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Oleg Sentsov
© imago/Itar Tass

Berliner Filmreihe unterstützt ukrainischen Regisseur: Oleg Sentsov: In Putins Käfig

Nach einjähriger Haftstrafe droht dem ukrainische Filmemacher Oleg Sentsov in Russland der Prozess. Dagegen formiert sich immer stärkerer Protest In Berlin wird ihm jetzt eine Solidaritäts-Filmreihe gewidmet.

Grußworte von Politikern zwecks amtlicher Veredelung kultureller Ereignisse gelten gemeinhin als ebenso unvermeidlich wie öde. Manchmal aber liegt der Fall entschieden anders. Als der Direktor der Ukrainischen Filmagentur, Philipp Ilienko, am Montagabend im Berliner Kino Babylon ein Grußwort zur Eröffnung der „Ukrainischen Filmtage in Solidarität mit Oleg Sentsov“ ankündigt, stammt dies von keinem Geringeren als dem ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko. Und es ist nicht etwa salbungsvoll, sondern deutlich.

Die Berliner Filmreihe zur Unterstützung des seit knapp 14 Monaten in Russland inhaftierten 38-jährigen Filmemachers Oleg Sentsov würdigt er als Rückhalt für einen „Künstler, der für die Unabhängigkeit und territoriale Integrität seiner Heimat kämpft“. Diese Heimat namens Ukraine sei ein Land, „das hart arbeitet, einen Rechtsstaat und eine freie Gesellschaft aufbaut, Toleranz walten lässt und die Freiheit der Kunst pflegt“. Allerdings seien viele Ukrainer, wie Poroschenko im Blick auf Russland anfügt, „infolge der Annexion der Krim und des unerklärten Krieges zu Gefangenen, politischen Häftlingen und Verfolgten geworden, weil sie ihren Patriotismus und ihre Freiheitsliebe offen zum Ausdruck gebracht haben“.

Eine Demonstration der Solidarität

Auch der Auftritt eines Bundestagsabgeordneten, der diesem Mini-Filmfest gewissermaßen heimatlichen Politsegen hinzufügt, wird a priori nicht eben mit Ungeduld erwartet. Was Michael Brand (CDU), Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses, dann aber auf seinen Zettel notiert hat, schlägt ein. Er sei gekommen, um einen „mutigen Menschen der Kultur zu ehren“, sagt er, einen „Gegner imperialen Säbelrasselns“ und politischen Gefangenen, gegen den ein „Schauprozess übelster Machart vorbereitet“ werde. Dadurch aber habe Sentsov zugleich „die Macht Moskaus enttarnt“. Und überhaupt: „Putin“, als Ex-Geheimdienstler ohnehin ein Vertreter der Antikultur, „wird Russland ruinieren.“

Keine Frage, was hier im traditionsreichen Kino am Rosa-Luxemburg-Platz stattfindet, ist zuallererst eine Demo. Eine Demonstration vieler, von der Europäischen Filmakademie bis zum Medienboard Berlin-Brandenburg, um einem ukrainischen Filmemacher den Rücken zu stärken, der am 11. Mai 2014 in seiner Geburts- und Heimatstadt Simferopol, zwei Wochen vor der formalen Annexion der Krim, vom russischen Geheimdienst FSB verhaftet wurde – und dem nun im Juli nach langer Haft im Moskauer Lefortowo-Gefängnis offenbar in Rostow am Don der Prozess gemacht werden soll. Wobei die staatliche Repression gegen ihn durchaus an die Fälle Michail Chodorkowski und Jafar Panahi erinnert. Wie dem erst nach über zehn Jahren Haft begnadigten Russen droht Sentsov eine lange Gefängnisstrafe, und wie der mit Haft bedrohte und mit Berufsverbot belegte Iraner ist Sentsov ein politisch unbotmäßiger Filmemacher. Nur dass er in seiner Karriere noch vergleichsweise am Anfang steht.

Geständnisse unter Folter

Sentsovs autobiografisch grundiertes Debüt „Gamer“ (2012) über einen in seine Computerspiel-Siegerfigur vernarrten Jungen, den erst eine unvermutete Wettbewerbsniederlage an sein verletzliches analoges Ich erinnert, war ein Erfolg bei Festivals. So eindrucksvoll, dass das Medienboard Berlin-Brandenburg nach Sichtung in Odessa gleich Sentsovs zweites Projekt unterstützte: „Rhino“ – die Geschichte eines Gangsters, der sich eines Tages vor seiner nashorngleich bewehrten Monsterhaftigkeit zu ekeln beginnt. Kurz vor Drehbeginn aber kam die ukrainische Revolution dazwischen, und Sentsov stürzte sich mitten hinein.

Zu den Helfern beim Euromaidan in Kiew gehörte er ebenso wie zu den Protestierenden nach der Krim-Besetzung, die den in ihren Kasernen eingeschlossenen ukrainischen Soldaten Essen und Vorräte brachten. Vorgeworfen wird ihm stattdessen die Mitgliedschaft im paramilitärisch organisierten „Rechten Sektor“ und, als Anführer einer Vierergruppe, die Vorbereitung von terroristischen Anschlägen auf Stromleitungen und Denkmäler. Er sei gefoltert worden, sagte Sentsov bei einer Anhörung, und zwei seiner Mitstreiter hätten ihn unter Folter belastet. Sarkastisch ergänzte er, die „tapferen Ermittler unseres Chaos-Geheimdiensts“ wüssten schon, wie man pflichtgemäß Fakten für eine Anklage zurechtbiegt.

"Was man braucht, ist messerscharfer Verstand"

In seiner Unerschrockenheit geht Sentsov noch weiter. „Ich habe keine Angst vor Drohungen oder vor 20 Jahren Gefängnis, denn ich weiß, dass die Herrschaft des verdammten Zwergs in unserem Land schon vorher enden wird." Womit kein anderer als Putin gemeint ist. Mit welch ruhiger Entschiedenheit Sentsov dies auf einer vergitterten Militärgerichts-Anklagebank vorbringt, lässt sich in der Kurzdokumentation „Release Oleg Sentsov“ des Russen Askold Kurov verfolgen, die auf den Berliner Filmtagen ebenso zu sehen sind wie Sentsovs Debüt „Gamer“ und einige weitere aktuelle und historische ukrainische Filme.

Eine derartige psychische und physische Last ist ohne massive Hilfe kaum auszuhalten. Sentsov hat Anwälte, die schon in Sachen Pussy Riot und Künstlergruppe Woina zäh auf künstlerischen Freiheitsrechten beharrten. Zudem fordern europäische Regisseure, von Mike Leigh bis Wim Wenders, von Agnieszka Holland bis Pedro Almodóvar, von Putin unermüdlich die Freilassung Sentsovs. „Ein Verbrechen wird begangen vor unseren Augen“, sagt Sentsovs Landsmann und Kollege Sergej Loznitsa am Montag, und kurz vor der Eröffnung der Filmtage zeigt sich der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnik, so erfrischend undiplomatisch wie zuversichtlich: „Wir sind an der Seite der Wahrheit, und wir werden gewinnen.“

Ist so viel – formal zwar ohnmächtige, weil auf Gewalt verzichtende – zivile Unterstützung doch eine Macht? Zu wünschen ist es. Petro Poroschenko jedenfalls zitiert den ukrainischen Filmregisseur Alexander Dowschenko, der selber einst mit Repressalien und der Zensur unter Stalin zu kämpfen hatte: „Zorn und Hass braucht man nicht. Was man braucht, ist messerscharfer Verstand.“

„Release Oleg Sentsov“ und „Gamer“ am 2. Juli, 17. 30 Uhr, und am 2. Juli, 20 Uhr, Kino Babylon Mitte

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