Neuverfilmung der Kultoperette: Hilfe, das Glück steht vor der Tür
Das unkaputtbare Idyll: Christian Theedes Operettenverfilmung Die„Im weißen Rössl – Wehe du singst“ persifliert die Persiflage.
Aua, das sitzt. „Typisch Berlinerin“, schimpft Rössl-Wirtin Josepha Voglhuber bei der Schuhplattler-WM über die sturzbesoffene Touristin Ottilie Giesecke, „keine andere Großstadt bringt derart enthemmte Weibsbilder hervor!“ Dieser Satz ist nicht das einzig Neue in der schätzungsweise achten Verfilmung des „Weißen Rössls“. Auch das dankbare Musikantenstadlsetting eines im Boxring stattfindenden Volkstänzerkampfes hat es weder in der Peter-Alexander-Version von 1960 noch 2010 in Sebastian Baumgartens Inszenierung an der Komischen Oper mit Dagmar Manzel als kratzbürstiger Rössl-Wirtin gegeben.
Schadet nichts, das „Rössl“ kann einiges ab. Die 55 Inszenierungen, die Filmproduzentin Regina Ziegler gegenwärtig auf deutschen Bühnen gezählt hat. Und auch diese schrille, bonbonbunte, schamlos das Frauen- und Männerbild der Fünfziger zitierende Kinoneuauflage unter der Regie von Christian Theede. Schließlich war der 1896 als Altberliner Lustspiel von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg im Sommerfrischlerparadies Bad Ischl geschriebene Stoff nie etwas anderes als die persiflierte Persiflage. Auf Städter, die in der Provinz die Idylle suchen. Auf frustrierte Liebende, die nach Romantik lechzen. Erst recht, seit Ralph Benatzky daraus 1930 das vom schwulen, jüdischen Unterhaltungsfürsten Erik Charell im Großen Schauspielhaus Berlin uraufgeführte, auf der ganzen Welt erfolgreiche Singspiel machte.
Die Sehnsucht nach der heilen Welt ist einfach nicht kaputtzukriegen. Und Benatzkys grausam gute Ohrwürmer wie „Die ganze Welt ist himmelblau“, „Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden“ oder „Im Weißen Rössl am Wolfgangsee, da steht das Glück vor der Tür“, funktionieren selbst im zunächst etwas verbrecherisch anmutenden Pop-, Rock- oder Bollywoodmix.
So heutig wie einige Melodien klingen, an denen Till Brönner und Bela B. mitproduziert haben, so gestrig ist der Look. Natürlich nur im kuscheligen Salzkammergut, nicht im blaustichig kalten Berlin. Aus dieser zynischen Stadt, wo Männer Frauen mit den Worten „Heiraten? Das machen heutzutage nur noch Schwule!“ den Laufpass geben, flieht Ottilie in Begleitung ihres Vaters (hemdsärmelig wie immer: Armin Rohde) sowie der Urne ihrer Mutter an den Wolfgangsee, wo doppelte Regenbögen am Himmel stehen und Vögel in Herzformation flattern. Dort stehen frisch aufgebügelte Herzensbrecher neben blankgewienerten Mopeds am Straßenrand und reden in Lore-Roman-Stanzen. „Bist du irgendwo ausgebrochen?“, fragt die der Idylle misstrauende Ottilie ihren neuen Verehrer, der sie mit Liebesschwüren und Komplimenten überschüttet. „Ja,“ sagt Rössl-Anwalt Dr. Otto Siedler, „aus dem Gefängnis meiner Einsamkeit“. Das sind klasse Momente zwischen der blondlockigen, aber blassen Diana Amft und dem ebenso ansehnlichen, aber sehr gewitzt den Naiven spielenden Tobias Licht. Da stimmen plötzlich Timing und Dialoge der Komödie, die erst mit Slapstickeinlagen wie der Trennung per SMS und Muttis Urne wenig elegant losrumpelt.
Kein Musikfilm ohne große Ensemblenummern, gerne als Reminiszenz an die ornamentalen Girlsformationen alter Revuefilme auch mal von oben gefilmt. Das ist mit Pep und Witz choreografiert, aber etwa bei den Tanz- und Gesangsnummern vor der lila angemalten Hotelfront zu eng, im Fernsehformat, kadriert.
Dass die Schauspieler keine Tänzer und Sänger sind, stört dagegen kein bisschen: Gregor Bloéb als schöner Sigismund und Fritz Karl als unglücklich verliebter Zahlkellner Leopold bringen den fürs „Rössl“ auch als Heimatfilmparodie unverzichtbaren Ösischmäh mit. Überhaupt ist Karl der stille Herzschlag des vor grotesken Einfällen berstenden Geschehens. Auch das neue Rössl braucht halt die alte Melancholie.
Alhambra, Cinemaxx, Colosseum, Cubix, Cinestar Tegel, Filmkunst 66