zum Hauptinhalt
Der österreichische Schriftsteller Franzobel (Stefan Griebl, l) spricht in Klagenfurt bei der Eröffnung des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs.
© Gert Eggenberger/APA/dpa

Ingeborg-Bachmann-Preis 2017: Oberflächlich Politisches zum Auftakt

"Literatur ist Kampf": Der österreichische Schriftsteller Franzobel eröffnet mit einer politischen Rede das Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt.

Die Welt ist auch nicht mehr das, was sie mal war, von wegen Globalisierung, drohende Klimakatastrophe etc, und die Zeiten, in denen wir leben sind bekanntlich unübersichtliche, unsichere, von wegen Terrorgefahr etc. Das spürt man sogar in Kärntens beschaulicher Landeshauptstadt Klagenfurt, sogar dort, wo die Welt, die außerliterarische, literaturbetriebsferne zumal, nur selten Einlass hat: beim Ingeborg-Bachmann-Wettlesen im Klagenfurter ORF-Studio. Am Eröffnungsabend ist schon von weitem unübersehbar der Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma am Eingang postiert, und bei der Anmeldung im Tagungsbüro wird man darauf hingewiesen wegen der erhöhten Sicherheitsbestimmungen auch ja sein Namensschildchen immer am Revers zu tragen.

Als sei das alles an Erschütterungen durch die Welt nicht genug, lässt es sich bei der Eröffnung des Wettbewerbs der österreichische Schriftsteller Franzobel in seiner sogenannten Klagenfurter Rede zur Literatur nicht nehmen, einen Blick nach draußen vorzunehmen und davon zu sprechen, dass "das Skandalöse die Welt mit ihrer Akne überzogen" habe (die Akne von wem?). Franzobel ist allumfassend, nennt Waffenlieferungen in Krisengebiete, Menschenhandel, die Milliarden für die Rüstung statt gegen den Hunger, Trump, betrügerische Banker, Konsumwahn, überhaupt die Perversionen des Kapitalismus, um dann zu konstatieren: "Die Welt ist merkwürdig unpolitisch geworden, selbst die Politik ist zu einem Dschungelcamp verkommen, in dem es nur noch um Entertainment mit Grauslichkeiten geht."

Gut also, müsste man meinen, dass es einen Franzobel gibt, einen Klagenfurter Eröffnungsredner, der einmal nicht ausschließlich um den Wettbewerb und seine Merkwürdigkeiten kreist, wie das in den vergangenen Jahren so oft der Fall war, der eine explizit politische Rede hält. Nur verrutscht dem guten Franzobel seine ja gut gemeinte Rede ins doch sehr Ungefähre, Allgemeine, ins gleichermaßen Verlaberte wie oberflächlich Weckrufhafte: "Literatur ist Kampf. Kampf für Unterdrückte, für unangenehme Wahrheiten, unkonventionelles Denken, neue Formen, das Unmögliche". Er meint auch: Literatur solle engagiert sein, politisch, sie habe die Pflicht, "sich einzumischen, anzuschreiben gegen Kleingeister und Nationalisten, Europazertrümmerer, Weltzerstörer."

Erster Lesetag mit Karin Peschka und Björn Treber

Immer ist bei Franzobel ein Wort zu viel, noch ein Beispiel und noch eins, und ein Gedanke zu wenig, ganz nach dem Motto: alles reinwerfen, wird schon was rauskommen. Seine Glaubwürdigkeit erhöht er leider nicht, dass er mit aller Macht lustig sein will, unterhaltsam, er auf Pointen setzt. Die Bierflaschen, die Franzobel als Accessoires mit auf die Bühne genommen hat, sie sind als Bachmannpreis-Biere gelabelt, passen da ins Bild: Vorsicht, Stammtisch, zwinkert Franzobel, der Bachmannpreisträger des Jahres 1995, und glaubt vermutlich, dass das noch subversiv sei.

Fast wohltuend mutete dagegen der Reigen zuvor an, die kurzen Ansprachen der Bachmann-Preis-Verantwortlichen aus Politik, Medien und Wirtschaft, die Feiereien des Wettbewerbs als unverzichtbar, als Sprungbrett für Karrieren bis zum Büchner-Preis, als ganzjährig im medialen Gespräch undundund. Am erstaunlichsten: einer der Honoratioren ließ Ingeborg Bachmann als Klagenfurterin einmal außen vor und nannte Peter Handke, Peter Turrini und Christine Lavant als Autoren und Autorinnen, die gleichfalls eine nicht unwichtige Beziehung zu der Stadt gehabt hätten. Die aktuelle Literaturgeschichte aber, so eine solche nicht ein Widerspruch in sich ist, an der versuchen an diesem Donnerstag, dem ersten Lesetag, ab 10 Uhr, Karin Peschka, Björn Treber, John Wray, Noemi Schneider und Daniel Goetsch mitzuschreiben. Mal schauen und hören, wieviel Welt sie auf die Bühne des ORF-Studios reinholen.

Gerrit Bartels

Zur Startseite