Berlinische Galerie öffnet nach Sanierung: "Radikal modern" – Die Sonne der Sechziger
Endlich zurück: Die Berlinische Galerie öffnet frisch saniert und neu sortiert. "Radikal modern" über Planen und Bauen in den Sechzigern ist die wichtigste der vier neuen Ausstellungen.
Es ist noch nicht so lange her, da wurde in einem Kunstgutachten für die wiedervereinigte Stadt vehement die Schließung der Berlinischen Galerie gefordert. Der Sinn des 1975 im Westteil gegründeten Landesmuseums für moderne Kunst, Fotografie und Architektur mit Berlinensien als Spezialität war nach dem Mauerfall nicht mehr recht zu erkennen, seine Stellung zwischen Nationalgalerie und Stadtmuseum uneindeutig. Heute, 20 Jahre später, käme niemand mehr auf die Idee, die Verteilung der Sammlungsbestände auf andere Museen vorzuschlagen. Die Daseinsberechtigung des Hauses steht außer Zweifel. Nicht zuletzt der Kunstboom Berlins bescherte der Berlinischen Galerie diesen Auftrieb.
Auch in den letzten elf Monaten, während der Schließung des Hauses zwecks Sanierung, stellte niemand solche Grundsatzfragenn. Im Gegenteil, die Berlinische Galerie fehlte in dieser Zeit offenkundig im Ausstellungsangebot der Stadt. Die jetzige Wiedereröffnung führt ihre Notwendigkeit erneut furios vor Augen, mit Björn Dahlems Installation „Mare Lunaris“, Bernhard Martins Präsentation anlässlich der Verleihung des Fred-Thieler-Preises, vor allem aber durch die großartige Ausstellung „Radikal modern“ zur Architektur der sechziger Jahre in beiden Teilen Berlins.
Hier ist zu sehen, was Städteplaner gerade heiß diskutieren, was in der Mode, dem Film, der Kunst längst en vogue ist: das Revival eines bislang mehr gehassten als geliebten Jahrzehnts. Hier lässt sich vergleichen, analysieren, verstehen, worin die Qualität einer brutalistischen Architektur besteht, welche Visionen damals scheiterten, was für Schätze noch immer existieren und geschützt werden müssen. Die Berlinische Galerie ist endlich wieder da. Keine Frage, sie wird gebraucht – zumal in Zeiten, in denen die Nationalgalerie mit ihren Dependancen – Mies-van-der-Rohe-Bau, Friedrichswerdersche Kirche und in Teilen das Museum Berggruen – wegen Sanierung geschlossen sind.
Sechs Millionen Euro hat die Sanierung gekostet
Es ist also ein Glück, das Haus wiederzuhaben, auch wenn sich rein äußerlich nicht viel verändert hat. Die marode Sprinkleranlage musste ausgewechselt werden, wegen des anfallenden Abfalls wurde der gesamte Bilderbestand ins Depot gebracht. Das bedeutete einen aufwendigen Umzug im eigenen Haus. Auch die Beleuchtung wurde erneuert, sonst geschah baulich nichts weiter. Immer noch dominiert die hässliche, sich kreuzende Treppe den Hauptsaal, immer noch besitzt die im ersten Stock allzu tief hängende Decke mit ihren Lochplatten den Charme eines Klassenzimmers und nicht den Appeal eines Museums. Es hilft nichts. Die Berlinische Galerie logiert nun einmal im ehemaligen Glaslager der Stadt. Auch beim zweiten Anlauf seit dem Einzug vor elf Jahren lässt sich offenbar kein Schick hineinzaubern, auch wenn die jetzige Sanierung sechs Millionen Euro gekostet hat.
Ausstellungsarchitekt David Saik versucht dennoch das Beste. Die Präsentation der Sammlung im Obergeschoss hat zwei neue Säle zugeteilt bekommen, die Farbgebung der Wände wurde geändert. Mit den matten Grau-Braun-Beige-Tönen schleicht sich jedoch eine gewisse Tristesse ein, obwohl der Bilderreigen der Jahre 1880 bis 1980 auf diesem Fond eigentlich strahlen sollte. Berlin haut künstlerisch kräftig auf die Pauke, hier kommen Impressionismus und Expressionismus zur Blüte, hier ist der Nährboden für Konstruktivismus, Dada, Neue Sachlichkeit. Und im Schatten der Mauer gedeiht schließlich die Heftige Malerei. Und doch scheint alles unter einer urbanen Bedrückung zu leiden. Selbst auf Leistikows herrlichen Grunewaldseen lastet eine Schwermut. Das Leben in der Stadt ist keineswegs lustig, weder für die Einwohner noch für die Maler.
Eine Patchwork-Identität
Der melancholische Tenor der schönen Hängung, des insgesamt stimmigen Parcours durch ein Jahrhundert Berliner Kunst wird durch zwei neue Kapitel verstärkt. Eine Schenkung bescherte dem Museum den Nachlass des in Vergessenheit geratenen Malers Benno Berneis, der 1916 im Ersten Weltkrieg als Flieger abgeschossen wurde. Zu seiner Zeit war er berühmt, er wurde zusammen mit Liebermann und Matisse ausgestellt. Die Berlinische Galerie würdigt ihn nach fast 100 Jahren nun wieder mit einem eigenen Kabinett, darin höchst symbolisch das Bild eines stürzenden Engels. Neu hinzugekommen ist auch die Abteilung der nach 1933 in Deutschland gebliebenen Künstler, die sich zurückziehen, wenn nicht verstecken mussten. Auch hier gibt es Entdeckungen zu machen, etwa die Kollwitz-Schülerin und Grafikerin Gertrude Sandmann. Der Kunstwissenschaft bleibt ein Riesenfeld zur Erforschung.
Die Träume in Ost und West gleichen sich
Vor diesem Hintergrund der mehr als anderswo sichtbaren Vergangenheit, des baulichen Erbes des „Dritten Reiches“, der allgegenwärtigen Kriegsruinen und der in einer Stadt aufeinanderprallenden politischen Systeme lässt sich auch verstehen, warum Berlin in den sechziger Jahren zum Wunderland des Bauens wurde. Hier sollte es besser werden, vor allem besser als auf der jeweils anderen Seite der Mauer.
Dass sich die Vorstellungen in Ost und West gar nicht allzu sehr voneinander unterschieden, zeigt die Ausstellung von Ursula Müller aufs Schönste. Hier wie dort wurde Altsubstanz mit Neubauten kombiniert, um ein neues Selbstverständnis, eine Patchwork-Identität zu schaffen. Das Staatsratsgebäude der DDR, einst Sitz des Instituts für Marxismus und Leninismus, bekam das Portal IV des Stadtschlosses appliziert, vor dem auf einem Auto stehend Karl Liebknecht die Revolution ausgerufen haben soll. Egon Eiermann musste in seinen radikalen Entwurf für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche die verbliebene Ruine des Vorgängerbaus integrieren – aus Rücksicht auf Bürgersentimentalität. In der neuen City West, dem Bollwerk des freien Konsums, ragen seitdem neben dem Europa-Center als Fingerzeig des neuen Westens die Reste eines wilhelminischen Glockenturms auf.
Der Ostteil der Stadt hielt am Alexanderplatz mit seinem kugeligen Fernsehturm dagegen, dessen Wabenverkleidung eine andere Spezialität der Sechziger vorführt: die Technikverliebtheit, das Arbeiten mit standardisierten Modulen, die serielle Fertigung. Das konnte im Kleinen an einer Fassade, im Großen mit ganzen Wohneinheiten geschehen, die sich zu Großsiedlungen wie Gropiusstadt oder Märkisches Viertel addierten, um der Wohnungsnot Herr zu werden.
Der Protest ließ nicht lange auf sich warten. „Die gemordete Stadt“, „Unwirtlichkeit“ lauteten die Schlagworte in der hitzig geführten Diskussion. In Berlin kursierte ein Plakat von Jürgen Holtfreter, das symbolisch vier ineinandergreifende Hände zeigt, die ein Rad bilden: das Kartell aus Architekten, Senat, Baugesellschaften und Spekulanten. In Übertreibung der hochfliegenden Verkehrspläne des Senats collagierten Georg Kohlmeier und Barna von Sartory in die Luftaufnahme des Oranienplatzes einen Autobahnverteiler, dessen nördlicher Arm nach wenigen Metern abrupt an der Mauer endet. Ein Witz.
Von möglichen Protesten gegen sozialistische Magistralen und Massenbau auf der anderen Seite der Mauer in Ost-Berlin überliefert die Ausstellung nichts. Es wird sie kaum gegeben haben, man wollte sich nicht der Staatsfeindlichkeit verdächtig machen. Dafür kann man in der Ausstellung Träume vom Leben in der künftigen Hauptstadt der DDR besichtigen, auf hinreißenden Collagen von Dieter Urbach. Architekten wie Hermann Henselmann und Jakob Kaiser hatten sie bei ihm bestellt, zur Veranschaulichung ihrer Pläne und nicht zuletzt, um die SED-Oberen zu überzeugen. Vor dem Staatsratsgebäude parkt ein heißer Flitzer, die Menschen tragen Sonnenbrille, denn der Himmel über Ost-Berlin ist wolkenlos. Garantiert.
Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, 29.5. bis 26. 10.; Mi–Mo 10 – 18 Uhr. Katalog 29,80 € bzw. 39,80 €.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität