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Drei Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie.
© Kai Bienert

Die Junge Deutsche Philharmonie unter Lothar Zagrosek: Verführer mit sinfonischem Sixpack

Die Junge Deutsche Philharmonie gab als Höhepunkt ihrer Tournee ein Konzert, mit dem sie ihrer Sommerarbeitsphase unter Lothar Zagrosek krönten. Es gab brillanten Sound, am eingeschworenen Klang fehlt es aber noch.

Vier Jahrzehnte gibt es die Junge Deutsche Philharmonie. In dieser Zeit haben die Mitglieder – allesamt Studierende im Alter von 18 bis 28 Jahren – so manches Mal gezeigt, wie innovative Programmgestaltung im Klassikbereich aussehen kann. Die Konzertkleidung dagegen ist immer noch dieselbe wie 1974, zumindest bei den Männern: dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Ein Look, der auch den jugendlichsten Spieler alt aussehen lässt. Für Profis mag der Frack weiterhin angemessen sein, weil er optisch unterstreicht, dass hier etwas Außergewöhnliches passiert. Warum aber sollten Jugendorchester die Alltagskleidung von Politikern tragen?

Der Sinn des Einheitsoutfits liegt darin, dass auf der Bühne aus vielen Einzelpersönlichkeiten eine homogene Gruppe wird. Weil dies dem Publikum hilft, sich auf die erklingenden Werke zu konzentrieren. Das einheitliche Schwarz wird zum Symbol dafür, dass sich Individuen zusammenschließen, um im Dienst der Musik einen Klangkörper zu bilden. Dafür aber taugen auch schwarze Hemden oder sogar Sweatshirts.

Richard Strauss' "Don Juan", der Knaller am Konzertende

Für die Nachwuchsinterpreten ist es durchaus schweißtreibend, wenn sie in der Berliner Philharmonie auftreten, wie jetzt die Junge Deutsche Philharmonie, als Höhepunkt einer Tournee, mit der sie ihre Sommerarbeitsphase unter der Leitung von Lothar Zagrosek krönen. Richard Strauss’ „Don Juan“ als Knaller ans Konzertende zu platzieren, ist ein kluger Kunstgriff des Dirigenten. Die Tondichtung verlangt nach spätpubertärer Leidenschaft. Die Musiker treffen den Ton intuitiv, brillieren in allen Stimmgruppen, schaffen den perfekten smart-schmeichlerischen Sound, kurz: zeichnen das Klangbild eines Womanizers mit sinfonischem Sixpack.

Ein Meister der Orchesterfarben ist José Maria Sanchez-Verdú. Sein Stück „Alqibla“ allerdings erzählt keine Geschichte, sondern will virtuose Geräuschmusik sein, mit manch apartem Klangeffekt: von den wandernden Trommel- und Rassel-Tönen des im Halbrund platzierten Perkussionisten-Quartetts bis hin zu raunenden Rap-Elementen der übrigen Musiker. Aus Zeiten, die tatsächlich jenseits der Lebenserfahrung der jungen Musiker liegen, stammt Witold Lutoslawskis Cellokonzert von 1970. Tapfer erhebt der Solist Truls Mörk seine Stimme gegen das Diktat des Kollektivs – eine überdeutliche Metapher für die damaligen politischen Verhältnisse (nicht nur) in der polnischen Heimat des Komponisten.

Der Jungen Deutschen Philharmonie fehlt der gemeinsame Atem

Debussys „La Mer“ ist eine riskante Wahl für Projektorchester, selbst für hochkarätige wie die Junge Deutsche Philharmonie. Fehlt der gemeinsame Atem, werden, wie am Sonntag, alle Stimmen präzise nebeneinander ausgeführt, dann ist es, als stünde man auf Nasenspitzenlänge vor einem Monet-Bild: Jede Pinselbewegung ist sichtbar, ja sogar die Dicke der aufgetragenen Farbschichten. Die „impression“ allerdings, um die es dem Maler geht, wird erst nachvollziehbar, wenn man einen Schritt zurücktritt. Das aber gelingt in der Musik nur eingeschworenen Ensembles.

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