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Menschenbilder, Landschaftsbilder. Salgados Fotografie „Nenzen am Polarkreis“.
© Sebastião Salgado/Amazonas images

Wim Wenders Doku "Das Salz der Erde": Schrecklich schön

Auge der Welt: Wim Wenders huldigt dem brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado in seiner Doku „Salz der Erde“.

Ein Mann mit Kamera filmt einen anderen Mann mit Kamera, genauer, zwei Männer mit Kamera fotografieren den ersten. Das Arrangement ist nicht auf den ersten Blick plausibel.

Genau das aber ist das neue Projekt von Wim Wenders, der als Dokumentarfilmer stets erfolgreich etwas tut, das nicht unbedingt Aufgabe des Dokumentarfilmers ist: Menschen in den Zauberkreis zu ziehen, sie das, was wir vermeintlich nur von außen sehen, gleichsam von innen betrachten zu lassen. Aber einen Mann mit Kamera?

Wahrscheinlich wollte Wenders es sich diesmal besonders schwermachen. Sein Porträt-Gegenüber ist der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der jahrzehntelang all jene Plätze aufsuchte, an die keiner freiwillig geht. Systematisch bereiste er Orte der ultimativen Selbstwiderlegung des Menschen: Hunger in der Sahelzone, der Völkermord in Ruanda, die brennenden Ölquellen von Kuwait.

Es gibt Menschen, die Salgado-Fotos grundsätzlich misstrauen, denn sie sind von verstörender Schönheit. Der prominenteste Misstrauensantrag stammt wohl von Susan Sontag. Sie sprach von der „Inauthentizität des Schönen“. Zeugen Salgados Bilder gar von einer Faszination des Todes? Und was bedeutet es, dass die Menschen auf diesen Fotos anonym bleiben, der Fotograf aber nicht, im Gegenteil: Mehrt er seinen Ruhm auf Kosten der Namenlosen?

Wäre Wenders Sontagianer, er hätte diesen Film kaum gemacht. Und wahrscheinlich wäre „Das Salz der Erde“ auch nicht entstanden, hätte Wenders nicht vor einem Vierteljahrhundert zwei Bilder Salgados gekauft, die er rahmen ließ und die seitdem über seinem Schreibtisch hängen. Das war die Primärfaszination.

Sie ist übertragbar, in einen Film – und gerade die Schönheit der Salgado-Bilder wird darin zu ihrem größtem Fürsprecher. Wenders setzt den Fotografen nicht an einen Tisch, sondern mitten in seinen Bildern aus. Klingt einfach, ist es aber nicht. Wim Wenders erfand die „Teleprompter-Dunkelkammer“: Die Kamera steht hinter einem halb durchlässigen Spiegel direkt hinter dem Bildschirm, auf dem Salgados Fotografien zu sehen sind, und filmt den Urheber gleichsam durch diese hindurch. Das ist angewandte Magie. Er ist im gleichen Augenblick wie der Zuschauer mit seinen Motiven konfrontiert. Dazu kommen Filmaufnahmen seines Sohnes Juliano Ribeiro Salgado.

Auf dem Grund des Schönen wohnt der Schrecken

Menschenbilder, Landschaftsbilder. Salgados Fotografie „Nenzen am Polarkreis“.
Menschenbilder, Landschaftsbilder. Salgados Fotografie „Nenzen am Polarkreis“.
© Sebastião Salgado/Amazonas images

Motive? Trifft das Wort? Ein Motiv ist etwas Singuläres, auf Salgados Bildern aber ist nichts nur für sich: Seine Fotografien haben eine ungeheure Tiefe, die Rede von Vorder- und Hintergrund trifft nicht, all seine Menschenbilder sind Landschaftsbilder, das ist ihre Wahrheit und Schönheit. Konnte eine Frau wie Susan Sontag tatsächlich so gedankenlos sein, das Schöne für das Wesen der Schönheit zu halten?

Auf dem Grund des Schönen wohnt der Schrecken. Salgado macht mit jeder Aufnahme die Probe auf diesen Satz. Und Wenders will nichts beweisen, er zeigt. Auch kam Salgado nicht, wie manch andere Fotografen, um bloß ein paar Mal den Auslöser zu bedienen wie ein Schnellfeuergewehr. Er blieb, als hätte er nur ein Recht, Bilder von Menschen und Orten zu machen, die er kennt.

Jeder Fotograf muss sich von seinen Bildern emanzipieren, Salgado gelang das irgendwann nicht mehr, er versank in tiefe Depression. Er ist auf einer Farm in einem entlegenen Teil Brasiliens aufgewachsen – einem jener Paradiese, die man als Kind unbedingt verlassen muss, denn Paradiese sind keine Entwicklungsräume. Jetzt hätte dieser Anfangsort ihn vielleicht heilen können, aber die Farm gab es nicht mehr: Der Großvater war als Viehzüchter zu erfolgreich gewesen, der Boden erodierte; wo einst üppiger Wald war, war nur noch Wüste. Keine Landschaft für depressive Fotografen.

Doch dann begannen Salgado und seine Familie das Unmögliche: Sie pflanzten Bäume in den Staub, 2,5 Millionen bis heute. Nach und nach begann die Erde, die Wurzeln wieder zu halten. Es ist die Kunst von Wenders und Juliano Ribeiro Salgado, diese Gegenwelt ganz allmählich entstehen zu lassen. Ebenso wie sie den Fotografen, der sich selbst überlebte, indem er begann, andere Motive zu suchen, gleichsam hinter dem Rücken des Zuschauers einführen. Wenn wir ihn endlich bemerken, ist er längst da. Im Grunde hat der wiedergeborene Salgado nur noch ein Motiv: Naturvölker, denen es bis heute gelungen ist, den sogenannten Zivilisierten auszuweichen. Fast 46 Prozent des Planeten sind noch in unberührtem Zustand, weiß Salgado. In diesem Satz liegt all seine Hoffnung.

Delphi, FaF, International, Neues Off

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