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Das 2002 eröffnete Konzerthaus wurde bewusst auf die Schattenseite der Dortmunder Innenstadt gebaut.
© Daniel Sumesgutner

Konzerthaus Dortmund: Moll und Dur an der Ruhr

Spitzenleistungen im Verborgenen: Viele Stars der Klassik kommen ans Konzerthaus Dortmund. Chef Raphael von Hoensbroech wechselt aus Berlin in die Stadt.

Fans der Hochkultur haben es nicht leicht in einer Region, wo das höchste Lob lautet: „Der ist bodenständig geblieben.“ Wer sich für Bach, Beethoven und Co begeistert, gerät hier schnell in den Verdacht, abgehoben zu sein. Und das geht gar nicht. Raphael Reichsgraf und Marquis von und zu Hoensbroech, 1977 als Sohn eines Bayer-Managers in Tokio geboren, studierter Geiger und Jurist, der vor seinem Einstieg ins Kulturmanagement als Unternehmensberater gearbeitet hat, muss sich also genau überlegen, wie er als Intendant des Dortmunder Konzerthauses sein potenzielles Publikum anspricht.

Er lässt die niederländischen Adelstitel weg und bittet im aktuellen Spielzeitheft: „Vertrauen Sie uns.“ Denn das, was er in der östlichsten Ruhr-Metropole zu bieten hat, ist tatsächlich hochklassig. Mit Mirga Grazinyte-Tyla konnte Hoensbroech die international interessanteste Dirigentin in dieser Saison als Dortmunder Exklusivkünstlerin engagieren, Martha Argerich, Daniiel Trifonov und Joyce di Donato sind hier ebenso zu erleben wie Philippe Jarrousky oder Mitsuko Uchida, das Marijnski-Orchester kommt mit Valery Gergiev, Teodor Currentzis mit dem SWR Symphonieorchester, Gustavo Dudamel dirigiert einen konzertanten „Fidelio“, der neue Chef der Metropolitan Opera, Yannick Nezet-Séguin, steht bei der „Frau ohne Schatten“ am Pult.

Publikumsnähe und hervorragende Akustik

Sie kommen also alle auch in Dortmund vorbei, die Stars der Klassik. Denn das Haus hat zwei Trümpfe: Das steil ansteigende Parkett, das den Künstlern das Gefühl gibt, ganz nahe am Publikum zu sein, weil sie geradewegs in die Gesichter der Zuhörer schauen. Und eine hervorragende Akustik, klar und präsent, verantwortet von Brigitte Graner.

Das Konzerthaus Dortmund ist der hidden champion unter den bundesrepublikanischen Klassik-Institutionen. Und Mitglied in der exklusiven European Concert Hall Organization. Raphael von Hoensbroech, der von 2013 bis 2018 Geschäftsführender Direktor im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt war, bevor er nach Dortmund wechselte, kann also seinen Sponsoren aus der Wirtschaft mit stolzer Brust entgegentreten: Denn Unternehmen, die hochqualifizierte Mitarbeiter anwerben wollen, brauchen weiche Standortfaktoren. Da ist der Fußballverein BVB für die Lebensqualität wichtig, ebenso aber auch ein hochwertiges Kulturangebot. Das Konzerthaus kann seinen Förderern für ihr Geld also einen Mehrwert bieten.

Schlimme Nachkriegsarchitektur

Gerade ist Dortmund bei einem bundesweiten Städte-Ranking des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts mal wieder auf einem der hintersten Plätze gelandet. Nur Bielefeld, Gelsenkirchen, Bochum und Duisburg schnitten noch schlechter ab. „Vielleicht ist ,wunderschön’ nicht die treffendste Beschreibung“, hieß es mal in einer Dortmunder Stadtmarketing-Broschüre. Das sollte witzig sein, doch jedem, der per Zug hier anreist, vergeht das Lachen schnell.

Jenseits einer dröhnenden Schnellstraße, die ausgerechnet Königswall heißt, recken sich Bausünden der 60er und 70er Jahre in den Himmel. Sicher, Dortmunds Innenstadt wurde im Zweiten Weltkrieg zu 98 Prozent zerstört, doch was dann entstand, sieht aus, als hätten sich die schlechtesten Architekten der Republik zusammengetan, um den Prototyp der gesichtslosen modernen Großstadt zu schaffen.

Ulrich Andreas Vogt trieb den Bau des Konzerthauses voran

Die Idee, das triste Zentrum durch ein Konzerthaus aufzuwerten, kam in den 90er Jahren aus der Bürgerschaft selber. Ulrich Andreas Vogt, musikbegeisterter Erbe einer örtlichen Gebäudereinigungsfirma, setzte sich an die Spitze der Bewegung. Im Herbst 2002 konnte der fast 50 Millionen Euro teure Bau mit 1500 Sitzplätzen eröffnet werden, Vogt wurde Gründungsintendant, erwarb sich schnell Respekt in der Klassikszene, setzte auf ein offenes Haus mit CD-Laden und Café im Foyer, musste aber nach nur vier Jahren wegen Querelen mit der Lokalpolitik seinen Hut nehmen. Nachfolger wurde Benedikt Stampa, der so erfolgreich war, dass er 2018 ans größte Festspielhaus des Landes berufen wurde, nach Baden-Baden.

Nur die Sache mit der Gentrifizierung hat er nicht hinbekommen. Das Konzerthaus war bewusst auf der Schattenseite der Dortmunder City gebaut worden, zwischen Dönerbuden und Ramschläden. Doch der Kulturpalast, dessen Fassade tagsüber opak schimmert und nachts von computergesteuerten Leuchtstoffröhren belebt wird, wirkt auch 2020 noch wie ein Ufo, das sich verflogen hat.

Die Musiker besuchen mit ihren Instrumenten Kiez-Treffs

„Unsere Nachbarn empfinden das Konzerthaus als Stachel im Viertel“, gibt Raphael von Hoensbroech zu. „Die Anwohner sehen, wie abends Menschen in Abendgarderobe vom Parkhaus in den Konzertsaal huschen und später wieder zurück.“ Darum will der Kulturmanager eine Initiative starten, die er „Community Music“ nennt. Jenseits der Hemmschwelle, das Hochkultur-Haus zu betreten, sollen potenzielle Zielgruppen für Musik begeistert werden. Hoensbroechs Mitarbeiter schwärmen aus in die bestehenden Kiez-Treffs, nehmen Instrumente mit, versuchen, die Leute zum gemeinsamen Singen zu animieren.

„Unser Ziel ist es dabei nicht, aus den Menschen Ticketkäufer zu machen“, betont der Intendant. Sondern zu zeigen, was das Konzerthaus der ganzen Stadtgesellschaft bieten kann. Das bürgerliche Publikum strömt ja ohnehin, die Auslastung liegt bei 76 Prozent, gut die Hälfte der Besucher kommt von außerhalb, vor allem aus Münster, Hamm, Witten und dem Sauerland. Sie wissen Konzertreihen wie die „Jungen Wilden“ zu schätzen, bei denen sich der Spitzennachwuchs präsentiert, aber auch die jährliche Hommage an einen Altmeister, die diesmal dem 93-jährigen Komponisten György Kurtag gewidmet ist.

Ein Musikraum mit viel Ahornholz und weiß verputzten Wänden

Ein großer Erfolg war das Experiment mit dem „Blackbox“-Konzert, bei dem die Leute vorher nicht erfahren, was am Abend gespielt wird. „Die Aufnahmefähigkeit derer, die nichts erwarten, ist größer als diejenige derer, die schon wissen, was auf sie zukommt“, hat Hoensbroech beobachtet. Und er ist sich sicher: „Diese Leute werden zu Multiplikatoren jenseits der Stammklientel.“

Mit seiner hellen, freundlichen Anmutung ist das Dortmunder Konzerthaus kein typischer Musentempel. Der Saal schwebt über der großzügigen, zur Fußgängerzone verglasten Eingangshalle, nach dem Aufstieg in die Bel Etage empfängt den Besucher ein Musikraum mit viel Ahornholz und weiß verputzten Wänden. Neben Klassik finden hier ebenso auch Jazz und Pop statt, Götz Alsmann schaut vorbei, Ester Ofarim oder auch der Wiener Humorist Voodoo Jürgens.

Raphael von Hoensbroech weiß die programmatische Freiheit zu schätzen, die er als Intendant ohne eigenes Orchester in Dortmund hat. Nur in Sachen Selbstbewusstsein zeigt die Stadt noch Defizite. Als der Neue seine Begrüßungsrunde drehte, hörte er immer wieder dieselbe Frage: „Sind Sie in Berlin rausgeflogen?“

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