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Polen: Jesus blickt auf Berlin

Ein Priester baut in der westpolnischen Stadt Swiebodzin an der Grenze zu Deutschland eine riesige Christus-Statue, größer als in Rio. Die Kirche ist misstrauisch.

Die ersten Pilger sind schon da. Abends, wenn die Bauarbeiter weg sind, kommen sie in ihren Autos gefahren, um den noch dreigeteilten Gottessohn zu bewundern. Der soll schon in wenigen Wochen als größte Jesus-Statue Europas auf einem Hügel der westpolnischen Stadt Swiebodzin stehen und wie sein Vorbild in Rio de Janeiro segnend die Arme ausbreiten.

Noch strecken sich die Arme – über eine Länge von fast 25 Metern – am Fuß des aufgeschütteten Hügels aus Erde, Findlingen und neu gepflanzten Bäumen. Auch der Kopf Christi steht noch am Boden. Der strahlend weiße Korpus ragt hingegen – eingerahmt von einem großen Kran – schon weit übers Lebuser Land.

„Ich finde es großartig, dass wir hier so eine Christus-Statue wie in Rio bekommen“, sagt eine etwa 50-jährige Frau, die mit ihrem Mann und einer Enkelin die Baustelle bewundert. Sie wohnt in einem wenige Kilometer entfernten Dorf, ist gläubige Katholikin und spendet seit Jahren immer wieder für das Projekt, das der Priester von Swiebodzin, Sylwester Zawadzki vor einigen Jahren begonnen hat.

„Ich verehre den Priester für sein Durchhaltevermögen und seinen unerschütterlichen Glauben“, sagt die Frau: „Der Glaube hat Polen immer gerettet“. Ihren Namen will sie nicht nennen, denn der gigantische Jesus hat auch Kritiker.

Sylwester Zawadzki ficht das nicht an. Vor zehn Jahren hat er den „inneren Ruf“ vernommen, eine Christus-Statue zu errichten. Es war nicht sein erster Bau. Der heute 78-Jährige hat auch schon eine Kirche in Swiebodzin errichtet. Sie sollte auf keinen Fall modern sein, deshalb entwarf er selbst die Pläne. Das Gotteshaus, für das bereits an der viel befahrenen Europastraße 30 von Berlin nach Warschau geworben wird, erinnert mit seinen zwölf Aposteln auf hohen Säulen, den vielen kleinen Kapellen und grellbunten Bildern ein wenig an Disneyland – aber viele Menschen in Swiebodzin stört das nicht.

„Zawadzki hat schon in kommunistischen Zeiten viel für die Stadt getan“, sagt ein Mann, der in der Kirche arbeitet. Im nahe gelegenen Supermarkt hört man, der Priester helfe den Armen und sorge mit der Christus-Statue letztlich dafür, dass Swiebodzin bekannt würde.

Das hoffen auch viele der 22 000 Einwohner, die meisten Stadtväter, Restaurantbesitzer und Hoteliers. Dabei ist Swiebodzin keine arme Stadt. Die Arbeitslosigkeit liegt seit Jahren unter zehn Prozent, ausländische Investoren haben viele Betriebe übernommen, der nahe gelegene Ostwall lockt Touristen an. Eine Christus-Statue, größer als die von Rio de Janeiro, sei aber eine andere Dimension, sagen die Befürworter. Und freuen sich auf tausende Pilger aus ganz Europa. Deshalb blickt der Jesus nach Westen, Richtung Berlin.

Gegner der Statue werfen dem Priester Gigantomanie und Größenwahn vor. Zawadzki wolle nicht Gott, sondern sich selbst ein Denkmal setzen, heißt es. Und dabei gehe er große Risiken ein. Tatsächlich erscheint die noch unvollendete Konstruktion auf dem Hügel selbst Laien als etwas windige Angelegenheit. Denn im Gegensatz zur Christus-Statue von Rio de Janeiro ist sie weitgehend hohl, besteht aus Drahtgerüst, das mit Beton umgeben ist und wiegt sehr viel weniger als ihr Vorbild am Zuckerhut.

Ende des Jahres 2008 verfügten die Behörden einen Baustopp, weil der Priester nur eine Genehmigung für eine 22 Meter hohe Figur beantragt hatte und es Zweifel an der Statik gab. Jetzt ist Christus mit Krone 36 Meter hoch und manche Proportion scheint problematisch. So muss derzeit das Kinn des Gottessohnes gestützt werden, vor einigen Tagen stürzte ein Baukran beim Transport des Kopfes um und verletzte einen Arbeiter.

Der Baustopp von 2008 wurde wieder aufgehoben – nur böse Zungen behaupten, dass dazu auch die Drohungen der Zawadzki-Anhänger gegen die Behörden beigetragen haben. Der Priester selbst erzählt gern die Geschichte von dem Architekten aus Zielona Gora, bei dem er 1988 die Genehmigung zum Bau seiner Kirche beantragte. „Nur über meine Leiche“, habe der geantwortet – und sei drei Monate später gestorben.

Kein Wunder, dass sich die meisten Swiebodziner nicht mit solchen Mächten anlegen wollen – dennoch wurden die Kritiker des Priesters immer mehr. Nicht nur, weil er nie offenlegte, woher die Gelder für das Denkmal kamen. Auch nicht nur, weil er den Arbeitern und Firmen sehr geringe Löhne zahlte und Häftlinge als billige Arbeitskräfte benutzte. Sondern vor allem, weil selbst die katholische Kirche in Polen dem Projekt bislang den Segen verweigert und schweigt.

Auch in Deutschland will man sich nicht äußern. Kein Kommentar, heißt es von der Deutschen Bischofskonferenz, dem Bistum Görlitz und dem Erzbistum Berlin, Brandenburg, Vorpommern. Dabei setzt Priester Zawadzki sehr auf die Nachbarn. Deutsche Katholiken hätten nun endlich auch einen Wallfahrtsort, argumentiert er. Das will der Sprecher des Erzbistums Berlin, Stefan Förner, nicht kommentieren. „Wir haben aber auch in Berlin und Brandenburg Wallfahrtsorte“, sagt er: „Zum Beispiel in Werder, Berlin-Mariendorf oder Neuzelle“.

Sandra Dassler

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