Verstorbener Autor: Was Philip Roth über Donald Trump schrieb
Philip Roth erinnerte sich 2017 im „New Yorker“ an seinen prophetischen Roman „Verschwörung gegen Amerika“ – und fürchtete den Berserker im Weißen Haus.
Seit 2012 war Philip Roth nicht mehr als Schriftsteller aktiv. 2014 zog er sich ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Doch 2017 äußerte er sich auf Bitten des „New Yorker“ zur Wahl Donald Trumps und erinnerte an seinen Roman „Verschwörung gegen Amerika“. Lesen Sie hier anlässlich seines Todes noch einmal den Tagesspiegel-Text aus dem vergangenen Jahr über Philip Roths Debattenbeitrag.
Die wichtigste Aufgabe eines Politikers, gab Barack Obama in den letzten Tagen seiner Amtszeit bekannt, bestehe darin, Geschichten zu erzählen. Geschichten, mit deren Hilfe sich Menschen mit dem Land, in dem sie leben, identifizieren können. Er meinte wohl nicht nur Fiktionen. Aber als er in der „New York Times“ Michiko Kakutani jüngst über seine literarischen Vorlieben Auskunft gab, bezog er sich auch auf den jüdisch-amerikanischen Schriftsteller Philip Roth, der sich nach seinem Roman „Nemesis“ 2012 von der weltliterarischen Bühne zurückgezogen hatte.
Nun hat sich der 83-Jährige auf Bitten des „New Yorker“, der ihn auf seinen prophetischen Roman „Verschwörung gegen Amerika“ („The Plot Against America“) von 2004 ansprach, mit einigen E-Mails noch einmal in die Debatte um Donald Trump eingemischt, einen Präsidenten, der sich selbst als „Bücherhasser“ charakterisiert. In der Ausgabe vom 30. Januar sind seine Äußerungen, eingearbeitet in einen Artikel von Judith Thurman, nachzulesen.
Roths Buch ist ein Gedankenexperiment mit der Geschichte, ein Stück counterhistory, in dem er den Rechtsruck eines isolationistischen Amerika imaginiert. Der Schriftsteller tritt eine Zeitreise ins Jahr 1933 an, das Jahr von Hitlers Machtergreifung, und ändert die Vergangenheit in einem Detail: Was wäre gewesen, wenn Charles Lindbergh, der Fliegerheld, bei den US-Präsidentschaftswahlen 1940 einen Sieg über Präsident Roosevelt errungen hätte? Der historische Lindbergh war Isolationist, Antisemit und Bewunderer des Nazi-Regimes. Von ihm stammt auch das Schlagwort, das Donald Trump für seinen Präsidentschaftswahlkampf entlehnte: „America First“.
Was hätte Lindbergh damals getan?
In einer Roosevelt-Biografie des Historikers Arthur Schlesinger Jr. hatte Roth gelesen, dass sich einige Republikaner 1940 tatsächlich mit der Absicht trugen, Lindbergh gegen Roosevelt aufzustellen. Hätte Lindbergh, Träger des 1938 von Göring überreichten Deutschen Adlerordens, damals die Macht gehabt, was hätte er getan? Im Roman schließt Lindbergh einen Nichtangriffspakt mit Hitlerdeutschland. Amerika tritt nicht in den Krieg ein. Es kommt nicht zur Invasion in der Normandie. Hitler wird nicht geschwächt. Sein Russlandfeldzug wird nicht aufgehalten.
Roth bekennt nun, es sei nicht der „Killer Kapitalist“ Trump, der die Vorstellungskraft des Schriftstellers übersteige; es sei die Figur des „amerikanischen Berserkers“, der Präsident wird, „vollkommen ignorant gegenüber unserer Regierungsform, der Geschichte, Wissenschaft, Philosophie und Kunst, grobschlächtig in seiner Wortwahl, mit einem Vokabular aus 77 Wörtern“.
Viele Passagen von „The Plot Against America“ über die Ängste der Juden von Newark wirken wie Vorboten jener Stimmen muslimischer Einwanderer, die sich heute von Trumps Wahl und Wüten alarmiert fühlen. Zugleich stellt sich die Frage: Was hätte es für die Juden in den USA bedeutet, wenn die Nürnberger Rassengesetze auch auf amerikanischem Boden Geltung erlangt hätten und „Homelands“ für sie eingerichtet worden wären? Im Roman hat ein siebenjähriger jüdischer Junge namens Philip Roth, ein „amerikanisches Kind amerikanischer Eltern auf einer amerikanischen Schule in einer amerikanischen Stadt in einem Amerika, das mit der Welt in Frieden lebte“, plötzlich Albträume. Seine geliebte Briefmarkensammlung mit amerikanischen Landschaften sieht er von lauter Hakenkreuzen überdruckt.
Die Wirklichkeit ist verrückter
So ähnlich sieht Philip Roth, der Autor, heute wohl auch Trumpland. In seinen Romanen hat er sich so ziemlich jedes Themas angenommen, das uns das 20. Jahrhundert bescherte: McCarthy-Ära, Nahostkonflikt, Prager Frühling, Vietnam, Terrorismus. Immer mehr mit den wirklichen Geschehnissen verschlungen sind seine Bücher in den 1990er Jahren geworden und immer grotesker – und erreichten doch nicht jenen Grad an Wahnwitz, den nun die Wirklichkeit besitzt.
Die US-Regierung hat Äußerungen von Russlands Präsident Putin zur Eskalation der Lage in der Ukraine unlängst als „reine Erfindung“ bezeichnet, als „spektakulärste russische Dichtung seit Dostojewski“. Und Ex-Außenminister Henry Kissinger hat in einem Interview mit dem Sender CBS den russischen Präsidenten mit einem Helden eben jenes Fjodor Dostojewski verglichen. Wenn aber schon Putin als Romanfigur zu lesen wäre, wie viel mehr könnte dann Trump als bösartiger Dibbuk erscheinen, als Geist, der die Welt zuschanden reitet?
Müssen die amerikanischen Schriftsteller vor so einer Figur kapitulieren? Roth zeigt sich vom Gegenteil überzeugt: „Anders als osteuropäische Schriftsteller der 1970er Jahre werden die Führerscheine amerikanischer Schriftsteller nicht konfisziert, und sie sollten nicht so tun, als ob es so wäre. In der Zwischenzeit sollten unsere Schriftsteller weiter die enormen geistigen Freiräume nutzen, die Amerika uns bietet, um alternative Wirklichkeiten zu schaffen.“