Zum Tod des US-Autors: Philip Roth – der Schriftsteller, für den das Schreiben zum Kampf wurde
Er war einer der produktivsten und einflussreichsten US-Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Zum Tod von Philip Roth, der mit 85 Jahren gestorben ist.
Als Philip Roth Anfang dieses Jahres der „New York Times“ ein Interview gab, gestand er, sich jeden Tag aufs Neue darüber zu freuen, am Leben zu sein, er mit einem Lächeln im Gesicht abends ins Bett gehe und mit einem solchen wieder aufwache. Von einer „Illusion“ sprach er noch, dass das alles womöglich nie aufhöre, aber auch, dass dieses Leben im hohen Alter ihm wie ein Glücksspiel vorkomme, dass er dauernd gewinne: „Mal sehen, wie lange mein Glück anhält.“
Es hat ihn nun verlassen. Philip Roth ist am Dienstag im Alter von 85 Jahren an Herzversagen gestorben, umgeben von langjährigen Freunden, wie es sein Biograf Blake Bailey auf Twitter mitteilte. Das klingt nach einem einigermaßen friedlichen Sterben, als ob es Roth vergönnt gewesen sei, keinen qualvollen Tod gehabt zu haben, als sei er noch auf dem Totenbett heiter und ausgeglichen gewesen. Diese heitere Ausgeglichenheit schien nämlich entscheidend sein Wesen zu bestimmen, nachdem er – ausgerechnet er, einer der größten, einflussreichsten und produktivsten US-Schriftsteller des 20. Jahrhunderts – 2012 bekannt gegeben hatte, nie wieder eine Zeile schreiben zu wollen.
Der Erfolg war für Roth nicht einfach zu verarbeiten
Gerade in den Jahren zuvor hatte er mit zahlreichen schlanken, höchst konzentriert wirkenden Romanen wie „Die Demütigung“, „Nemesis“ oder „Exit Ghost“ bewiesen, dass ihm die Stoffe nicht ausgingen, dass ein Schriftsteller auch im hohen Alter zu literarischen Höchstleistungen befähigt sein kann, und dann kam ihm doch die weise Einsicht, dass es nicht mehr reiche, seine beste Arbeit hinter ihm liege und er den Kampf, der das Schreiben für ihn geworden war, nicht mehr gewinnen könne: „Ich bringe es nicht mehr über mich, an manchen Tagen fünf Seiten zu schreiben und sie dann wegzuwerfen. Ich kann das nicht mehr.“ Und: „Ich hatte einfach nicht mehr die geistige Lebhaftigkeit oder die verbale Energie oder die physische Fitness, um eine großen kreativen Angriff auf eine komplexe Struktur wie einen Roman zu starten. Jedes Talent hat seine Bedingungen, seine Beschaffenheit, sein Ausmaß, seine Kraft - nicht jeder kann für immer ergiebig sein.“
So wurde dann der im Jahr 2010 veröffentlichte Roman „Nemesis“ über eine Polio-Epidemie in seiner Heimatstadt Newark, in der Roth als Enkel des jüdischen Emigranten Sender Roth 1933 geboren wurde, zum Abschluss eines großen Werkes, das aus fast dreißig Romanen besteht – und das trotz der Entspanntheit, die Roth im Alter ausstrahlte, diversen Lebens-, Schreib- und Identitätskrisen abgerungen war.
Nachdem er in den mittleren fünfziger Jahren nach dem Besuch mehrerer Universitäten zum Dozenten für Englische Literatur und auch Creative-Writing-Lehrer geworden war, debütierte er 1958 selbst mit dem aus mehreren Erzählungen und einem Kurzroman bestehenden Buch „Goodbye Columbus“, das ihm prompt auch den National Book Award einbrachte. Es folgten zwei weitere, eher konventionelle Romane, bis ihn dann Ende der sechziger Jahre „Portnoys’ Beschwerden“ weltberühmt machte und ihm lange das Label eintrug, ein „Skandalautor“ zu sein.
„Portnoys Beschwerden“ ist die in Form eines Monolog gehaltene Lebensbeichte eines jüdischen Intellektuellen, der auf der Couch eines Psychoanalytikers sein Innenleben ausbreitet, immer schwankend zwischen den sexuellen Obsessionen einerseits und den Schuldgefühlen, mit denen er deshalb andererseits zu kämpfen hat.
Roth wurde wegen dieses zum Teil wunderbar komischen, witzigen Romans der Pornografie, des Antisemitismus und jüdischer Nestbeschmutzung geziehen, aber gleichermaßen dafür gefeiert, der sexuellen Revolution eine Art literarisches Manifest beschert haben, sich zur bedeutendsten Stimme seiner Generation erhoben zu haben.
Tyrannische Auswirkungen von Familie und Religion
Für ihn selbst war der Erfolg nicht ganz einfach zu verarbeiten, die Schuldgefühle seines Helden waren ihm nur zu bekannt, gerade in Bezug auf seine Herkunft, auf seine sich nun doch kompliziert gestaltete Position als glamourös-erfolgreicher amerikanischer Schriftsteller aus beengten kleinbürgerlichen jüdischen Verhältnissen.
Obwohl er sich dann erstmal aus der Öffentlichkeit zurückzog, wollte er sich trotzdem gerade von seinem Herkunftsmilieu nicht unterkriegen lassen: „Schreiben ist für mich das Bemühen, den menschlichen Charakter und das menschliche Geschehen wahrheitsgetreu wiederzugeben“, erklärte er. „Wollte ich leugnen, dass die Angehörigen der Minorität, der ich entstamme, anfällig gegen die Gefahren der menschlichen Natur sind, so würde ich schon mit einer Lüge beginnen.“
Natürlich hat er später die Lüge wie selbstverständlich in seine Romane mit übernommen, hat er, gerade um den Nachstellungen der Literaturkritik, ihrer Sucht nach autobiografischen Spuren, immer wieder Schnippchen zu schlagen, zahlreiche fiktive Täuschungsmanöver unternommen. Doch die tyrannischen Auswirkungen von Familie und Religion, die sexuellen Versuchungen, denen eben auch Angehörige der jüdischen Minorität ausgesetzt sind und denen sie nur zu gern nachgeben, sie sind der Stoff, aus dem der große Teil seines Romanwerks der siebziger und achtziger Jahre besteht, insbesondere die „Zuckerman“–Trilogie, Romane wie „Tatsachen“, „Gegenleben“ oder „Mein Leben als Mann“.
Roth setzte mit seinen Romanen seiner Heimatstadt Newark ein Denkmal
Sehr ausdauernd und oft nur geringfügig variierend sollte Roth die Geschichte eines Jungen erzählen, der sich gegen die Traditionen seines jüdischen Elternhauses auflehnt und diesem zu entkommen versucht. Und weil er nicht nur enorm flüssig und klar schreiben konnte, sondern er immer wieder auch mit modernen Erzählformen experimentierte, wurden seine Romane vom Publikum wie von der Literaturkritik gefeiert.
Was allerdings nichts an dem Eindruck änderte, dass Roth die Stoffe auszugehen schienen und er Ende der achtziger Jahre das Spiel mit den multiplen Identitäten und den vielen literarischen Selbstbespiegelungen übertrieben hatte. Ein Opfer der Postmoderne, wenn man so will, dass in dem Roman „Tatsachen“ von Zuckerman, Roth’ Lieblingshelden, Teufel und Eckermann in Personalunion, darauf hingewiesen wird, doch bitte niemals eine Autobiografie zu veröffentlichen: „Sie sind weitaus besser beraten, wenn Sie über mich schreiben, als wenn Sie akkurat von Ihrem eigenen Leben berichten.“
In Interviews hat Roth dann auch gern betont, mit dem autobiografischen Schreiben überhaupt nichts anfangen zu können, er nichts erlebe und eben sowieso nur schreibe, da könne man dann nur lesen, „wie ich allein in meinem Zimmer sitze und vor mir auf eine Schreibmaschine starre“.
Doch hat er in seinen Romanen eben nicht nur seiner Heimatstadt Newark ein literarisches Denkmal gesetzt, es finden sich darin zuhauf Hinweise auf die eigene Herkunft. Auch seine zwei Ehen hat er literarisch verarbeitet, insbesondere den Ehekrieg mit mit seiner zweiten Frau, der englischen Schauspielerin Claire Bloom, der ihm eine manifeste Depression eintrug, in Romanen wie „Professor der Begierde“ und „Tatsachen“. Oder den Tod des Vaters in „Mein Leben als Sohn“.
Roth war kein politisch engagierter Schriftsteller, kein öffentlich wirkender Intellektueller
Schon zu dieser Zeit, zu der des Welterfolgs „Portnoys Beschwerden“, der ersten „Zuckerman“-Romane und seiner spielerisch postmodernen Bücher, wurde Roth häufig als ernsthafter Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt. Genauso oft aber wurde er dafür abgemahnt, der Chronist einer doch allzu kleinen jüdischen Welt zu sein, die immer gleiche Geschichte des sexuell obsessiven jüdischen Intellektuellen zu schreiben - und dass sein Werk thematisch allzu überschaubar sei. Doch in den neunziger Jahren, beginnend mit den Romanen „Operation Shylock“ und „Sabbaths Theater“ weitete sich seine Perspektive, begann er, die amerikanische Realität vollständig verstehen und durchdringen zu wollen, schwang er sich schließlich mit seiner amerikanischen Trilogie „Mein Mann, der Kommunist“, „Amerikanisches Idyll“ und „Der menschliche Makel“ zum Autor des großen amerikanischen Romans auf, der er in seiner Frühzeit definitiv nicht sein wollte, ja, über den er sich 1973 mit seinem zwar witzig-überbordenden, aber gerade aus europäischer Perspektive nur schwer lesbaren und zu verstehenden Baseball-Roman „The Great American Novel“ lustig gemacht hatte.
Es ist dies das Lebensthema des Schriftstellers Philip Roth gewesen: Das ewige Freiheitsversprechen der amerikanischen Gesellschaft, das sich nur in den seltensten Fällen einlöst. Obwohl die amerikanische Trilogie den Charakter eines Gesellschaftsromans hat und viele politische Züge trägt, ist Philip Roth kein engagierter politischer Schriftsteller gewesen, kein öffentlich wirkender Intellektueller. Wenn er in Interviews zur US-Politik Stellung beziehen sollte, hat er das getan, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, ob nun zum Vietnam-Krieg, später zu der seiner Meinung nach verheerenden Politik der Regierung Bush nach den Terrorangriffen des 11. September 2001. Oder dass er seiner Freude über die Wahl Obamas Ausdruck gegeben hat. Von Moral hielt er viel, aber an eine höhere moralische Autorität des Schriftstellers gerade in den USA glaubte er nicht, weshalb er sich immer primär als Romanschriftsteller und ansonsten durchschnittlicher US-Bürger verstand.
"Trump ist ein großer Betrüger", sagte er in seinem letzten Interview
Dass die Literatur womöglich prophetische Kräfte habe, das allerdings ließ er gelten. So lässt sich sein 2004 erschienener kontrafaktischer Charles-Lindbergh-Roman „Verschwörung gegen Amerika“, in dem der fiktive Ich-Erzähler Philip Roth und seine jüdische Familie Ende der dreißiger Jahre zu Opfern einer faschistischen Machtübernahme werden, gut als Vorwegnahme der Trump-Regentschaft lesen – selbst wenn Roth in eben jenem „New York Times“-Interview sich vehement dagegen weigerte, seine Lindbergh-Figur mit Donald Trump vergleichen zu wollen. Jener sei ein „authentischer amerikanischer Held“ gewesen, Trump dagegen, so Roth, „ein großer Betrüger, die üble Summe all seiner eigenen Unzulänglichkeiten, frei von allem außer der leeren Ideologie eines Größenwahnsinnigen.“
Das muss Philip Roth, so liest es sich jedenfalls, genauso boshaft-verärgert wie locker dahingesagt haben. Durch Trump wollte er sich nicht die Freude an seinen späten Tagen vergällen lassen. Die Stimmung und Lage des Landes, der USA, war nicht mehr die ihm gemäße, aus dem Würgegriff der amerikanischen Geschichte hatte er sich lange befreit. Als einer der größten amerikanischen Schriftsteller aller Zeiten wird er nun in diese Geschichte eingehen.
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