DDR-Literatur in Klagenfurt: Literarische Abendröte im Osten
Das Literarische Colloquium Berlin fragt, ob die Ost-Autorinnen beim Bachmann-Wettbewerb kurz vor der Wende den Untergang der DDR schon antizipierten.
„Literatur sollte der Beginn von etwas sein, das wir nicht wussten“, bemerkte einmal Burkhard Spinnen, der langjährige Jury-Vorsitzende des seit 1977 existierenden Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Er wird immer kurz nach dem Geburtstag der Schriftstellerin am 25. Juni ausgetragen und heißt inzwischen offiziell „Tage der deutschsprachigen Literatur“. In den Jahren 1986 bis 1989 gewannen nacheinander vier Autoren und Autorinnen, die in der DDR lebten (Uwe Saeger und Angela Krauß) oder aus ihr ausgereist waren (Katja Lange- Müller und Wolfgang Hilbig). 1978 hatte Ulrich Plenzdorf mit „kein runter kein fern“ als erster Teilnehmer aus der DDR obsiegt, während Jurek Becker mit einem als zu harmlos-fröhlich bewerteten Beitrag leer ausging.
Deutete diese ungewöhnliche geschlossene Ost-Phalanx Ende der 80er Jahre auf den bevorstehenden Untergang des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden hin, und inwiefern vermischen sich hier ästhetische und politische Kategorien? Welche Auskünfte geben die Siegertexte über das Land, aus dem sie kamen? Diesen Fragen widmete sich, ausgerichtet vom Literarischen Colloquium Berlin und dem Österreichischen Kulturforum, nun in Vorträgen und Abendveranstaltungen das Symposion „Klagenfurt revisited“. So fanden kurz vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls zwei Institutionen zusammen, deren Standorte in den bleiernen Jahren des Ost-West-Konflikts neuralgische Punkte markierten: das LCB unweit der Glienicker Brücke und das Kulturforum an der einstigen Mauer-Brache des Potsdamer Platzes.
Die Klagenfurter Woche entstand im Nachklang der Gruppe 47
1977 hatten der Schriftsteller Humbert Fink und ORF-Intendant Ernst Willner das Prosa-Wettlesen aus der Klagenfurter Woche der Begegnung und als „Nachgeburt“ der Gruppe 47 entwickelt. Zugleich handelte es sich um eine gezielte Entprovinzialisierung von Ingeborg Bachmanns ungeliebter Kärntner Geburtsstadt. Daran erinnerte Sigrid Löffler, Jurorin der Jahre 1987 und 1991. Ihrem Lieblingsfeind Marcel Reich-Ranicki warf sie mit unverminderter Verve vor, als damaliger „FAZ“-Literaturchef den „Bewerb“ sofort annektiert und zu seinem Instrument gemacht zu haben. Überhaupt habe es sich um eine „gnadenlose kolonialistische Vereinnahmung durch den bundesdeutschen Literaturbetrieb“ gehandelt, gab Löffler mit einem Furor zu Protokoll, der ihren damaligen Jury-Kollegen Volker Hage durchaus amüsierte.
Moderiert von der aktuellen Klagenfurt-Jurorin Insa Wilke trafen die beiden auf die Schriftstellerin und klinische Psychologin Helga Schubert, erste und einzige Jurorin aus der DDR. Als erstes sei ihr aufgefallen, dass sich Hellmuth Karasek stets dem Saalpublikum zugewandt habe. „Sie haben zugeschaut, wie wir uns profilierten“, meinte Hage an seine Ost-Kollegin gerichtet, der er wie ihren Landsleuten eine „gewisse Ernsthaftigheit“ attestierte. Schubert war vom DDR-Schriftstellerverband der linientreue Werner Liersch zugesellt worden. „Es fiel mir schwer, mir hier einen Tod, eine Nierenkolik vorzustellen“, notierte sie, als sie mit 47 Jahre endlich an den strahlend türkisen Wörthersee reisen durfte. 1980 war ihr dies noch verweigert worden.
"Manipulierung von DDR-Autoren“
Der ideologisch straffe DDR-Schriftstellerverband bewertete den Wettbewerb als „Unternehmen der BRD zur Manipulierung von DDR-Autoren“ unter Vorsitz des berüchtigten Antikommunisten Reich-Ranicki. Erst als dieser seinen Jury-Posten räumte, war der Weg für Teilnehmer aus der DDR frei, angefangen mit Katja Lange-Müllers surrealistischem Prosastück „Kaspar Mauser – Die Feigheit vorm Freund“, das mit zahlreichen DDR-Realitätssprenkeln wie dem Farbfernseher Modell „Rembrandt“ aufwartet. Als sie sich das Preisgeld bei ihrer Sparkasse im Wedding abholen wollte, sei diese aus Sicherheitsgründen erst einmal für eine Viertelstunde geschlossen worden, erinnerte sich Lange-Müller.
Uwe Saeger war vor der Reise nach Klagenfurt schon jahrelang von der Zensur gegängelt worden. Die Wiederbegegnung mit seinem so mutig wie bitter mit der SED abrechnenden Text „Ohne Behinderung, ohne falsche Bewegung“ nahm ihn auch nach so langer Zeit sichtlich mit. Angela Krauß hingegen verbarg nach ihrem Triumph mit der autobiografisch grundierten Vater-Erinnerung „Der Dienst“ ihr Gesicht in den Händen, um dann überrascht festzustellen: „Der Text hat mich geschützt.“ Ihren Beitrag und Wolfgang Hilbigs „Eine Übertragung“ von 1989, in welcher der zwölfjährige Ich-Erzähler Stalin mit Gott gleichsetzt, bescheinigte der Rostocker Literaturwissenschaftler Holger Helbig bleibenden Wert. Er sprach von „erschütternd ernsten literarischen Bemühungen“, die von Traditionsbezug und unbedingter Subjektivität geprägt gewesen seien. Eine Wendestimmung habe er jedoch in keinem der Texte wahrnehmen können. Thomas Wegmann von der Universität Innsbruck unternahm eine Presseschau der fraglichen Jahre. Sie ergab, dass sich vor allem die österreichischen Zeitungen über eine Art Opferbonus für die DDR-Teilnehmer beschwerten.
Allianz gegen die BRD
„Macht Verfolgung kreativ?“ fragte Marcel Reich-Ranicki 1987. Seine Kritikerkollegen bejahten dies im Rückblick. Zumindest aber wurde man sich einig: „Wolfgang Hilbig war ein Ereignis!“ Den österreichischen Standpunkt machte Sigrid Löffler noch einmal klar: „Es herrschte das Grundgefühl vor, wir sind beide aus einer Minderheit und bilden eine Allianz gegen die übermächtige BRD.“
Kathrin Hillgruber
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