Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth: Mein lieber Schwan
Erhellende Ironie, lustlose Regie: Frank Castorfs Bayreuther „Ring“ im zweiten Jahr – und eine helle, klare Sternstunde mit Hans Neuenfels' „Lohengrin“.
Nein, es gab keine Castorf-Dämmerung in Bayreuth, keine Saalschlacht, nur das im Festspielhaus übliche entfesselte Bürgertum. Für zwei, drei Minuten stellen sich Frank Castorf und seine Mitstreiter dem Gewitter aus Buhs und Bravi, letztes Jahr sollen es zehn Minuten und ausschließlich Buhs gewesen sein. Castorf hebt die Arme, chargiert, wirkt ein wenig verlegen. Die Kanzlerin und ihr Mann haben den Saal da schon verlassen: Angela Merkel war hier, um sich den Rest vom „Ring“ anzuschauen, ganz privat.
Eben noch hatte Brünnhilde in höchsten Tönen die Liebe beschworen, eine Göttin der Vergeblichkeit. Catherine Foster gibt in der „Götterdämmerung“ ihr Innerstes preis, Kirill Petrenko stülpt das Erlösungsmotiv der Violinen ebenfalls nach innen, Sirenengesang im Konjunktiv, schwindelerregend. Das grandiose Drehbühnenbild von Aleksandar Denic (Tankstellen-Motel, Holzkirchen-Bohrtum, Mount Rushmore, Alexanderplatz, New Yorker Börse ...), dieses sich zwölf Meter hoch türmende Szenario, haben Petrenko und das Festspielorchester 14 Stunden lang in Töne übersetzt. Haben die Klänge entmischt, ohne sie zu zerlegen, ihre Vielschichtigkeit hörbar gemacht.
Schon Brünnhilde ist so eine Parallelwelt-Gestalt. Passt mit ihrer Goldrobe nicht in die Hinterhofwelt der Gangstergötter, Huren und Halbstarken. Im zweiten Jahr von Castorfs „Ring“ wird es noch deutlicher: Brünnhilde, die von allen Verratene, nimmt der Regisseur am Ende von seiner Werkzertrümmerung aus. Auch wenn Walhall lediglich in der Musik brennen darf, während auf der Bühne ein Ölfass leckt und Brünnhilde zwei Kanister Benzin auskippt. Der Ring landet in der Feuertonne, und Hagen kommt im Schlauchboot davon. Sind nicht totzukriegen, diese Fieslinge.
Das Problem ist die Lustlosigkeit, die Ungenauigkeit der Regie
Fragt sich nur, warum auch bei Brünnhilde so vieles im Ungefähren bleibt. Nicht Respektlosigkeit oder das Schlingern zwischen Oktoberrevolution, DDR-Petrochemie und B-Movie sind das Problem. Castorfs Störmanöver – Krokodile, Spaghettifraß, Voodoo-Videos – sorgen für erhellende Momente. Transzendenz durch Ironie! Das Problem ist die Lustlosigkeit, die Ungenauigkeit der Regie, ob bei der Personenführung oder dem Öl-statt-Gold-Motiv. Zum Libretto fällt Castorf Etliches ein, bloß von der Musik wird nichts ersichtlich.
Im Highway-Motel des kurzweiligen „Rheingolds“ dachte man noch, okay, die Welt ist eine Absteige, Castorf haut den Mythenschatz zu Klump. Zu Beginn der „Walküre“ winkt er noch mit dem Kitsch- und Heimatfilm-Zaunpfahl (Heuballen, Blondzopf-Sieglinde), zieht sich dann aber zurück, um gelegentlich noch mit roten Fahnen zu wedeln oder die explosive Weltlage ins Bild zu rücken (Ölkrise!). Im „Siegfried“ klettern die Sänger weitgehend sinnfrei auf der Felswand mit den Marx-, Lenin-, Stalin- und Mao-Köpfen herum, weshalb man auf das sexy Waldvögelein im Karneval-in-Rio-Outfit zu warten beginnt, auf den Knall der Kalaschnikow, wenn Siegfried den Drachen besiegt, und eben die Krokodile. Dieses Jahr gibt’s zusätzlich ein Alligator-Baby. Weitere Änderungen? Der Castorf-Assistent und Running-Gag-Statist Patric Seibert hat etwas mehr zu tun. Die Sänger hingegen bleiben weiter auf sich gestellt. Wolfgang Kochs im selbstzweiflerischen Parlando faszinierender Wotan, Anja Kampe als bejubelte Sieglinde, Catherine Foster als Brünnhilde, die ihre ersten Einsätze in der „Walküre“ verpatzt, oft zu tief ansetzt, ihre Partie aber zunehmend souverän und subtil meistert, Nadine Weissmann (Erda), Oleg Bryak (Alberich), Burkhard Ulrich (Mime), Attila Jun als Punk-Hagen mit Baseballschläger – wie viel haben sich diese fabelhaften Sängerdarsteller selber ausdenken müssen?
Wie licht, klar und genau dagegen Hans Neuenfels’ Ideengebäude!
Was für ein Unterschied zu Hans Neuenfels’ „Lohengrin“, der in seinem fünften Jahr Kult geworden ist auf dem Hügel. Bei Castorf fläzen sich die Helden auf Campingliegen und trinken Hochprozentiges aus Plastikbechern; nicht mal Wagner macht diese müden Männer munter. Wie licht, klar und genau dagegen Neuenfels’ Ideengebäude, wie heiter verspielt seine Sabotageakte, mit denen er das abgezirkelte rättische Reich von Brabant aufbricht. Im Schlussakt wachsen Klaus Florian Vogts strahlender Tenor und Edith Hallers neue, glockenhelle Elsa derart über sich hinaus und das Orchester unter Andris Nelsons dazu, miteinander, füreinander, dass 2000 Zuschauer den Atem anhalten. Eine Sternstunde in der Werkstatt Bayreuth.
Lance Ryan als Siegfried ist hingegen eine Fehlbesetzung im „Ring“. Der Australier stemmt und kräht seine Töne, bevor er ihnen ein kurzes Vibrato zuführt, dass es ein Graus ist. So wird er zur Karikatur eines Tenors. Er fürchtet das Bayreuther Publikum, hatte Ryan letzte Woche gesagt. Das Publikum fürchtete im Gegenzug seinen Gesang. Man fällt tiefer in Bayreuth als anderswo. Ist eben doch nicht Stadttheaterniveau.
„Wir müssen langfristigere Verträge aushandeln, sonst bekommen wir die Spitzensänger nicht, weil sie ausgebucht sind. Zumal Bayreuth im Verhältnis zu anderen Festivals weniger zahlen kann“, kommentiert Heinz-Dieter Sense die Sängerkrise. Der kaufmännische Direktor bestreitet auch die Ticketkrise: „Wir sind nach wie vor ausverkauft.“ Dass es noch Karten auf Ebay gibt, hat mit dem erstmaligen Onlineverkauf zu tun. Das macht den Weiterverkauf einfacher – und fördert den Schwarzmarkt. Nun haben die Festspiele selber eine Ticketbörse eingeführt. „Nur deshalb“, so Sense, „gab es auf unserer Website kurzfristig wieder Karten.“
Im Wagner-Regal der Markgrafen-Buchhandlung stehen neben dem Anti-Castorf-Pamphlet „Siegfrieds Kalaschnikow oder Der missachtete Wagner“ schon Jonathan Meeses „Ausgewählte Schriften zur Diktatur der Kunst“. Zur Vorbereitung auf den „Parsifal“ 2016, den er sich als nächster Stückezertrümmerer vornimmt.
Christiane Peitz