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Dieter Urbach: Marx-Engels-Platz, Blick von Südwesten auf Dom und Fernsehturm, Berlin-MitteBildmontage, 1972
© Dieter Urbach/Berlinische Galerie, Repro: Kai-Annett Becker

Ost- und West-Berlin in den 60er Jahren: Rücken an Rücken

Die Berlinische Galerie erzählt in der Ausstellung „Planen und Bauen im Berlin der 1960er Jahre“ eine gemeinsame Moderne von Ost und West, die es so nie gab. Denn sie scheint einen wichtigen Faktor zu ignorieren: Die Mauer.

„Kuppel muss wieder gebaut werden, wenn auch in anderer Form“, schrieb Paul Baumgarten 1964 auf eine Skizze des Reichstagsgebäudes, das er, zwanzig Jahre nach Kriegsende, einigermaßen wiederherrichten sollte. Interessant! Denn zu jener Zeit waren Gedanken an Kuppeln vollkommen obsolet, außerhalb des Zeitgeistes. Zumal der Reichstag, gedacht als Berliner Versammlungsort des Bundestages, an der bitteren politischen Wirklichkeit vorbei renoviert wurde. Er blieb im Grunde funktionslos bis zur Wiedervereinigung, die ihm eine neue Kuppel bescherte – nunmehr von Norman Foster.

Die Berliner Baugeschichte hat einige Windungen genommen, ein Spiegel der politischen Geschichte. Doch eine Ausstellung zu „Planen und Bauen im Berlin der 1960er Jahre“ – so die Unterzeile –, die die Berlinische Galerie anlässlich ihrer Wiedereröffnung unter dem Titel „Radikal modern“ zeigt, hätte in aller Deutlichkeit mit dem Mauerbau des 13. August 1961 beginnen müssen, der der Dekade den Stempel aufdrückte. Zwar war der Mauerbau aus historischer Perspektive nicht der Höhepunkt, sondern eher schon das Ende der permanenten Berlin- Krise, aber für die Menschen in beiden Teilen der Stadt doch das unübersehbare Zeichen, dass alle zuvor wortreich beschworenen Friedensbemühungen gescheitert waren und eine frostige Periode permanenter Konfrontation anstand.

Kontinuitäten und deutliche Brüche

Ein halbes Jahrhundert später ist auch der Mauerbau wohl nur mehr eine Episode, nimmt man jedenfalls die jetzige Ausstellung mit ihrem durchgängigen Bemühen um Ausgewogenheit zum Maßstab. Vielleicht, weil die Kuratoren die Mauer nur noch vom Hörensagen kennen? Aus der Vogelperspektive der Ausstellung mag es scheinen, als ob Ost und West in friedlichem Wettstreit um den Anschluss an die internationale Moderne rangen. Aus der Perspektive der damaligen Zeitgenossen befand man sich in zwei verschiedenen Welten, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben wollten.

Das historische West-Berlin scheint derzeit eine große Anziehungskraft zu haben. Die Ausstellung im Ephraim-Palais zeugt davon, ebenso die Menge der Bücher und Veranstaltungen, die sich mit der anscheinend unsterblichen West-Berliner Off- und Pop- und Undergroundkultur beschäftigt. Verflossene Dekaden reizen die Erinnerung. West-Berlin setzte in den Sechzigern fort, was bereits in den fünfziger Jahren begonnen worden war, mit dem „Zentrum am Zoo“ und der Herrichtung des Breitscheidplatzes. Dessen Abschluss markierte 1965 das Europa-Center, eindrücklichste Adaption amerikanischer Vorbilder bis heute: Hochhausscheibe und Einkaufszentrum. Gemeinsam mit der Gedächtniskirche nach Ergänzung durch Egon Eiermann, die dem abrissgeneigten Architekten erst durch ein eindeutiges Bürgervotum abgerungen werden musste, bildete das Ensemble jahrzehntelang das Postkartenbild des Westens.

Im Osten verlief ein deutlicherer Bruch zwischen den fünfziger und den sechziger Jahren. Die Versuche der Rückkehr zu einer „nationalen Bautradition“ hatten sich mit der ökonomisch nicht fortsetzbaren Stalinallee erledigt. Was folgte – im westlichen Abschnitt der nun wieder Frankfurter Allee genannten Straße –, war die industrielle Großtafelbauweise, die die ganze DDR gleichförmig überziehen sollte. Merkwürdig, dass im Osten mit dem Alexanderplatz ein historisch ebenso zweitrangiges Areal zum Zentrum auserkoren wurde wie im Westen mit dem Zoo.

Bauvorhaben als politischer Zündstoff

Die eigentlichen Schlachten der sechziger Jahre wurden jedoch an der Peripherie geschlagen. Aufgestaute Wohnungsnot, verschärft durch die Notwendigkeit der Sanierung von Altbauvierteln, führte in beiden Stadthälften zur Konzeption von Großsiedlungen, die ohne Rücksicht auf überkommene Strukturen errichtet werden konnten. Allerdings war der Westen darin ein gutes Jahrzehnt voraus: Das nach dem Architekten Gropiusstadt genannte Viertel sowie das Märkische Viertel nach Entwurf des Senatsbaudirektors Werner Düttmann waren die beiden größten zusammenhängenden Siedlungen. Sie werden auch in der Ausstellung exemplarisch gezeigt. In Ost-Berlin gab es zunächst eine Fülle interessanter Hochhausstudien, die jedoch keine Aussicht auf Realisierung hatten; die Plattenbausiedlungen Marzahn und Hellersdorf folgten erst später. Mit dem Leninplatz, heute Platz der Vereinten Nationen, fand Hermann Henselmann, der clevere Stadtbaumeister, Ende des Jahrzehnts eine eindrückliche Form sozialistischen Städtebaus, gruppiert um den gigantischen Leninkopf von Nikolai Tomski. Eine Stein gewordene politische Demonstration.

Im Westen entstand an der seinerzeit trostlosen Nahtstelle von Ost und West das Kulturforum, wie so vieles nie richtig zu Ende geplant, sondern ein Versprechen auf die Zukunft. Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, könnte dieses Versprechen mit dem Bau des Museums der Moderne eingelöst werden. Auch das Kulturforum wurzelt in den fünfziger Jahren mit dem Bau der Philharmonie auf damals noch von keiner Mauer geteilter Brache. Die sechziger Jahre sahen dann die schon routinierte Verfestigung dieses vagen Entwurfs, flankiert von den größenwahnsinnigen Autobahnplanungen der „autogerechten Stadt“. Zumindest im Katalog wird deutlich, dass die sechziger Jahre in politischen Konflikten endeten, die sich im Westen an Sanierungen, Umsetzungen, an der sprichwörtlichen „Unwirtlichkeit der Städte“ entzündeten.

Heinrich Kuhn: Wohnbebauung von Chen Kuen Lee, Märkisches Viertel, Senftenberger Ring 80-86Fotografie, um 1970
Heinrich Kuhn: Wohnbebauung von Chen Kuen Lee, Märkisches Viertel, Senftenberger Ring 80-86Fotografie, um 1970
© Heinrich Kuhn/Sabine Krüger, Repro: Isabell Kanthak

Ost- und West-Berlin... ohne Mauer?

Was die sechziger Jahre daneben an Visionen zu bieten hatten, etwa die „totale Stadt“ des Schweizers Fritz Haller oder die „Großhügelhäuser“ von Josef Kaiser (Ost-Berlin), nimmt sich heute eher putzig aus, da Computerprogramme jeden dieser liebevoll gezeichneten Entwürfe mühelos in den Schatten stellen. „Radikal modern“ war man auf dem Zeichenpapier. Dass die wahrhaft technoiden Entwürfe, vom Flughafen Tegel bis zum Turmrestaurant an der Steglitzer Schlossstraße, bereits in die folgenden siebziger Jahre weisen, wird im Katalog überspielt. Es ist eben schwer, ein einzelnes Jahrzehnt in seiner Charakteristik eng zu fassen.

Da tut sich der vor einiger Zeit erschienene Architekturführer „Baukunst der Nachkriegsmoderne“ wesentlich leichter, der die Jahre 1949 bis 1979 beleuchtet. Einer späteren Auflage muss man die Erweiterung auf das Schlussjahr 1989 wünschen, um die gesamte Epoche des geteilten Berlin in den Blick zu nehmen. Doch was man mit dem vorliegenden, 460 Seiten starken Handbuch gewinnt, ist ein unbestechlicher Überblick über alles, was gebaut wurde. Vielleicht wäre das zu viel für eine einzige Ausstellung gewesen. Doch so bleibt der Eindruck, dass das Projekt der Berlinischen Galerie vor allem von dem Willen getragen ist, die Bautätigkeit der sechziger Jahre in beiden Teilen Berlins als gewissermaßen zweieiige Zwillinge der internationalen Moderne zu sehen. Der Bau einer stadtdurchschneidenden Mauer war darin nicht vorgesehen. Den Reichstag, unmittelbar an der Grenze, hat sie bis 1990 zur Bedeutungslosigkeit verdammt.

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