Skandal um Kölns Musiktheater: Odyssee einer Oper
Auch Köln bekommt sein Musiktheater nicht saniert. Ein Besuch auf der Baustelle – und bei der Neuinszenierung von Braunfels' Oper „Jeanne d’Arc“.
Dieses Rohr wird kaum für Frischluft sorgen. Nicht mal einen halben Meter nachdem es die Wand verlassen hat, stößt es auf eine Querstrebe, einen sogenannten Unterzug. Sackgasse. Wer baut denn so was? „Seien Sie froh, dass Sie nicht im Herbst hier waren“, sagt Andreas Fischer, „dann hätte ich davon nicht so ruhig erzählen können wie jetzt. Ich war einfach betroffen und maßlos enttäuscht.“ Fischer ist Technischer Direktor der Oper Köln, ein nüchterner Mann mit abgeklärtem Blick unterm gelben Baustellenhelm. Seit fast 20 Jahren arbeitet er am Haus.
Kabel hängen von der Decke, Gerüste versperren das Foyer, überall nackte Betonwände. Nur gearbeitet wird kaum. Ein paar Hammerschläge dringen von der Bühne herüber, sonst ist alles gespenstisch ruhig. Und das liegt nicht daran, dass Samstag ist.
Die Kölner Oper und das angrenzende Schauspiel werden saniert. In Berliner Ohren klingeln jetzt die Alarmglocken. Zu Recht: Auch in Köln dauert alles viel länger und wird alles viel teurer. Das weiß man seit Juli 2015, als die auf den 7. November angesetzte Eröffnung abgesagt wurde. Die Programmhefte waren schon gedruckt. Wann die Oper ins Stammhaus zurückkann, ist unklar. Vor 2019 wird es wohl nichts. Statt von 288 Millionen Euro Gesamtkosten spricht Oberbürgermeisterin Henriette Reker jetzt von 460 Millionen. Dimensionen wie bei der Berliner Staatsoper. Trauerspiel um eine Ikone.
Das 1957 eröffnete Opernhaus ist eine Ikone der modernen Architektur
Es muss ein erhabener Anblick gewesen sein, als sich 1957 die neue Oper von Wilhelm Riphan inmitten der Trümmerwüste der Kölner Innenstadt erhob, am eigens dafür gestalteten Offenbachplatz. Es war eine starke Geste, nach den Verheerungen des Faschismus den Wiederaufbau unter anderem mit einem Opernhaus zu beginnen – zu dem 1961 noch das Schauspiel kam. Doch der Stolz währte nicht lange: „Unterlassener Bauunterhalt“, murmelt Andreas Fischer, während er über Drähte und Rohre stapft. Die Heizungsanlage stammt noch aus dem Eröffnungsjahr, die Züge im Schnürboden wurden von Hand bedient, eine hydraulische Hebebühne hat es nie gegeben. Grube und Untermaschinerie waren vorhanden, aber Max Adenauer, damals Oberstadtdirektor, stoppte den Einbau aus Kostengründen. Was in 50 Jahren nicht nachgeholt wurde.
Es musste was geschehen. Zwei Oberbürgermeister wollten den Totalabriss, kurz war ein schicker Neubau am anderen Rheinufer nach Art der Oper von Sydney im Gespräch. Die Pläne schrumpften, auch unter dem Eindruck des eingestürzten Stadtarchivs: Oper erhalten und nur Schauspiel neu bauen, hieß es jetzt. Doch auch dabei blieb es nicht. Ein Bürgerbegehren gegen den Abriss des Schauspielhauses setzte der Rat angesichts von 50 000 Unterschriften gar nicht erst in Gang, sondern beschloss gleich, beide Gebäude zu erhalten. „Es ist ein Ensemble“, erklärt der Kunsthistoriker Jörg Jung, ehemaliger Sprecher der Initiative „Mut zu Kultur“, die das Bürgerbegehren mit initiiert hat. „Überall in Nordrhein-Westfalen hat man nach dem Krieg Oper und Schauspiel nebeneinandergesetzt. Ein Haus zum Feiern, eines zum Debattieren. So hat man sich seiner Demokratie versichert. Beide sind nur gemeinsam lesbar."
Eigentlich also eine glückliche Geschichte. Die irgendwann ins Unglückliche abbog. Wie konnte es so weit kommen? An fiesem Grundwasser und versteckten Pfählen wie bei der Berliner Staatsoper kann es nicht liegen. Der Rhein fließt weit weg, Baustellen werden in Köln eher durch archäologische Funde aus der Römerzeit verzögert. Das eingangs erwähnte Lüftungsrohr, obwohl ein Detail und auch nicht im Opernhaus selbst, sondern im Opernpavillon angebracht, erzählt schon viel vom Ganzen. Jemand hat da Pläne nicht richtig gelesen. „Es besteht Grund zu der Annahme, dass es zu massiven Planungsfehlern gekommen ist“, formuliert es Andreas Fischer vorsichtig. Jörg Jung wird deutlicher: „Der Projektsteuerer hat die Übersicht verloren. Neue Technik und neue DIN-Normen überfordern die filigrane Architektur der 50er Jahre. Die Vergabeverordnung der EU ist überreguliert. Und die Politik zurrt einen viel zu engen Zeitplan.“
Der Reihe nach. Für die Haustechnik zuständig war das inzwischen entlassene Ingenieurbüro Deerns. Schwarzes Schaf der Branche? Oder einfach nur ein Büro, das überfordert ist vom Regulariendschungel? Denn Großprojekte produzieren in Deutschland auch deshalb immer häufiger Skandale, weil sich Vorgaben bei Neubauten und Sanierung im Bestand ständig ändern. Was durchaus sinnvoll ist, nur: Planungsbüros müssen da mithalten. „Früher hätten wir für einen Proberaum Wände, Decken und ausreichend Licht benötigt“, erzählt Fischer. „Heute müssen wir genau angeben, wie viele Personen den Raum nutzen, um eine zeitgemäße Lüftung einzubauen.“ Vor allem beim Brandschutz werden die Vorschriften seit dem verheerenden Feuer im Düsseldorfer Flughafen 1996 sehr viel ernster genommen, Kölns Oper wird jetzt komplett versprinklert. Brandschutz – nicht das Einzige, was an den Berliner Flughafen BER erinnert. Immer wieder erwähnt Andreas Fischer Kabelschächte und Knotenpunkte, an denen sich Kabel treffen, offensichtlich gibt es auch da massive Probleme. Jetzt ist auch noch die ausführende Firma Imtech – sie war ebenfalls am BER tätig – insolvent. Solange aber kein neues Planungsbüro gefunden ist, kann auch kein Nachfolger für Imtech benannt werden. So multiplizieren sich die Probleme. Und die Baustelle ruht.
Notgedrungen spielen die Künstler jetzt in Deutz, auf der anderen Rheinseite
Und das, obwohl die Bühnentechnik weitgehend fertig ist. Das Problem ist die Haustechnik. Im Zuschauersaal wird Patrick Wasserbauer, der Geschäftsführer der Bühnen Köln, traurig. „Gefühlt bleiben hier noch drei Monate Arbeit“, sagt er. Die Akustik ist verbessert, der Graben auf Kosten der ersten Zuschauerreihe vergrößert, endlich eine Hebebühne eingebaut. Doch Riphans frisch sanierte Zuschauerlogen, die im Opernjargon „Nester“ genannt werden und an Fritz Bornemanns vom gleichen demokratischen Gedanken inspirierte Architektur der Deutschen Oper Berlin erinnern – sie werden noch jahrelang leer in den Saal ragen.
Auch der Offenbachplatz ist eine große Baustelle. Unter dem Pflaster nimmt eine neue Kinderoper Gestalt an. Geräusche von oben wird man unten nicht hören, versichert Andreas Fischer – anders als bei der Philharmonie am Rheinufer, gar nicht weit weg von der Domtreppe. Dort müssen Angestellte bei jedem Konzert den Platz absperren, weil man die Tritte sonst weiter unten hören würde. Eine typische Kölner Merkwürdigkeit. Wie die beiden neuen U-Bahn-Strecken, die sich nicht in der Mitte treffen dürfen, weil dort, beim eingestürzten Stadtarchiv, immer noch die Staatsanwaltschaft tätig ist. Aber mit Stummel-U-Bahnen kennt man sich ja auch in Berlin bestens aus.
Andere Rheinseite. Das Staatenhaus, ein lang gestreckter Klinkerbogen, in den 20er Jahren als Messehalle errichtet, wurde im Herbst im Turbotempo hergerichtet als Ausweichquartier für die Oper. Es ist das zwölfte seit 2010. „Berlin hat bei der Sanierung der Staatsoper den Vorteil, dass sich das Schillertheater in städtischer Hand befindet. Wir in Köln müssen Interimsspielstätten anmieten“, sagt Patrick Wasserbauer. Im Staatenhaus wurden zwei Bühnen in den beiden Flügeln der Halle eingerichtet, dazu Zimmer aus Stellwänden für Mitarbeiter und Künstler. Nicht perfekt, aber es geht.
Mutiges Programm trotz Sanierungsstress: Walter Braunfels' "Jeanne d'Arc"
Da kommt auch schon Lothar Zagrosek um die Ecke, im Kaffee rührend. Gleich wird er „Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ von Walter Braunfels dirigieren. „Braunfels’ Musik war nie zeitgenössisch, in den 30er Jahren nicht und heute erst recht nicht“, erzählt der Ex-Chef des Berliner Konzerthausorchesters. Man kennt Braunfels, den Gründungsdirektor der Kölner Musikhochschule, heute nicht mehr, trotz unermüdlicher Fürsprache seines Enkels, des Architekten Stephan Braunfels. Die Nazis haben auch hier ganze Arbeit geleistet und den einst sehr erfolgreichen Braunfels aus allen Ämtern gedrängt. Er ging ins „innere Exil“ an den Bodensee, komponierte dort die „Johanna“. Als Eskapismus und Flucht in ein 500 Jahre zurückliegendes Geschehen, und als Möglichkeit, die eigene schreckliche Gegenwart zu verarbeiten. Christoph Schlingensief hat sie 2008, kurz vor seinem Tod, an der Deutschen Oper Berlin erstmals inszeniert – mit seinem typischen Ritualgerümpel, mit Videos nepalesischer Begräbnisrituale und einer riesigen Lunge über der Bühne. Austreibung der eigenen Krankheit mit den Mitteln der Kunst. Man ging hin, um Schlingensief zu sehen, weniger, um Braunfels zu hören.
Diese Kölner Arbeit von Regisseurin Tatjana Gürbaca ist erst die zweite szenische Aufführung der „Johanna“ überhaupt. Und kein Komplettabsturz gegenüber Schlingensiefs Geniestreich, nicht zuletzt wegen des monumentalen Bühnenbildes von Stefan Heyne. Eine riesige Schutthalde, eine Welt aus den Fugen, ein Land im Krieg. Gürbaca muss die Johanna an diesem Abend selbst spielen, nachdem sich die Premierensopranistin verletzt hat. Die aus Las Vegas eingeflogene Stephanie Weiss singt die Partie von der Seite. Eine Spaltung in zwei Frauen, die das Phantomhafte des Bauernmädchens, das in Frankreich als Märtyrerin und Heilige verehrt wird, noch befördert.
Im angrenzenden Rheinpark verliert sich das Publikum schnell. Die Odyssee der Oper geht weiter, lange wird sie auch im Staatenhaus nicht bleiben können. Die Stadt Köln hat das Gebäude an das Musical-Unternehmen BB Group verpachtet, das dort ein festes Haus einrichten möchte. Weil es jetzt wegen des Einzugs der Oper länger dauert, zahlt die Stadt eine Entschädigungssumme an BB. Über die Höhe wird noch verhandelt.