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A star is born. Katharine Mehrling (Mitte) in der Rolle der Daisy Darlington.
© Freese/drama-berlin.de

Koskys "Ball im Savoy" an der Komischen Oper: Und das Känguru boxt dazu

Barrie Kosky holt an der Komischen Oper Paul Abrahams „Ball im Savoy“ nach Berlin zurück. Katharine Mehrling entpuppt sich als der Star des Abends.

„Ich bedaure“, sagt die Kellnerin im rechten Rangfoyer, „wir können keine Getränkebestellungen für die Pause mehr annehmen.“ Also schnell rübergespurtet auf die linke Seite. Doch auch hier heißt es an der Bar: „Wir sind ausgebucht.“ Barrie Kosky hat zur Operettenpremiere in die Komische Oper geladen – und das Publikum ist in vorfreudiger Sektlaune. Als dann aber zum Finale erneut der Gassenhauer des Stücks angestimmt wird – „Es ist so schön, am Abend bummeln zu geh’n“ – und das Ensemble zum Mitklatschen auffordert, nehmen wenige Hände im Saal den Rhythmus auf. Die meisten sind zu erschöpft von dreieinhalb Stunden Dauerentertainment.

Kosky liegt der „Ball im Savoy“ am Herzen. Weil für ihn kein Musiktheatermacher den Geist der Weimarer Republik so gut einzufangen verstand wie Paul Abraham. 1930 war der ungarisch-jüdische Komponist von Wien nach Berlin übersiedelt, mit dem Ruf seines Hits „Viktoria und ihr Husar“ im Rücken. Er war durch Bars und Clubs gezogen, hatte Jazzbands gehört, die weltstädtische Atmosphäre eingesogen, die moralisch lässige, künstlerisch explosive Stimmung genossen. Und dann aus all diesen Zutaten einen Cocktail gemixt, eine Revueoperette, die die deutsche Metropole der Moderne feiert. Eine Metropole freilich, durch die kaum zwei Monate nach der umjubelten Uraufführung der Fackelzug der Nazis marschiert.

Abraham wird vom Societydarling zum Gejagten, muss fliehen, erst nach Budapest, Wien, Paris, schließlich über den Atlantik. Auf Kuba fängt er sich die Syphilis ein, alle Hoffnungen, in New York an europäische Erfolge anknüpfen zu können, scheitern. „Das Bild vom seelisch gebrochenen Paul Abraham, der 1946 geistesverwirrt auf der Madison Avenue den Verkehr dirigiert, gehört für mich zu den furchtbarsten Bildern dieser Zeit“, sagt Kosky.

Darum will er den 1960 verarmt und vergessen Gestorbenen rehabilitieren. Ja, er will gar einen Dibbuk austreiben, wie Juden die Seele eines zu früh von uns Gegangenen nennen, der nun in einem fremden Körper gefangen ist. Darum lässt er nach dem Happy End a cappella eines der traurigsten Abraham-Lieder anstimmen, „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“, ein Lamento über die Vergeblichkeit unseres Glücksstrebens. Darum inszeniert er auch in Überlänge. Was nie gut ist fürs Entertainment.

Mit „Kiss me, Kate“ hat der Kosmopolit Kosky bewiesen, dass er seine Zuschauer aus den Sitzen zu reißen vermag. Auch diesmal stimmen die Zutaten. Mit Adam Benzwi hat er den besten Musicalmusiker der Stadt engagiert, der sein Wissen über die damalige Aufführungspraxis ins Orchester der Komischen Oper pumpt wie einst die Vorkämpfer der Alte-Musik-Bewegungen ihre Erkenntnisse aus dem Quellenstudium der Barock-Partituren. Authentisch wie bei Max Raabe entfaltet sich der jazzige Sound, mitreißende Melodien bohren sich ins Ohr, schmissige Rhythmen lassen die Füße wippen. Als Meister der improvisierten Klavierbegleitung begleitet Benzwi einige Nummern nur am Flügel. Dagmar Manzel hat ihren stärksten Moment, wenn sie als hintergangene Ehefrau ihre Einsamkeit zum Pianoklang aussingen kann. Da wird der schnulzige Schlager zum intimen Chanson, da zeigt sie sich als die große Schauspielerin.

Zu Abrahams Zeiten gab es viele Bühnenkünstler, die ebenso gut sangen wie tanzten und Komödie spielten, weil die populären Genres nach Multitalenten verlangten. Tempi passati. Auch deshalb wurde Dagmar Manzel zum Star der jüngsten Musikkomödienrenaissance auf Berliner Bühnen. Am Sonntag aber stiehlt ihr eine Frau die Show, die ihre kleine Schwester im Geiste sein könnte: Katharine Mehrling. Eher boulevardesk-bieder entwickelt sich die Handlung bis zu ihrem Auftritt. Christoph Späth ist als Marquis de Faublas mit seiner Gattin Madeleine (Dagmar Manzel) von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, um in seiner Villa in Nizza ein Telegramm der Ex-Geliebten Tangolita vorzufinden. Die besteht auf Einlösung eines Versprechens noch in derselben Nacht: einem Souper im Hotel Savoy. Faublas’ Busenfreund Mustafa Bey – den Helmut Baumann mit der Autorität seiner jahrzehntelangen Bühnenerfahrung spielt – ersinnt einen Plan, wie das Tête à tête ohne öffentliches Aufsehen zu absolvieren wäre. So weit, so konventionell. Dann aber öffnet sich in dem Penthouse, das Klaus Grünberg auf die Bühne gebaut hat, die Fahrstuhltür, und heraus tritt Daisy Darlington, eine Jazzkomponistin, die gerade unter männlichem Pseudonym zum Chartstürmer geworden ist.

Katharine Mehrling trägt Knickerbocker-Hosen zu Highheels und singt vom boxenden Känguru – das ist im Salon der Clou. Als wär’s ein Rilke-Gedicht, so zelebriert sie den Gaga-Text, lässt sich dabei von sexy Tänzern durch die Luft wirbeln, streut Scat-Gesang, Soultöne und Jodler ein, kurz: Sie erfüllt die ganze Bühne nicht nur mit ihrer wandelbaren Stimme, sondern auch mit einer körperlichen Präsenz, die pure, sinnliche Lebensfreude ausstrahlt. Wer die zierliche Erscheinung nicht schon aus der Musical- und Kleinkunstszene kannte, liebt sie jetzt. Auf den ersten Blick und Ton. A star ist born.

Kurz und schmerzlos müsste die bei Johann Strauss’ „Fledermaus“ geklaute Handlung abschnurren. Daisy durchschaut die Machenschaften der beiden Männer, überredet ihre Freundin Madeleine/Manzel, maskiert zum Ball im Savoy zu erscheinen – wo sie prompt vom eigenen Mann angebaggert wird. Als er zum Séparée-Date mit Tangolita verschwindet, schnappt sich die düpierte Gattin ihrerseits einen Verehrer.

So virtuos Kosky und sein Choreograf Otto Pichler die Ensembleszenen durchorganisieren, so viele Details es bei den Kostümen von Esther Bialas zu entdecken gibt, so entfesselt die formidablen Chorsolisten immer wieder abhotten – irgendwann zieht sich der Abend wie Kaugummi. Weil Kosky „das ganze Werk“ präsentieren, weil er keinen Kalauer abgeben will, jede kleinste dramaturgische Volte ausinszeniert. Weil er das Stück sehr ernst nimmt. Aber das ist es nicht unbedingt, ernst ist, was mit seinem Komponisten geschah. Zu den qualitativ durchwachsenen Originalgesangsnummern werden Evergreens aus anderen Abraham-Operetten eingebaut. Der Abend entwickelt keine Fallhöhe. Kann man, soll man Geschichten über den Tanz der Weimarer Republikaner auf dem Vulkan nach „Cabaret“ wirklich noch ganz und gar sonnig, ohne braunen Schattenwurf erzählen?

Viele Details möchte man nicht missen. Peter Renz als Diener Archibald beispielsweise. Wie er ein paar Prachttöne abfeuert, um das Couplet seines Arbeitgebers zu Ende zu bringen, nachdem der feine Herr mit dem Lift entschwebt ist, wie er später duettierend mit Christiane Oertels Kammerzofe Bébé auf Jiddisch ein sentimentales Wiener Lied anstimmt, das erzählt Geschichte. Das hat Klasse und Niveau. Ebenso wie die Idee, das Rasseweib Tangolita mit Agnes Zwierko zu besetzen, einer drallen Polin, die inmitten all der geschmeidigen U-Musik-Profis gnadenlos opernhaft schmettert und ihren Dialogen nicht durch Pseudospanisch exotischen Reiz verleiht, sondern durch die freie Rede in ihrer konsonantengespickten Muttersprache.

Auch wenn es am Ende viel Applaus gibt: Es bedarf noch einiger stilistischer Aufbauarbeit, um aus dem Nebeneinander guter Künstler mehr zu machen als einen Kessel Buntes. Zum Glück hat der Australier einen langen Atem. In der kommenden Saison wird er mit den Geschwistern Pfister weiter an seinem Operettenentdeckungsprojekt arbeiten – mit Nico Dostals „Clivia“.

Wieder am 12., 15., 18., 21., 23., 26. 6.

Frederik Hanssen

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