Otto Mueller im Hamburger Bahnhof: Nie ohne seine Pfeife
Breslauer Akademie: Der Hamburger Bahnhof entdeckt den Brücke-Maler Otto Mueller als wichtigen Netzwerker.
Otto Mueller muss ein echter Bohèmekünstler gewesen sein. Die tollsten Geschichten sind über ihn in Umlauf, nachdem er 1919 nach Breslau ging, wo er an der Staatlichen Akademie für Kunst und Gewerbe bis zu seinem Tod 1930 mit gerade 65 Jahren lehrte. Für den expressionistischen Maler gehörte das Rauchen, Saufen, Lieben dazu. Kein Bild von ihm ohne seine Pfeife. Unter einem gezeichneten Porträt wird er mit den Worten zitiert: „Komm Ulitz, ich werde Dich unter den Tisch saufen.“
Über die Vorschriften der Hochschule, nach der das Wohnen im Atelier verboten war, machte er sich lustig. „Olle Spießer“, lautete sein Kommentar. Sein Schüler Johnny Friedländer erinnerte sich später: „Er war sehr schön, mit einem ’Zigeuner’-Kopf, das Haar sehr schwarz wie eine Krähe. In seiner Klasse gab es nur Mädchen. Alle in den Meister verliebt.“
So kennt man den stillsten der „Brücke“-Maler, der nur Naturbilder auf Rupfen schuf mit zarten Akten im Schilf, eigentlich nicht. Während die anderen Mitglieder der Künstlergruppe, insbesondere Heckel und Kirchner, seit dem Umzug von Dresden nach Berlin das Leben in der Großstadt porträtierten, die urbane Nervosität mit hektischem Strich einzufangen suchten, blieb Mueller zumindest in seinen Gemälden der Sanfte. Überhaupt ist kaum allgemein bekannt, wie es mit ihm weiterging, nachdem die „Brücke“ sich 1913 aufgelöst hatte, zu der er erst drei Jahre zuvor gestoßen war. Dass er nach dem Ersten Weltkrieg in seine schlesische Heimat zurückgekehrt, ein Jahrzehnt eine große Schülerschar prägte, fällt hinter seinem Ruhm als „Brücke“-Maler zurück.
Die Ausstellung kann sich nicht entscheiden
Die Ausstellung „Maler. Mentor. Magier. Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau“ im Hamburger Bahnhof will damit aufräumen. Zustande kam sie auf Anregung der Camaro-Stiftung, denn Alexander Camaro war in Breslau einer von Muellers Studenten, ebenso Horst Strempel, der wie Camaro nach Studienabschluss nach Berlin ging und hier seine Laufbahn fortsetzte. Als Dritter im Gemeinschaftsprojekt kam das Museum Narodwe we Wrocmaw hinzu, die Vorgängerinstitution des Schlesischen Museums der bildenden Künste, das ein Jahr nach Muellers Tod dem Maler eine Gedächtnisausstellung widmete, die danach im Kronprinzenpalais als Übernahme der Nationalgalerie zu sehen war. An diese alte Verbindung knüpft die aktuelle Ausstellung nun wieder an.
Doch was ein spannendes Thema hätte werden können, zerfasert schon nach wenigen Metern in der „Neuen Galerie“ im Hamburger Bahnhof, dem Ausweichquartier der Neuen Nationalgalerie, in der während der Sanierung des Mies van der Rohe-Baus die Klassische Moderne zu sehen ist. Die Ausstellung kann sich nicht entscheiden: Will sie nun wirklich Otto Mueller in den Mittelpunkt stellen oder lieber doch das Besondere der Breslauer Akademie herausstreichen? Sprunghaft geht es mal zum „Breslauer Barock“, der die Künstler inspirierte, dann zu „Jüdischen Lebenswelten“, da sich jüdische Künstler von dem Fantasten Mueller angezogen gefühlt haben sollen. Schließlich wird die Vielfalt intellektueller Strömungen gestreift durch die verschiedenen Zeitschriften, außerdem das Liebesleben Muellers, der sich kurz nach seiner Ankunft in Breslau von seiner Frau und Muse Mascha trennte und statt ihrer fortan seine nächsten Partnerinnen im Bild verewigte.
Wie viel interessanter und auch sortierter wäre die Ausstellung, würde sie Mueller ausgewogen im Kreis seiner Kollegen darstellen. Denn mit ihm lehrten an der Akademie Oskar Moll, der die französische peinture der Académie Matisse einbrachte, Alexander Kanoldt, der die Neue Sachlichkeit vertrat sowie die Bauhäusler Oskar Schlemmer, Georg Muche und Johannes Malzahn. Sie werden nur kurz herbeizitiert als Beleg für die Stilpluralität der Hochschule. Der seit 1918 amtierende Direktor August Endell hatte sie geholt und für neuen Wind gesorgt. Nicht ohne Spannungen.
Polnischer Expressionismus und Neoexpressionismus
Die Breslauer Akademie gehörte damit neben dem Bauhaus und der Frankfurter Schule in den 20er und Anfang der 30er Jahre zu den fortschrittlichsten künstlerischen Ausbildungsstätten im Deutschen Reich. Ebenso hätte es eine Vertiefung verdient, dass dort außerdem dekorative Plastik, Ziselieren, Treiben, Emaillieren unterrichtet wurde, dass es wie am Bauhaus eine eigene Textilwerkstatt gab und Größen wie Hans Poelzig oder Hans Scharoun Architektur unterrichteten. Stattdessen werden „Gäste“ in den ohnehin auseinanderdriftenden Ausstellungsparcours dazwischengeschoben in Gestalt ausgewählter Bilder von Stanismaw Kubicki, Margarete Kubicki, Jerzy Hulewicz oder Henryk Berlewi, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit dem polnischen Expressionismus und Neoexpressionismus aufzuzeigen. Auch dieses Unterthema hätte das Zeug zu einer eigenen Ausstellung gehabt. So schwirrt dem Besucher zunehmend der Kopf.
Doch es gibt einen Moment, an dem die auseinanderstrebenden Kräfte wieder zusammenfinden. Bevor es aus einem symbolisierten Tor am Ende der Ausstellung wieder hinaus aus Breslau geht, hängen rechts und links zwei Porträts an der Wand, die tief berühren. Das eine zeigt Mueller im Selbstbildnis von 1924 mit der unausweichlichen Pfeife in der Hand und einem Pentagramm als Anhänger um den Hals. Hier tritt der Maler mit verschattetem Blick als Magier auf. Hinter ihm lodert es auf der einen Seite rot, auf der anderen grün. Im gleichen Jahr entstand das Selbstbildnis von Stanislaw Ignacy Witkiewicz mit dem Titel „Die letzte Zigarette des Verurteilten“, bei dem im Hintergrund das Rot ebenfalls züngelt und der Porträtierte leicht abgewandt melancholisch zum Betrachter blickt. Witkiewicz und Mueller sind sich jedoch nie begegnet.
Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50-51, bis 3. 3.; Di bis Fr 10 – 18 UIhr, Do bis 20 Uhr, Sa/So 11 – 18 Uhr. Katalog (Kehrer Verlag) 34,90 €.