapparat in die Hand und brachte sich das Handwerk selbst bei. Er bereiste seit den 1970er Jahren die ganze Welt, war vor allem immer wieder in Afrika. Seine fotografischen Dokumentation über das Ende des Industriezeitalters (Workers) und zur globalen Migration (Migrations) machten ihn weltberühmt. Sein jüngstes Projekt Genesis, an dem er acht Jahre lang arbeitete, zeigt die letzten unberührten Naturräume der Welt sowie die Menschen und Tiere, die dort leben.
Ausstellung: C/O Berlin, Eröffnung 17. April, ab 19 Uhr, bis 16.8., Hardenbergstr. 22–24; Sebastião Salgado. GENESIS, 49,99 €
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