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Metal-Fan. Jacek (Mateusz Kosciukiewicz) in "Twarz".
© Bartosz Mronzowski

„Twarz“ im Berlinale-Wettbewerb: Polen hat den Größten

Wettbewerbsbeitrag aus Polen: Die Regisseurin Małgorzata Szumowska nimmt sich in ihrer Satire „Twarz“ die katholische Kirche vor.

Vorweg einige Fakten, die Sie über unsere polnischen Nachbarn vielleicht nicht wussten. Im Klinikum von Gliwice wurde 2013 die erste erfolgreiche Gesichtstransplantation durchgeführt. Oder dieser: In Świebodzin, unweit der deutsch-polnischen Grenze, befindet sich seit 2010 die höchste Christus-Statue der Welt, sie überragt das berühmte Vorbild in Rio de Janeiro um sechs Meter. Kein Witz. Mit einem Witz, den man den gottesfürchtigen Polen danach allerdings ebenfalls zutrauen würde, beginnt Małgorzata Szumowskas Film „Twarz“ – ein Titel, der lautsprachlich die schönsten Assoziationen weckt, aber nur das polnische Wort für „Visage“ ist. Am Anfang von „Twarz“ harrt eine Meute Konsumwütiger vor einem Kaufhaus aus, ein Schild verkündet „Weihnachtsschnäppchen für Nackedeis“. Als sich die Ladentüren öffnen, gibt es kein Halten mehr: Die Menschen stürmen das Geschäft, reißen sich in Zeitlupe die Kleider vom Leib, prügeln sich um die Sonderangebote. Zombies im Kaufhaus. O, du selige Weihnachtszeit.

Die Unterwäsche-Schlacht am Grabbeltisch fungiert in „Twarz“ als bizarrer Prolog zu einer bösen Gesellschaftssatire, die ihre Ziele mit einem bewundernswerten Ruhepuls trifft – ohne ihre Pointen einer Farce zu opfern, die in der Geschichte durchaus angelegt ist. Die titelgebende Visage gehört dem End-Zwanziger Jacek (Mateusz Kościukiewicz), der mit der für die Provinz typischen Mischung aus Langeweile und Heavy Metal aufgewachsen ist. Seine Kutte zieren Metallica-Patches, die Cover der Frühwerke „Ride the Lightning“ und „Master of Puppets“. Seine Freundin Dagmara (Małgorzata Gorol) hat eindeutig den schlechteren Musikgeschmack: In der Dorfkneipe tanzt sie lasziv zu Eurodisco-Stampfern. „Schlampe“ nennt Jaceks Mutter (Anna Tomaszewska) sie. Aber die Provinz-Erfahrung verbindet die beiden – noch.

Die höchste Christus-Statur der Welt

Denn Jacek hat große Pläne. Er will nach England abhauen, statt in dem Kaff, in dem Xenophobie, Homophobie und Katholizismus eine hässliche Verbindung eingehen, zu versauern. In der Gegend entsteht gerade – in einem Anflug von provinziellem Größenwahn, der in den Beschreibungen Szumowskas aber auch symptomatisch für die polnische Mentalität ist – die höchste Christus-Statue der Welt. Der Dorfbevölkerung stiftet die Großbaustelle Seelenheil und Arbeitsplätze. Hier verdient sich auch Jacek, der schon wegen seines Musikgeschmacks als Außenseiter, als „Satanist“ gar, gebrandmarkt ist, Geld für seine Fluchtkasse. Einzige Komplizin ist seine Schwester, deren fetter Ehemann auf Familienfeiern rassistische Witze zum Besten gibt.

Die Szene beim Weihnachtsessen ist ein schönes Beispiel für Szumowskas komödiantisches Timing. Sie testet die unterschiedlichen Gradationen von Situationskomik, bis der Witz schließlich vom Rassismus des Schwagers komplett abgewürgt wird. Die Phrase vom Lachen, das im Hals stecken bleibt, darf man hier ausnahmsweise wörtlich nehmen.

In Polen gibt es 130 lizensierte Teufelsaustreiber

„Twarz“ schlägt noch einmal ganz andere Humor-Register an, als Jacek auf der Baustelle einen Arbeitsunfall hat. Die Ärzte können sein Leben nur retten, indem sie sein Gesicht transplantieren. Die Medien stürzen sich danach auf den „Freak“, die Nachbarskinder verspotten ihn, Dagmara findet einen Neuen und die Mutter sucht Hilfe bei einem Exorzisten – die verstörendste Szene des Films. Auch das ist kein Witz: In Polen gibt es aktuell 130 lizensierte Teufelsaustreiber.

Die Stärke von Szumowskas Film besteht genau darin, den Irrsinn, der sich momentan in Polen abspielt, mit souveräner Beiläufigkeit vorzuführen. In der Beziehung zu seiner Schwester – keiner aus der Familie trägt einen Vornamen – bewahrt sich Jacek seine Würde. Und der Klerus ist schließlich gezwungen zu improvisieren. Am Ende guckt der Erlöser etwas schräg.

24.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 12.30 Uhr (HdBF), 21 Uhr (HdBF), 25.2., 14 Uhr (Cinemaxx 7)

Andreas Busche

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