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Fidele Tippelbrüder. Oleg Bryjak als Alberich, Norbert Ernst als Loge und Wolfgang Koch als Göttervater Wotan in Bayreuth.
© dpa

Bayreuther Festspiele: Spott und Lohn

Entwarnung auf dem Hügel: Bei der Wiederaufnahme von Frank Castorfs "Ring" sind die Buh-Orgien des vergangenen Jahres vergessen. Alle mögen jetzt die Inszenierung – und Christian Thielemann verspricht beste Sänger.

Ausgerechnet Alberich. Noch letzte Woche hatte Regisseur Frank Castorf getobt, weil die Bayreuther Festspielchefinnen den Sänger Martin Winkler ohne sein Wissen ausgetauscht hatten, und nun ist der neue Alberich der Star des Abends. Oleg Bryak erntet zum Start der „Ring“-Wiederaufnahme den meisten Applaus, wie überhaupt das Buhgewitter zum Finale der Jubiläumsinszenierung von 2013 fürs Erste vergessen ist. Jubel nach dem „Rheingold“, für die Götter wie für die Unterwelt, für sämtliche Sänger und vor allem für Kirill Petrenkos luzides Dirigat. Na also, es geht doch.

Im Festival-Videopotcast (www.bf- medien.de) erklärt ein gut gelaunter Castorf, dass er als Künstler ein Feindbild braucht: „Immer wenn es harmonisch und ausgeglichen ist, wird's scheiße“. Schon Wagner habe gegenüber seinen Gönnern gern nach dem Motto gehandelt, „sich alles bezahlen lassen und dann richtig undankbar sein“. Im Übrigen habe er auf den Eröffnungsabend mit „Tannhäuser“ verzichtet, seine geliebten TV-Serien geguckt und mit seiner Freundin das Thermalbad besucht.

Zu all dem passt Oleg Bryaks Alberich wie die buchstäbliche Faust aufs Auge. Eine B-Movie-Type, ein schmieriger, billiger Geselle, der sich in der texanischen Motel-Absteige an der Route 66 zwischen den wasserstoffblonden Rheintöchtern aus einem Berg schmutziger Handtücher wühlt und sich Senf auf die Brust schmiert. Der kasachische Bariton von der Deutschen Oper am Rhein traut sich was bei seinem Bayreuth-Debüt, scheut die rüden, räudigen Töne nicht, lässt seine Stimme in den Sprechgesang kippen, ins Ordinäre. Ein Kindskopf, der einen rührt, spätestens wenn er vor Wotan als Kröte zu Kreuze kriecht.

Das ist es, was diese „Ring“-Dekonstruktion und -Destruktion in ihren besten Momenten aufblitzen lässt: Rudimente des Menschlichen, ausgerechnet dann, wenn alle Illusion dahin ist und nur noch die Ironie bleibt, der Comic, die sarkastische Soap-Opera. Was wird auf Castorfs Resterampe nicht alles verramscht: der amerikanische Traum, die Liebe, der Fortschritt, der Kapitalismus, der Sozialismus, die Hochkultur sowieso: Sieht die von Riesen und anderen Besserwissern drangsalierte Freia (Elisabeth Strid) nicht ein bisschen aus wie die junge Katharina Wagner?

Aber trotz alledem taucht auf der munter kreiselnden Retro-Drehbühne mit Aleksandar Denics multipler Tankstellen-Bar-Motel-Autokino-Skulptur immer wieder ein unkaputtbarer Rest auf.

Zum Beispiel im melancholischen Unterton von Wolfgang Kochs Wotan, der als Mischung aus J. R. Ewing und Tony Soprano allen Frauen an die Wäsche geht, aber etwas Nachdenkliches, Zauderndes, Depressives ins joviale Spiel bringt, sobald er seine Stimme erhebt. Oder Castorfs Assistent Patric Seibert, der sich als omnipräsenter stummer Tankwart, Barkeeper und Kellner übers Jahr zum Publikumsliebling gemausert hat. Oder Petrenkos schlankes, klares Dirigat, sein von jeder Ursuppe bereinigter Wagner, der sich dem Publikum nackt und bloß präsentiert. Das Götterpack schlägt sich, die Musik verrät seine Schutzlosigkeit.

„Es gibt in der Sentimentalität eine Region, die das Gespött nicht erreichen kann,“ zitiert das Programmheft den Philosophen Vladimir Jankélévitch. Frank Castorfs „Ring“-Entzauberung macht nicht einfach kaputt, was die Welt kaputt macht – und das Wagnersche Raunen dazu –, sondern zielt auf diese Region. Mal sehen, ob es ihm dieses Jahr gelingt, sie bis zur „Götterdämmerung“ im Auge zu behalten.

Und noch eine erste Entwarnung. Bei der Mitgliederversammlung der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“ – dem Götterkonvent der Wagnerianer – trotzen Festspielleiterin Katharina Wagner und ihr musikalischer Berater Christian Thielemann der Rede von der künstlerischen Krise auf dem Festspielhügel. Castorfs „Ring“, Jonathan Meese als „Parsifal“-Regisseur 2015 – viele befürchten, dass Bayreuth mit Krawallregisseuren und sinkender Sänger-Qualität in der Bedeutungslosigkeit endet. Am Sonntag nun die Nachricht, dass auf den für 2017 verpflichteten Barrie Kosky mit den „Meistersingern“ 2018 Alvis Hermanis mit „Lohengrin“ folgt. Die Ausstattung übernimmt der Star der Neuen Leipziger Schule, Neo Rauch. Man heuert die Bewährten an, geht auf Nummer sicher, warum nicht. Und bei den Sängern verspricht Thielemann mehr Solisten mit Einmaligkeitscharakter: „Wir brauchen in Bayreuth die allererste Sahne“, im Moment sei da Luft nach oben.

Und die Ticket-Krise, Bayreuth jetzt billig auf Ebay? Die „Suche Karte“-Anwärter haben beim „Rheingold“ das Nachsehen; Wagners Holzopernhaus ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Christiane Peitz

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