Die Erfolgsstory des Barrie Kosky: Der Zauberer der Komischen Oper
Keine Angst vor großen Emotionen! Mit diesem Rezept hat Intendant Barrie Kosky das Wunder von der Behrenstraße geschaffen. Zum Ende einer außergewöhnlichen Spielzeit.
Blumfeld hat jetzt die Konsequenzen gezogen. Er legt sich platt auf den Fußboden und atmet sehr flach. Er schmiegt die Hundeschnauze in die Vorderpfoten und beschließt zu schlafen. Nicht auszuhalten, die Sommerhitze, für einen elfjährigen Spaniel.
Sein Herr hat ebenfalls Konsequenzen gezogen. Er sitzt auf einem schwarzen Ledersessel in seinem Büro und hat sehr wenig an. Das kurzärmlige weiße Hemd hat er bis zum vierten Knopf geöffnet, das Brusthaar des 46-Jährigen zeigt graue Strähnen, die Hose endet temperaturkonform bei den Knien, und die nackten Füße stecken in Sandalen. Ganz unnackt sind indessen seine Hände, an sieben Fingern prunken dicke Silberringe. Womöglich stellt man sich einen Opernintendanten etwas anders vor. Würdiger vielleicht, durchgeistigter. Jedenfalls nicht so wie den. Der sieht ja aus wie ein Popstar.
Das Haus feiert Triumphe
Eigentlich ist er einer. Jedenfalls was seinen Erfolg angeht. Seit zwei Jahren ist Barrie Kosky nun Intendant der Komischen Oper in Berlin, und seitdem feiert das Haus an der Behrenstraße einen Triumph nach dem anderen. Im vergangenen Herbst: deutsches Opernhaus des Jahres. Im April: International Opera Award für Kosky als besten Regisseur. Und jetzt gerade hat er die neueste Statistik über die Besucherzahlen auf den Tisch bekommen: 218 000 verkaufte Karten für die vergangene Saison, 30 000 mehr als im Jahr zuvor, eine Platzauslastung von imposanten 85 Prozent.
Das war nicht immer so. Vor gut zehn Jahren galt die Komische Oper als Berliner Sorgenkind, immer lauter wurden die Stimmen, man möge das Haus gefälligst schließen, die Staatsoper und die Deutsche Oper seien mehr als genug für die arme Stadt. So viel Oper braucht kein Mensch, schrien nicht nur Kulturstürmer.
Und jetzt auf einmal dieser Höhenflug.
Gar nicht auf einmal. Der Retter der Komischen Oper sei keinesfalls er, beeilt sich Barrie Kosky in seinem Büro zu versichern, während Blumfeld den Schlaf der Gerechten schläft. Keine falsche Entscheidung, denn was sein Herr nun erzählt, das hat er ja schon viele Male gehört. Der Opernretter heiße Andreas Homoki, der Vorgänger-Intendant. „Der hat gekämpft wie ein Löwe, hat das Haus in eine neue Richtung gebracht.“ Die Komische Oper wurde plötzlich zum Ort für gewagtes Regietheater, für provokante Inszenierungen. „Mein Erfolg wäre ohne die zehn Jahre von Homoki nicht möglich gewesen“, sagt Kosky. Nach falscher Bescheidenheit sieht das nicht aus.
Aber dann hat er, der australische Pianist und Musikwissenschaftler, der auf einmal nach Berlin geschneit kam, an der Homoki-Schraube weitergedreht, hat das alte Haus in rasende Schwingungen versetzt. Hat alte Zöpfe abgeschnitten, das Dogma außer Kraft gesetzt, dass an der Komischen Oper nur Deutsch gesungen werden dürfe; hat gleich klargemacht, dass er auf keinen Fall der „Herr Kosky“ ist, sondern bloß „der Barrie“, was mittlerweile auch die Garderobenfrauen wissen. Und hat ein Höllentempo vorgelegt: zwölf Premieren in der ersten Spielzeit, elf in der kommenden. Barrie Kosky, das Arbeitstier, das Konditionsgenie, das Energiebündel, der Kontrollfreak, der sich sogar in altgespielte Repertoirevorstellungen setzt, um zu sehen, ob hier alles seine Ordnung hat.
Nicht nur die schwule Community von Berlin ist entzückt
Aber das erklärt das Wunder von der Behrenstraße noch lange nicht. Das Eigentliche, das Besondere, das ganz und gar Barrie-Koskyhafte verbirgt sich vielmehr in jenem Zauberwort, das bei ihm, so beharrlich wie kokett englische Wörter ins Deutsche mischend, „diversity“ heißt. Nun werden im Intendantenbüro die Gesten groß, und die Stimme wird mächtig, dass sie selbst schlafende Hunde weckt, weshalb sich Blumfeld verstört erhebt und seinem Herrn vorwurfsvolle Blicke zuwirft. „Diversity“, sagt der, sei schließlich schon in seiner eigenen Person angelegt: „Ich bin ein gemischter osteuropäischer, australischer, jüdischer Cocktail.“ Und so gemischt präsentiert sich sein Spielplan. Eine strenge zwölfstündige Monteverdi-Marathon-Session, die Jazzoperette „Ball im Savoy“, eine „Zauberflöte“ in der Ästhetik des Stummfilms, „Castor und Pollux“, eine vergessene Barock-Oper, Bernd Alois Zimmermanns hochkomplexe „Soldaten“ von 1965 oder Bernsteins „West Side Story“, Broadway in Berlin. „Und das alles wird von denselben Menschen gespielt und gesungen. Es gibt kein anderes Opernhaus in der ganzen Welt, das so etwas kann.“
Die Zeiten, sagt der Herr des Hundes, seien eben vorbei, in denen es nur einen Typus von Zuschauern gibt. Er mache für die einen dies und für die anderen das, und wer unbedingt Richard Wagner hören wolle, der möge eben in die beiden anderen Berliner Opern gehen. Die könnten den aufs Allerfeinste spielen.
Plötzlich steht der Hund stramm
Aha, denkt man nun, die klassische Wagner-Aversion. Keine Überraschung bei einem, der sich gerne einen „jüdisch-schwulen Opernzigeuner“ nennt. Er habe, seufzt Kosky, nun einmal „eine schrecklich komplizierte Beziehung“ zu diesem deutschesten aller deutschen Komponisten, „das ist eine never ending story“. Immer wieder hat er Wagner inszeniert, vom „Lohengrin“ bis zum „Ring“. Manchmal, erzählt er dann, sitze er in den Proben, und da steige ein grimmiges Gefühl in ihm hoch: „Ich hasse das so sehr.“ Aber dann höre er „Tristan“, und da denke er plötzlich: „Du Arschloch! Wie kannst du das so genial schreiben? Was für eine Musik!“ Kosky lacht dabei laut und klatscht in die Hände. Der Hund steht nun sehr stramm.
Er habe stundenlang mit seinem Psychotherapeuten über diese Ambivalenz gesprochen, „und ich fürchte, diese Wagner-Beziehung ist noch nicht am Ende“. Never ending eben. Die Sache mit dem Psychotherapeuten möge man übrigens nicht missverstehen, er leide keineswegs unter Depressionen. Therapie sei für ihn so etwas wie der Gang ins Fitness-Studio. „Fitness for the mind.“ In anderen Ländern sei das völlig normal, nur in Deutschland rede man nicht darüber.
Allerdings sei das gar nichts im Vergleich zu einer anderen deutschen Unart, der unseligen Unterscheidung zwischen E- und U-Musik. Kosky blickt jetzt zutiefst ratlos durch seine runde Brille. Kaum etwas ist ihm schwerer verständlich. Es gebe doch nur eine einzige sinnvolle Unterscheidung: gute Musik, schlechte Musik. Aber E und U? Was hat er sich nicht alles anhören müssen, bloß weil er ein paar Operetten in den Spielplan genommen hat. „Das ist doch nur ein Drittel des Repertoires!“ Aber sofort habe es geheißen, der Kosky macht aus der Komischen Oper einen Operettenpalast. „Was für ein Quatsch“, ruft er, „don’t put me in a Schublade!“
Seine Art Operette hat nichts zu tun mit der staubigen Peter-Alexander-Gemütlichkeit
Wobei der Gerechtigkeit halber hinzuzufügen wäre, dass diese Inszenierungen besondere Höhepunkte der Ära Kosky gewesen sind und seinem Haus Besucherrekorde beschert haben. Cole Porters Musical „Kiss me Kate“ oder Paul Abrahams „Ball im Savoy“, beide mit Dagmar Manzel in der Hauptrolle („meine Muse“, sagt Kosky). Schrille, turbulente Shows mit Herz und Schmerz, mit Ironie, rasendem Tempo, Tanz und einem Meer von Pailletten. Nicht nur die schwule Community Berlins ist entzückt. Von der Wiederauferstehung der Operette schreiben die Zeitungen.
Aber Vorsicht, sagt Kosky, seine Art Operette hat nichts zu tun mit der staubigen Peter-Alexander-Gemütlichkeit der Nachkriegszeit. „Operette ist nicht Oper light. Das ist eine ganz eigene Form, die man ernst nehmen muss: großes Orchester, große Ausstattung, große Tanzensembles und keine Angst vor der großen Emotion.“ Und für die Darsteller sei sie das allerschwierigste Genre. Denn die müssten zwei verschiedene Augen gleichzeitig haben. Eins, das ganz ernsthaft schaut, und eins, in dem die Ironie blitzt: Was für ein wunderbarer, blöder Quatsch ist das.
Dieser Quatsch hat für Kosky eine sehr ernsthafte Dimension. Denn was er da wiederbelebt, ist eine Kultur, oftmals jüdischer Herkunft, die von den Nazis zerstört wurde. Noch im Dezember 1932 erlebte jener „Ball im Savoy“ in Berlin seine umjubelte Uraufführung. Schon einen Monat später, mit Hitlers Machtergreifung, war es zu Ende damit. Der Jude Paul Abraham, der die erfolgreichsten Bühnenstücke in ganz Europa geschrieben hatte, musste fliehen, über Budapest, Paris, Kuba nach New York. Er starb verarmt und verwirrt, seine Werke wurden auch im Nachkriegsdeutschland weithin vergessen. Wenn Kosky nun versucht anzuknüpfen an diese jüdische, intellektuelle Tradition, die auch eine Berliner Tradition ist, dann geht es ihm um viel mehr als um ein Stück Musikgeschichte. Barrie Kosky, der nicht selten als Mann fürs Glamouröse und Leichte missverstanden wird, ist ein politischer Mensch. Don’t put me …
Mit dem sogenannten Leichten auf der Bühne hat es ohnehin sein eigene Bewandtnis. Man muss nur einmal zusehen bei den Tanzproben. Wie all das, was später bei der Premiere wie ein wogendes Schweben menschlicher Leiber erscheint, wie ein elegantes, leichtfüßiges Vibrieren, so minutiös, so exakt wie schweißtreibend einstudiert wird, eins, zwei, drei, vier, und jede kleinste Geste ihren rhythmischen Moment hat, eins, zwei, drei, vier. Wie kompliziert künstlich selbst ein einfaches Fallen eines Körpers ist, damit es dann auf der Bühne ganz unkünstlich aussieht. Otto Pichler, Koskys österreichischer Choreograf, hüpft wie ein Irrwisch mit seinen Tänzern durch den Probenraum, und Kosky selbst sitzt still auf seinem Regiestuhl und sieht geradezu vergnügt dem Wunder zu, das hier entsteht.
Sein Geheimnis: "Man muss in der Musik schwimmen"
Manche nennen ihn einen Opernbesessenen. „Nein“, sagt einer aus dem Sängerensemble, „gar nicht besessen. Nur leidenschaftlich.“ Der sei einer der wenigen Regisseure, „die ihr Steckenpferd nicht reiten, bis es tot ist“. Im Gegenteil, der ordne nicht alles einem starren Regiekonzept unter, der nehme sich zurück. „Ich kann als Sänger mitreden, zu ihm kommen mit meinen Ideen. Bei ihm bist du als Sänger viel mehr als ein Stimmvermieter, du fühlst dich als Person gewürdigt.“ Kosky wiederum sagt: „Es gibt nichts Schöneres für mich, als mit den Darstellern zu arbeiten“, Personenführung ist die Grundlage, der Kern seiner Regie. Da sitzt er auch schon mal drei Stunden mit zwei Sängern in einem Raum und arbeitet nur an einem einzigen Duett. Überhaupt, dieser Luxus an Probenzeit hier bei der Komischen Oper. „Wir können für eine Premiere acht Wochen probieren. Das gibt es sonst an keinem anderen Opernhaus der Welt.“
Das Erste ist für ihn: music, music, music
Das Allerschönste aber sei, sagt der Mann aus dem Sängerensemble, „man merkt, dass Kosky Musik studiert hat. Der versteht ein Stück auch musikalisch.“ Deshalb entwickelt er seine Regiearbeit nicht aus der Theorie, nie aus dem bloßen intellektuellen Zugriff, sondern stets aus der Musik. „Sie ist immer der Anfang“, sagt Barrie Kosky, „man muss in der Musik schwimmen.“ Ihre Architektur begreifen, die Assoziationen des Komponisten verstehen. Dann erst kommt der Text dazu. „Und schließlich fängt man an, eine Welt zu erschaffen.“ Aber das Erste ist für ihn immer und immer: „music, music, music“.
Der Hund Blumfeld, der seinen Namen übrigens von einer Kafka-Figur hat, hat sich längst wieder auf dem Büroboden schlafen gelegt. Warum hier bloß unentwegt über die Oper geredet wird? Dabei hasst er doch Opern. Er liebt Country & Western.