Komische Oper: "Eine Frau, die weiß, was sie will": Meine Mama ist ’ne Diva
Triumph für Dagmar Manzel: In „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ schlüpft sie mit Max Hopp in 30 verschiedene Rollen.
Es ist ein Triumph. Für Dagmar Manzel und Max Hopp, die an diesem umjubelten Premierenabend in 30 verschiedene Rollen schlüpfen. Für Barrie Kosky, der Oscar Straus’ „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ mit virtuoser Regisseurshand als Zwei-Personen-Stück arrangiert hat. Und auch für das neue Geschichtsbewusstsein an der Komischen Oper, das auch die Zeiten vor Walter Felsenstein und seinem realistischen Musiktheater reflektiert. Unter dem Namen „Metropol Theater“ residierte seit 1897 an der Behrenstraße eines der mondänsten Vergnügungsetablissements der Reichshauptstadt. Fritzi Massary, die größte Diva der Berliner Operette, ließ sich seit 1910 vor allem auf dieser Bühne feiern, einen letzten Erfolg fuhr sie hier 1932 mit „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ ein, bevor die antisemitische Hetzpropaganda sie ins Exil nach Amerika trieb.
Dort traf sie Oscar Straus wieder, der ihr so viele Stücke auf den Leib geschrieben hatte. Eigentlich wollte der 1870 geborene Wiener ja seriöser Komponist werden, dann aber verfiel er doch der leichten Muse, wurde Musikchef des legendären „Überbrettl“, brachte mit den „Lustigen Nibelungen“ 1904 eine Germanenkult-Parodie heraus, die zwar viel Kritikerlob, aber nur wenig Publikumszuspruch fand.
Im MIttelpunkt steht eine emanzipierte Selfmadefrau
Also verlegte er sich auf die Wiener Operette, landete mit seinem „Walzertraum“ 1907 einen Welterfolg. In dem Stück, das von den Nöten eines Prinzgemahls erzählt, finden sich immerhin noch sozialsatirische Spurenelemente. Frecher konnte er dann wieder bei den Fritzi-Massary-Stücken werden: In „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ steht eine emanzipierte „Selfmadefrau“ im Mittelpunkt, die Operettendiva Manon Cavallini, die mit der Liebe so frei umgeht, wie sich die Männer das seit Jahrhunderten herausnehmen durften. „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ heißt die berühmteste Nummer dieser „musikalischen Komödie“, zu der Alfred Grünwald den Text lieferte, jener listige Lustspieldichter, dem die Welt auch die Libretti zu „Gräfin Mariza“, „Blume von Hawaii“ und „Ball im Savoy“ verdankt.
Manon Cavallini hat aus der Liaison mit einem Großindustriellen eine Tochter, Lucy, zu der sie laut gerichtlicher Verfügung aber keinen Kontakt aufnehmen darf, so lange sie im Theatergewerbe aktiv ist. Nun steht diese Lucy plötzlich in ihrer Garderobe, wie sie sich just in jenen jungen Mann verguckt hat, der hinter ihrer Mutter her ist. Ohne die verwandtschaftlichen Beziehungen zu enthüllen, verzichtet die Diva auf ihren Verehrer Raoul Severac. Im 2. Akt, Lucy und Raoul sind inzwischen verheiratet, entdeckt die immer noch ahnungslose Tochter, dass sich ihr Gatte heimlich mit Manon Cavallini trifft. Als sie sich rächen will und Fernand, den besten Freund Raouls, zum Stelldichein bestellt, schreitet die besorgte Mutter ein, verführt den potenziellen Verführer, deckt die Familienverhältnisse auf und rettet so Lucys Ehe.
Keine Ausstattungsposse: Barrie Kosky reduziert das Personal radikal
Es spricht für Barrie Koskys scharfen Interpretenblick, dass er diese banale Boulevardstory nicht als Ausstattungsposse erzählt, sondern einerseits das Personal radikal reduziert und andererseits das Prinzip der klappenden Komödientür auf die Spitze treibt. Dazu braucht er nur eine weiße Wand mit zwei Armleuchtern, wie sie überall in der Komischen Oper hängen. Und ein Paar geniale Verwandlungskünstler wie Dagmar Manzel und Max Hopp.
Schweißtreibend ist das, was die beiden da auf der Vorderbühne veranstalten, ein 90-Minuten- Sketch, bei dem sie sogar Vier-Personen-Szenen spielen, jeweils zur Hälfte als Frau verkleidet und zur Hälfte als Mann. In wahnwitzigem Tempo wechseln sie zwischen den Figuren hin und her, aber auch zwischen Tonlagen und Lebensaltern. Dass die Garderobieren, Gewandmeister und Maskenbildner, die diesen Zauber machen, beim Schlussapplaus mit auf die Bühne kommen, ist da nur angemessen.
Max Hopp ist der Backfisch Lucy im pinken Kleid, ist der Tennisprofi Fernand, spricht den Theaterdirektor mit französischem Akzent, mimt im Finale des 1. Akts eine ganze Abendgesellschaft – und wenn Dagmar Manzel ein paar Sekunden länger zum Umziehen braucht, tritt er in barocker Robe an die Rampe und strahlt in den Saal: „Icke bin Cecilia Bartoli und freue micke, Ihnen heute chinesische Arien zu singen.“
Was er dann natürlich nicht tut, sondern flugs durch die Schwingtür entschwindet, während aus dem Off seine Partnerin schon die nächste Szene startet. Dagmar Manzel, die der Komischen Oper seit elf Jahren verbunden ist, die sich mit „Sweeney Todd“, „Kiss me Kate“, „Im weißen Rössl“, Weills „Todsünden“ und „Ball im Savoy“ jedes Recht erspielt hätte, hier als Reinkarnation der Massary zu glänzen, ist bereit, auch noch ihre eigene Entourage darzustellen. All die Stichwortgeber, vom zottelbärtigen Großindustriellen über ihren eigenen Verehrer Raoul und einen Restaurantkellner bis hin zur Kammerzofe mit Sprachfehler. Und sie hat einen Riesenspaß dabei, setzt die Knallchargen in ein so sanftes Licht, bleibt im wüstesten Gossenhumor so charmant, wie es sonst nur Katharina Thalbach kann.
Zuletzt hatte sich Barrie Kosky bei der „Schönen Helena“ allzu sehr vom eigenen Brainstorm der Ideen forttragen lassen, bis der Offenbachklassiker im Stakkato der optischen Knalleffekte zur verkrampften Angelegenheit wurde. Jetzt, bei diesem kuriosen Kammerspiel, funktioniert sie perfekt, die Balance der Geschwindigkeiten zwischen Szenenwechseln, Pointenfrequenz und Dialogtempi. Zudem schmiegt sich der Gesang dem Geschehen mit meisterhafter Geschmeidigkeit an, starten die Musiknummern mit schönster Natürlichkeit aus dem Wortfluss heraus. „Wie für die Spieluhr geschrieben“ kam dem Uraufführungsrezensenten des „Berliner Lokal-Anzeigers“ diese Partitur vor, die eben nicht nur auf Chor, Ballett und große Finali verzichtet, sondern auch auf sentimentalen Pomp à la Léhar oder Revuejazz nach Art von Paul Abraham.
Zwei Dutzend Musiker reichen Oscar Straus für seine Chansons, in denen es um Pensionatschülerinnen geht, die sehr wohl im Bilde sind über neueste Trends, in denen praktische Tipps für glückliche Ehen gegeben werden oder die Frage im Raum steht: „Haben Sie schon einen Hausfreund?“ Wenn ein Dirigent wie Adam Benzwi im Orchestergraben waltet, der einen feinen Sinn fürs Swingende hat und eine grenzenlose Liebe zum Entertainment, dann entfaltet diese mit leichter Hand hingetupfte Zeitgeistmusik auch heute wieder einen Zauber, dem sich keiner entziehen kann.
Wieder am 5. und 8. Februar, am 8. März sowie am 10. April
Frederik Hanssen