Sparpläne und Geheimhaltung: Macrons Kulturpolitik stößt in Frankreich auf Widerstand
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Großes für den Kultursektor angekündigt – doch bisher gibt es nur Sparpläne. Eine Zukunftsvision fehlt. Frankreichs Kulturschaffende reagieren.
Zu einer Klage gegen Unbekannt konnte sich die französische Kulturministerin Françoise Nyssen trotz ihrer Ankündigung noch nicht durchringen. Aber hochgradig verärgert ist sie in jedem Fall über die Tageszeitung „Le Monde“ und die Informanten, die ein internes Papier ihres Ministeriums an das Blatt weitergaben. Da geht es um Pläne für eine gewaltige Umstrukturierung im staatlichen Mediensektor, die Schließung eines Fernsehprogramms für die Überseedepartements und die Schaffung einer Holding, in der das staatliche Radio und das Fernsehen inklusive der französischen Sparte von Arte zusammengeführt werden sollen. 18 000 Menschen arbeiten in diesem Sektor und mancher von ihnen dürfte sich nun Sorge um seinen Job machen.
Aber auch die Kulturszene wird in wachsendem Maße nervös wegen der Politik der Geheimhaltung, mit der Macrons Ministerien ohne Abstimmung mit den betroffenen Kulturinstitutionen Pläne schmieden. Ein politisches Programm mit dem Kürzel „CAP 22“ hat die Planspiele angestoßen. Es ist nichts anderes als die von Premier Édouard Philippe ausgegebene Aufforderung an alle Ministerien, Spareffekte zu generieren.
Auch der geplante Kulturgutschein wird kritisiert
Die Vertreter des Syndeac, grob dem Deutschen Bühnenverein vergleichbar, hatten bereits im Sommer ein erstes, ziemlich ruppiges Treffen mit der für die Bühnenkünste zuständigen Ministeriumsdirektorin Régine Hatchondo. Jetzt lesen sie in einem anderen Papier aus dem Ministerium von Plänen, die Regional- und Lokalpolitikern das Recht einräumen, in die Programme der staatlichen Kulturhäuser hineinzuregieren. Die Planungen laufen allesamt auf höhere Rentabilität und Einsparungen im Kultursektor hinaus.
Trotz aller Bemühungen der ehemaligen Verlegerin Francois Nyssen – ein Honeymoon ist das Verhältnis zwischen ihr und dem Kultursektor nicht mehr, auch nicht bei einem der Hauptanliegen des neuen Präsidenten. Im Spätsommer hatte sich Nyssen bei einem Treffen mit ihrem italienischen Kollegen Dario Franceschini in Rom für einen europäischen Kulturpass für Jugendliche über 18 Jahren ausgesprochen. Macron hatte den 500-Euro-Kulturgutschein in der ersten Jahreshälfte als eine Säule seiner Kulturpolitik angekündigt. Er soll vor allem Jugendlichen aus armen und bildungsfernen Schichten Zugang zu Kultur erleichtern.
Allerdings haben die Italiener mit dem ursprünglich von Matteo Renzi erfundenen Gutschein keineswegs nur gute Erfahrungen gemacht: Betrügerische Händler lassen ihn sich aushändigen und zahlen den jungen Erwachsenen dafür Bargeld, ohne dass die Jugendlichen mit Kultur in Berührung kommen. Die französische Finanzierung – etwa 400 Millionen Euro würden für die rund 800 000 jungen Menschen fällig, die im Jahre 2018 ihren achtzehnten Geburtstag feiern – ist noch ungeklärt. Die Kulturhäuser befürchten, dass der Pass ihnen erhebliche Mehrkosten bereitet, da die Einnahmeausfälle für die Freikarten wahrscheinlich nicht ausreichend kompensiert werden. Und sie fragen: Was bringt Geld für Kultur ohne begleitende pädagogische Bemühungen?
Die wurden bislang in starkem Maße von Mitarbeitern geleistet, deren als gemeinnützig subventionierte Verträge im Rahmen der Arbeitsmarktreform gekippt werden könnten. Vor der in Kürze zu erwartenden Verabschiedung der Haushalte verharrt die Kulturszene in einem Zustand der Verunsicherung, während Aktionen insbesondere der ehemals kommunistischen CGT-Gewerkschaft auch die Theaterarbeit betreffen. Vor wenigen Tagen wurde eine Aufführung am Pariser Odéon wegen Streik abgesagt.
Die Apologeten der Identité Française hoffen auf Macrons Scheitern
Das Land wartet auf eine Zukunftsvision des neuen Präsidenten, die über ein Engagement in der Banlieue oder verstärkte Impulse für die EU hinausgeht. Die Grande Nation braucht, mehr als manches pragmatische Land des europäischen Nordens, immer ein Versprechen, eine konsensfähige Zukunftsvision, die die arabisch-islamische Bevölkerungsgruppe einbeziehen muss. Am rechten Rand hoffen die Apologeten der Identité Française auf das Scheitern von Macrons neoliberaler Öffnung zur Welt und das Ende der offenen, pluralen Gesellschaft.
Für die Theatertruppe Les Chiens de Navarre ist diese Identité Française ein Thema, dem vorerst nur mit Satire beizukommen ist. Der Titel ihrer neuen, im Théâtre des Bouffes du Nord gespielten Farce ist einem Vers der Nationalhymne entnommenen: „Jusque dans vos bras“ beginnt an Peter Brooks langjähriger Wirkungsstätte mit einer Publikumsnummer: Ein Conferencier teilt die Zuschauer in drei Gruppen: diejenigen, die sich einen Platz mit guter Sicht schon gar nicht leisten können, solche, die ständig Angst haben, sich bald nichts mehr leisten zu können und andere, die auf den besten Plätzen des Theaters sitzen und zur Klasse der glücklichen Gewinner gehören. Dann sollen sich alle bei den Händen fassen und ein Liedchen summen, eines, das jeder Franzose kennt.
Sichtlich amüsiert wird mitgemacht. Dann aber zeigt sich in den Gruppenszenen auf der Bühne, dass ein gewaltiges Aggressionspotenzial in jedem Einzelnen steckt, wenn es um Fragen der Identität geht. Da muss eine in Frankreich geborene Frau mit nordafrikanischem Familienhintergrund, die mit Religion und Kopftuch nichts zu tun hat, dann doch wieder mit arabo-islamischen Identitätszuschreibungen kämpfen, während eine andere erklärt: „Ich als Frau will mit Burkaträgerinnen nichts zu tun haben.“
Jeanne D'Arc als abstoßende Pennergestalt
Wenn der Mensch sagt, dass er „als etwas“ spricht, als Frau, als Sozialist, als Mann, als Franzose, dann kommt Krampf in die Verständigung, Frontbildung, Gegnerschaft. Das deklinieren die Chiens de Navarre amüsant durch. Eine verwahrloste Jeanne D'Arc tritt auf, die Nationalheldin als abstoßende Pennergestalt. Dann ein Charles de Gaulles, der sich mit einer Blut saufenden Marie Antoinette unterhält. Am Ende steht eine Szene der Ermattung: Ein Astronautenteam schafft es nicht, die Trikolore in den interplanetaren Boden zu rammen. Dazu Worte, die an Nietzsche erinnern und an seinen Gedanken vom Nihilismus und der Gedankenmüdigkeit Europas. Am Ende liegt die Fahne im Dreck – und mit ihr die Behauptung von der nationalen Identität.
Um die geht es auch in Wajdi Mouawads neuem Stück. Der im Libanon geborene Mouawad wurde in Quebec als Theatermacher bekannt und ging anschließend nach Frankreich. Er fragt in seinem neuen Stück am nunmehr von ihm geführten Théâtre de la Colline nach Identitäten im Rahmen einer von Fanatismus zerrütteten jüdischen Großvater-Vater-Sohn-Beziehung, die ihren dramatischen Zündstoff einem Familiengeheimnis verdankt. Der Großvater war als israelischer Soldat im Sechstagekrieg im verlassenen Haus eines zerbombten palästinensischen Dorfes auf ein zurückgelassenes Baby gestoßen und hatte es im Trubel des Konfliktes als eigenes ausgegeben. Der heute autoritär-fundamentalistische Jude David ist also ein arabisches Findelkind, eine aus Empathie und Humanismus geborene Lüge. Deshalb kann er nicht ertragen, dass sein Sohn eine Araberin heiraten will. Identität, so Mouawads Leitsatz, ist kein Erbe, sondern ein Lernprozess, etwas Erworbenes.
Die Biografie des Iraners Mani Souleymanlou ist der von Mouawad vergleichbar: Auch seine Familie ging in seiner Kindheit ins Exil, auch er begann in Quebec mit der Theaterarbeit. Sein Triptychon „Trois, précédé de Un et Deux“ erzählt als Monolog, dann als Dialog und schließlich in einer 35-köpfigen Gruppenszene vom Identitätsbegriff zwischen Selbstbefragung und gruppendynamischem Hexenkessel. Man ahnt: Der Einzelne mag sich die Frage nach seiner kulturellen Identität stellen, als Akt der Selbstvergewisserung und als Aufklärung einer verdrängten Vorgeschichte. Er kann sie auch zum Gegenstand des Dialogs machen. Aber in der Gesellschaft wird das Streben nach Identität zu einem bösartigen Konfliktbeschleuniger, zum Hassmotiv und Kriegsgrund.
Frankreichs Theaterleute behandeln die heißen innenpolitischen Themen produktiv, vor denen Emmanuel Macron zurückschreckt.
Eberhard Spreng