Berliner Kinogeschichten: Mit Lubitsch in der dritten Reihe
Den hölzernen Regisseur aus dem Schöneberger Kino „Notausgang“ kannte einst jeder Berliner Filmfreund. Im „Babylon“ in Mitte ist er wiederaufgetaucht.
Sein Stammplatz war in Reihe 18. Selbstbewusst und elegant saß Ernst Lubitsch jahrein, jahraus im Sessel des Schöneberger Kinos „Notausgang“, ein Bein übers andere geschlagen, das Haar akkurat gescheitelt, jedem Rauchverbot spottend: im Mund die unvermeidliche Zigarre, in der linken Hand eine zur Reserve. In der rechten Hand aber hielt er – Lubitsch, einen Doppelgänger en miniature. Der Regisseur, ein Puppenspieler seiner selbst, dem Ebenbild zugrinsend, soweit die dicke Zigarre das zuließ.
Ehemals war die Figur in dem handtuchschmalen Ladenkino in der Vorbergstraße 1 unter Berlins Cineasten eine vertraute Figur und ist es noch, wenn auch die Erinnerung schwächer wurde. Erst verschwand Lubitsch, dann das Kino. Als Wiedergänger fand er immerhin im ungemütlichen Kassenbereich des Museums für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz für Jahre Asyl, doch als vor Monaten die Kasse verlagert und der Raum zum Museumsshop umgestaltet wurde, wanderte die Figur ins Depot. Die Erinnerung ans „Notausgang“ schien erloschen.
Nun aber ist Lubitsch erneut aufgetaucht und aus Reihe 18 sogar in Reihe 3 vorgerückt. Seit Kurzem hat er im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz einen neuen Ehrenplatz gefunden, dank einer Vereinbarung mit dem Museum und der Erbin des „Notausgang“-Gründers Gunter Rometsch, der den Kerl aus Holz und Hartplastik 1986 bei dem Bildhauer Jürgen Walter für sein Filmtheaterchen bestellt hatte. Seinen ersten öffentlichen Auftritt aber hat er an diesem Donnerstag: Am Abend wird im Babylon der Ernst-Lubitsch-Preis vom Club der Filmjournalisten Berlin und dem Kino an den Schauspieler, Komiker und Theaterleiter Dieter Hallervorden verliehen. Mit der undotierten Ehrung wird eine herausragende komödiantische Leistung im deutschen Film prämiert, die Anregung kam 1957 von Billy Wilder. Deutsche Filmgrößen wie Liselotte Pulver, Gert Fröbe, Mario Adorf, Loriot, Tom Tykwer, Jürgen Vogel und Til Schweiger haben bereits die bronzene Pan-Figur des Berliner Bildhauers Erich Fritz Reuter entgegennehmen können.
Nach der Preisverleihung wird der Hallervorden-Film „Honig im Kopf“ gezeigt, vorher die Lubitsch-Komödie „Design for Living“ (1933) mit Gary Cooper und Miriam Hopkins – der „Lieblings-LubitschFilm von Tom Tykwer, der auch dessen Film ,Drei’ beeinflusste“, wie das Kino mitteilte. Womit sich der Kreis zum „Notausgang“ doppelt schließt: Auch Tykwer hatte dort eine Rolle gespielt.
Ein Kino gab es in der Vorbergstraße 1 seit 1914. Mal hieß es „Intime Lichtspiele“, mal „Filmhof“, seit 1971 dann „Notausgang“. Ein Ort, der von dem Sitz-, Ton- und Bildstandard moderner Multiplex-Paläste meilenweit entfernt war, aber die Filme, die Rometsch zeigte, hatten es in sich: Programmkino vom Feinsten, dazu viele wiederentdeckte Klassiker und einige von Rometsch selbst gedrehte Filmchen. Mit einem landete er auf der Berlinale 1979 einen Überraschungshit: „Das winkende Mädchen“ – ein siebenminütiger Film, davon acht Sekunden das Mädchen, der Rest Abspann, unterlegt mit Ravels „Bolero“.
Lubitsch hatte es Rometsch besonders angetan, so sehr, dass er ihn ins Kino setzte, so war es niemals leer. Aber er hatte auch nichts dagegen, den hölzernen Regisseur auf eine Stadtrundfahrt zu schicken, solange es nur der Ehre des wahren Lubitsch diente. Das war am 29. Januar 1992, als zum 100. Geburtstag des Erzkomödianten an der Schönhauser Allee 183 Ecke Lottumstraße eine Gedenktafel enthüllt wurde. Dort, unweit der Stelle, wo sein Geburtshaus stand, hatte Lubitsch Kindheit und Jugend verbracht. Es war geradezu eine Prozession, die sich an diesem Tag aus Schöneberg nach Prenzlauer Berg bewegte: vorneweg ein schwarzer Staats-Volvo, der, wie im Tross gemunkelt wurde, ursprünglich für Honecker bestimmt war, dahinter ein grüner Ford A von 1930, eine Taxi-Sonderanfertigung aus Johannisthal, darin Herr Lubitsch samt Kinosessel. Ihm folgte ein Bus mit Journalisten, den Leuten vom „Notausgang“ und dem Kreuzberger „Moviemento“-Kino, während Lubitschs in der ersten Reihe Platz genommen hatten: Tochter Nicola, 1937 in den USA geboren, Enkelin Amanda Goodpaster und die Nichte Eva Bentley aus New York, die ihren Onkel noch in Berlin erlebt hatte.
Der Gedenktafel war kein langes Leben beschieden. Von schlechter Qualität, verblasste sie bald. 2007 enthüllte Nicola Lubitsch eine neue, die später gegen eine „Berliner Gedenktafel“ ausgewechselt wurde. Rometsch hat das alles nicht mehr erlebt. Er erkrankte schwer, schied 1994 freiwillig aus dem Leben. Das Kino schien dennoch gerettet werden zu können: Die damalige Betreiberin des Moviemento, Ingrid Schwibbe, und ihr Programmgestalter und Regiedebütant Tom Tykwer hatten schon Rometsch unterstützt und stiegen nun ein – auch wegen gestiegener Miete eine erfolglose, bald beendete Episode. Andere Betreiber versuchten ihr Glück, fanden es aber nicht, und so ließ eine Rometsch-Erbin die Figur 1998 aus dem im Folgejahr geschlossenen Kino holen. Nach einigen Jahren tauchte sie wieder im Filmmuseum auf, für Jahre ein Blickfang für die Besucher des Sony-Centers, bis auch dies endete. Aber nun ist er wieder da, und man kann erneut neben dem Meister Platz nehmen. Er qualmt noch immer vor sich hin. Rauchverbot? Nicht mit Lubitsch.
Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, heute, 18.30 Uhr. Eintritt 8 Euro