Ausstellungen würdigen Alexander Camaro: Hört ihr das Glas wachsen?
Die bunten Fenster der Philharmonie kennt jeder, kaum einer den Schöpfer. Ausstellungen würdigen jetzt Alexander Camaro.
Das Haus auf Sylt war ihm lieb und teuer: gleich hinter dem einfachen Holzzaun die Dünen, das Meer nur einen Steinwurf weit entfernt. Glückliche Tage waren das für Alexander Camaro, lange Stunden an der Staffelei, Seite an Seite mit seiner ebenfalls malenden Frau Renate. Verrückte Dinge haben sie hier gemacht, Performances am Strand, er in seiner Lieblingsverkleidung als Zirkusdirektor, mit Frack, angeklebtem Bart und Zylinder auf dem wirren Haar, sie mit selbst gebasteltem Fischschwanz als barbusige Meerjungfrau im seichten Wasser. Dass diese Kate einmal helfen würde, seinen Nachruhm zu sichern, ahnte Camaro nicht, als er 1971 den Kaufvertrag für das Urlaubsdomizil unterschrieb.
Zuhause, in Berlin gehörte er damals zu den prägenden Figuren der mauerstädtischen Kulturszene. Ein vielfach Begabter, geboren 1901 in Breslau als Alfons Bernhard Kamarofski, der als Kind Geige spielt, später zunächst beim Expressionisten Otto Müller Malerei und anschließend bei Mary Wigman Ausdruckstanz studierte. Nachdem die Nazis seine Malerei als „entartet“ gebrandmarkt haben, schlägt er sich als Bühnenkünstler durch, wird Ballettchef in Allenstein und Gotha, reist zur Truppen-Unterhaltung an die Front, übersteht die letzten Kriegsmonaten im Verstecken, verliert fast sein gesamtes Frühwerk im Bombenhagel. 1945 kommt Camaro nach Berlin, wird schnell stadtbekannt, gründet 1949 mit Freunden das legendäre, kurzlebige Bohème- Kabarett „Die Badewanne“, stellt auf der ersten „Documenta“ aus. Ein exzentrischer Geist, ein Charakterkopf, der selbst im buntesten Vernissage-Gewimmel auffällt, vor allem den Frauen.
So präsent er selber ist, so wenig sind es seine Gemälde – denn Alexander Camaro kann schwer loslassen, im Leben wie auch in der Kunst. Er hortet seine Werke lieber statt sie zu verkaufen – vor allem, seit er 1952 zum Professor an die Hochschule der Künste berufen und damit die üblichen Maler-Geldsorgen los geworden ist. Weit über 800 Ölbilder umfasst sein Nachlass, von Grafiken, Zeichnungen und Skizzen ganz zu schweigen.
Kein Wunder, dass heute, 19 Jahre nach seinem Tod, kaum noch einer den Namen Camaro kennt. Dabei haben seine bekanntesten Arbeiten immer noch Hunderttausende Besucher jedes Jahr: Die Menschen allerdings, die in der Philharmonie, dem Musikinstrumenten oder der Staatsbibliothek seine bunten Glasbaustein-Wänden passieren, halten sie fast immer für Schöpfungen des Architekten Hans Scharoun. In der Tat hatte sich der geniale Baumeister den Wechsel von Klarglas-Fenstern und farbig gestalteten Flächen einfallen lassen, „um Schweres leicht zu machen und dadurch den festlichen Eindruck zu steigern“. Vor allem im Foyer der Philharmonie ist das großartig gelungen, beim himmelwärts strebenden Triptychon in Rottönen, das der Halle durchaus die Anmutung einer modernen Kunstkathedrale verleiht.
In der Tat sind die kreisrunden Glasbausteine zum Teil mit wertvollen Antik- Gläsern veredelt, wie sie auch für Kirchenfenster verwendet werden. Hart muss Scharoun um die Kunst-am-Bau- Objekte ringen, zu denen neben Camaros Fenstern auch die Mosaikböden von Erich F. Reuter, Günter Ssymmanks Kugelleuchten sowie Bernhard Heiligers Skulptur am Fuß der drei großen Treppen gehören. Seine Mitarbeiter berichten, wie der Architekt seinen Zigarrenstummel mit der Zunge von einer Seite des Mundes zur anderen bugsiert, während er die Ermahnungen der notorisch knickrigen Senatsvertreter anhört. „Das machen wir schon“, lautet stets seine ungerührt-höfliche Antwort, „das machen wir schon“. Als die Philharmonie im Oktober 1963 eröffnet wird, hatte sie 17,5 Millionen Mark gekostet – statt der bewilligten 13,5 Millionen.
So bestimmend die Glasfenster für die Atmosphäre des Hauses bis heute sind – neben der Foyer-Sinfonie in Rot gibt es drei weitere Flächen in Grau-Rosa, Blau-Grün sowie Braun-Gold –, für Camaro war die staatliche Auftragsarbeit nur ein Nebenjob, leicht verdientes Geld. Denn der Maler machte sich gar nicht die Mühe, ein originalgetreues Modell für die Glasbausteine zu entwerfen. Er tuschte seine Ideen zur Farbgestaltung freihändig auf ein großes Blatt Papier, und überließ die Sisyphusarbeit der technischen Umsetzung dann seiner damaligen Lebensgefährtin Susanne Riée.
Riée, heute eine rüstige ältere Dame, erinnert sich noch gut, wie sie auf ihrem Zeichentisch mit Dutzenden Farbproben hantierte, die eine Zehlendorfer Glaserei angeliefert hatte. Jedes Scheibchen musste mit einer Nummer versehen werden, damit am Ende zwischen den Betonschalen jene lichtdurchlässige Collage entstehen konnte, die sie aus der flächigen Vorlage des Meisters in die Sprache der Glasbausteine übersetzt hatte. Zum Dank wurde ihr Name in keiner Lobrede auf die Philharmonie erwähnt. „Damals war das ganz üblich“, erzählt sie ohne Bitterkeit. Jetzt allerdings könnte Susanne Riée eine späte Wiedergutmachung ereilen, ausgerechnet aus der Hand jener Frau, um derentwillen sie der Maler damals hat sitzen lassen.
Kurz vor ihrem Tod nämlich hat Renata Camaro eine Stiftung gegründet, deren Hauptkapital jene Sylt-Kate darstellte. Ein Kapital in bester Kampen- Lage , das sich mit den Jahren derart vervielfacht hatte, das nach dem Verkauf zwei Immobilien in der Hauptstadt angeschafft werden konnten. Ein Mietshaus, aus dessen Einnahmen die laufenden Kosten der Stiftung bestritten werden können, sowie ein architektonisch herausragendes historisches Gebäude in der Potsdamer Straße.
Von außen sieht man der Nummer 98, gegenüber des alten Tagesspiegel-Stammsitzes, nicht an, dass sich im zweiten Hinterhof eine Idylle öffnet, parkartig, mit plätscherndem Brunnen zwischen Weiden- und Ahornbäumen. Wilder Wein rankt an der Fassade des fünfstöckigen Backsteingebäudes empor, das 1893 als Atelierhaus für Künstlerinnen errichtet wurde, denen die Hochschule damals noch die Aufnahme versagte. Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz haben in den hohen Räumen gearbeitet, in denen nun die Camaro-Stiftung residiert. Für Susanne Riée, die unverzichtbare, intimste Kennerin des Nachlasses, fand sich eine Wohnung direkt nebenan.
Offiziell werden die minimalistisch renovierten Räume zwar erst im Herbst eingeweiht – doch weil die Philharmonie ab heutig mit einer Foyer-Ausstellung an Alexander Camaro erinnert, öffnet man jetzt schon die Türen für Besucher: Wer am Kulturforum, wo es vor allem um Biografisches geht, neugierig geworden ist, trifft hier auf die Originale. Es ist ein Ausflug in goldene Zeiten der Berliner Nachkriegskultur.
Beide Ausstellungen laufen bis zum 23. Juni und sind Mo – Fr von 15 – 18 Uhr sowie am Wochenende von 11 – 14 Uhr geöffnet.
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