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Mein Name ist Oleg. Der Dummy simuliert den Luftausstoß.
© Simeon Klein

Wann gibt es wieder Live-Kultur?: Prima Klima

Laut einer Studie sind bei leistungsfähigen Belüftungsanlagen in Sälen und Theatern Corona-Infektionen „nahezu ausgeschlossen“.

Ein Aufatmen geht durch die deutsche Kultur: Konzerte, Opern- und Theateraufführungen können in Gebäuden mit moderner Klimatechnik nicht zu Superspreader-Events werden. Das beweist eine neue Studie, die das Konzerthaus Dortmund in Auftrag gegeben hat. Dessen Intendant Rafael von Hoensbroech gehört zu den Pionieren in Sachen Live-Kultur unter Corona-Bedingungen. Bereits im Juni konnte dank eines ausgeklügelten Hygienesystems der Live-Betrieb in seinem Haus wieder anlaufen – ausgerechnet mit einem Auftritt des Berliner Konzerthausorchesters, das damals in seinem Stammhaus am Gendarmenmarkt noch nicht auftreten durfte.

Auch nach dem erneuten Shutdown ruhte der Dortmunder Intendant nicht, sondern realisierte mit dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut Goslar und der Messtechnik-Firma ParteQ eine Studie zur räumlichen Ausbreitung von Aerosolen und CO2 in seinem Haus. Umfangreich waren die Experimente, die im November im Zuschauerraum sowie in den Foyers des modernen, 2002 eröffneten Gebäudes vorgenommen wurden.

Eine Vollbesetzung der Säle ist "denkbar"

Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse bestätigen auf beglückende Weise alle bisherigen Annahmen der Fachleute: Dank einer leistungsfähigen Klimatechnik ist die Gefahr der Übertragung von Infektionen durch Aerosolübertragung in Dortmund „nahezu ausgeschlossen“. Kommt zu der Leistung der Lüftungsanlage noch hinzu, dass alle Besucherinnen und Besucher einen Mund-Nasen-Schutz tragen, verringert sich hier die Aerosol- und CO2-Belastung laut der Studie so stark, dass sogar eine Vollbesetzung des Saales „denkbar wäre“.

Eine Hauptrolle bei den Untersuchungen spielte der Dummy Oleg, der über einen Schlauch den Ausstoß von menschlichem Atem im Saal simulieren kann. Aber es nahmen auch Mitarbeiter des Konzerthauses sowie Musikerinnen und Musiker der Dortmunder Philharmoniker teil. Je mehr Menschen im Saal anwesend sind, desto besser funktioniert laut der Studie auch der Luftaustausch nach oben, aufgrund der thermischen Effekte durch die warmen Körper.

Die Daten sind übertragbar auf Berlin

Die Untersuchung zeigte außerdem, dass es praktisch keine Beeinflussung durch Aerosole auf den Nachbarplätzen gab. Darum sollten lediglich die Plätze jeweils vor den Besucherinnen oder Besuchern nach Empfehlung der Experten frei bleiben, wenn dem Publikum gestattet wird, mit Beginn der Aufführung die Maske abzulegen. Auf den Gängen und in den Foyers sei die Maske dagegen notwendig, da hier die Lüftung anders funktioniere und enge Kontakte nicht auszuschließen seien.

Als „hervorragende Untersuchung mit viel Aussagekraft“ bezeichnete Heinz-Jörn Moriske, Direktor und Professor im Umweltbundesamt, das Ergebnis und betonte, dass eine 50-prozentige Besetzung der Säle künftig sinnvoll ist. Eine geringere Auslastung habe nämlich „keinerlei Mehrwert für den Infektionsschutz“. In den meisten Sälen waren deutschlandweit nach der Sommerpause aber zumeist nur Belegungen von 20 bis 25 Prozent erlaubt. „Bei schachbrettartiger Verteilung der Gäste und 100 Prozent Volllast der raumlufttechnischen Anlage ist das Infektionsrisiko sehr gering“, so Moriske, „das Tragen von Mund-Nasen-Schutz im Saal ist nicht von so großer Bedeutung wie vorher angenommen“.

Entspannt reagierte Sebastian Nordmann, der Intendant des Berliner Konzerthauses, auf die Studienergebnisse: „Die Ergebnisse aus Dortmund sind für uns nicht überraschend“, erklärte er auf Tagesspiegel-Anfrage. Die Berliner Kulturverwaltung habe selber im Herbst Professor Kriegel von der TU beauftragt, die Lüftungsanlagen in den Berliner Kultureinrichtungen zu untersuchen. Seine „Berechnungen der Infektionsgefahr im Innenraum bei manueller oder maschineller Belüftung“ lägen seit November 2020 vor. „Sobald der Lockdown beendet ist, kann das Konzerthaus auch auf dieser Grundlage mit seinem bewährten Hygienekonzept wieder Publikum zulassen.“

Die Intendantin der Berliner Philharmoniker, Andrea Zietzschmann, sagte dem Tagesspiegel: „Die Ergebnisse der Studie lassen sich fast eins zu eins auf die Situation in der Philharmonie übertragen.“ Ihr Haus habe bereits ähnliche Untersuchungen durchführen lassen. Erste Ergebnisse zeigten auch hier die gute Wirkung einer Klimaanlage mit 100-prozentiger Frischluftzufuhr: „Ich hoffe sehr, dass die Dortmunder Studie uns allen zugut kommen wird.“

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