Frankreichs Kulturpolitik: Misstöne aus Avignon
Weniger Geld, mehr Privatisierung und abenteuerliche Theaterexperimente: Wie Frankreich seine Kulturpolitik umwälzt.
Emmanuel Macrons Versprechen hat nicht einmal hundert Tage gehalten. Entgegen seiner Aussage im Wahlkampf, der französische Kulturhaushalt werde nicht angetastet, wurde schon kurz vor Beginn der großen nationalen Kulturschau in Avignon eine moderate Kürzung von 50 Millionen Euro bekannt. Als die neue Kulturministerin Françoise Nyssen dann in Avignon verkündete, Budgetzusagen könne sie für die Theaterarbeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht machen, war die Enttäuschung groß. Auch wer sich von ihrem Besuch beim Festival programmatische Äußerungen über ihre Vision für die französische Kultur der nächsten Jahre versprochen hatte, wurde enttäuscht.
Regelrecht in Schockstarre verfielen die Chefs der öffentlich geförderten Theater aber, als Régine Hatchondo, neue Direktorin für die Création Artistique im Kulturministerium, bei einem Arbeitstreffen verkündete: „Die Mauer zwischen ihnen und dem Privattheater muss eingerissen werden“. Und: „Ihr Businessmodell ist am Ende“. Einen so aggressiven Auftritt haben Theaterchefs noch nicht erlebt.
Das Klima zwischen Ministerium und Theaterleuten ist verdorben
Régine Hatchondo ist eine Vertraute von Manuel Valls, dem ehemaligen neoliberalen Premier. Die Vorgängerregierung hatte einen noch nicht veröffentlichten Bericht in Auftrag gegeben, der in Auszügen bekannt wurde: Er sieht vor, dass von jeder Eintrittskarte im öffentlich subventionierten Theater ein Euro für die Unterstützung der Privattheater abgezweigt wird. Das Klima zwischen Ministerium und Theaterleuten ist nach Régine Hatchondos Auftritt verdorben; die im Theatersektor mächtige Gewerkschaft CGT hat sich darum auch gleich schon einen Streiktag im September vorgenommen.
Fast gleichzeitig zu den Zerwürfnissen des etablierten Betriebs mit dem Ministerium präsentierte sich in Avignon eine Equipe mit einer überraschenden Pariser Theaterneugründung: Die „Scala“ im 10. Arrondissement, ein Unterhaltungstheater aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, soll renoviert und umgebaut werden und 2018/ 19 ihren Spielbetrieb aufnehmen. Die Pläne für den Umbau hat Starbühnenbildner und Architekt Richard Peduzzi entworfen, der durch seine Arbeit mit Patrice Chéreau bekannt geworden war. Derzeit wird in Privat-Public-Partnership auch mit öffentlichen Geldern renoviert; den späteren Spielbetrieb wollen die Unternehmer Mélanie und Frédéric Biessy aber fast ausschließlich aus eigenen Mitteln, dem Erlös der Eintrittskarten und Sponsorengeldern bestreiten.
Die Geschichte der Scala mutet wie ein Märchen an
Hinter einem schicken Restaurant liegt der frei modulable Spielraum für maximal 550 Zuschauer. Das Cross-Over der Genres und die Begegnung der Künstler soll gefördert werden. Vor allem will man mit einem Programm aufwarten, das sich künstlerisch mit dem der subventionierten Theater messen kann. Choreografen und Regisseure wie Alain Platel und Romeo Castellucci sollen dort ebenso arbeiten wie die französischen Nachwuchstalente Julien Gosselin und Thomas Jolly, die in den letzten Jahren auch in Avignon mit theatralen Großtaten aufgefallen sind.
In Zeiten von Theaterschließungen mutet die Geschichte der Scala wie ein Märchen an. Zum Albtraum dürfte sie aber vor allem dann werden, wenn die Wette aufgeht, mit privatem Kapital anspruchsvolle Bühnenkunst zu finanzieren. Denn dann liefert die Scala den kulturfremden Politikern das Argument, dass sie sich aus der Verantwortung fürs öffentliche Theater zurückziehen können. Einen Vorteil hat Paris aber bei der neoliberalen Kulturrevolution im Vergleich zur deutschen Hauptstadt schon: Während Berlin sein abenteuerliches Theaterexperiment auf Kosten der Volksbühne macht, veranstaltet Paris sein Experiment in einer untergenutzten Stadtbrache, in der in der jüngeren Vergangenheit ein Porno-Multiplex und zuletzt eine brasilianische Sekte untergebracht waren.
Eberhard Spreng