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Norbert Lammert, Präsident des Bundestages
© dpa

20 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz (XIII): Lieber aushandeln als in Stein meißeln

Folge XIII unserer Debatte zum 20. Geburtstag des Berlin-Bonn-Gesetzes. Diesmal: Warum Berlin ohne Gesetz besser in die Zukunft fährt.

Seit bald 15 Jahren arbeiten der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung in Berlin. Mit dem Umzug hat der Hauptstadtbeschluss des Bundestages „Vollendung der Einheit Deutschlands“ eine für alle sichtbare Gestalt angenommen. Deutschland und die Welt konnten buchstäblich zuschauen, wie sich die „größte Baustelle Europas“ in eine neue Kapitale wandelt. Aus der einstigen „Frontstadt des Kalten Krieges“, dem geschichtsgeladenen Symbol der Teilung Deutschlands und Europas, ist inzwischen eine pulsierende und dennoch ewig unfertige Metropole geworden. Das macht einen Teil der Faszination und der Anziehungskraft aus, die Berlin gerade auch international ausübt – insbesondere auf junge Menschen und kreative Köpfe aus Wissenschaft, Kultur und inzwischen auch Wirtschaft.

Die heftigen Auseinandersetzungen um Berlin als Hauptstadt mit Parlaments- und Regierungssitz, die Anfang der 1990er Jahre mit jeweils beachtlichen Argumenten ausgefochten wurden, zeigen, welch tiefe Furchen die Teilung Deutschlands auch im westlichen Teil der Republik hinterlassen hat. Sie offenbarten einmal mehr eine gebrochene Identität der Nation und eine historisch gewachsene Abneigung gegen eine elitäre, potenziell arrogante Hauptstadt; eine Abneigung, die sich nicht nur aus dem föderalen Selbstverständnis der Deutschen speist. Heute kann keine Rede mehr von einer „geduldeten Hauptstadt“ (Edzard Reuter) sein. Berlin wurde auch längst „in Gebrauch genommen“, um mit Volker Hassemer zu sprechen.

Das Parlamentsviertel: Fanmeile der Demokratie

Dabei spielt die weltweit einmalige Museums-, Gedenkstätten- und Kulturlandschaft der Stadt eine herausragende – auch identitätsstiftende – Rolle. Mich persönlich freut es besonders, welche Anziehungskraft das neue Parlamentsviertel ausübt, das inzwischen als „Fanmeile der Demokratie“ firmiert. Das öffentliche Interesse hat durchaus weltmeisterschaftliches Niveau erreicht: Seit 1999 besuchten rund 37 Millionen Besucher das Reichstagsgebäude mit seiner grandiosen Kuppel, die inzwischen zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Eine Berlinreise ohne Kuppelbesuch gilt inzwischen als eine leicht bis ernsthaft misslungene Veranstaltung. Wenn das keine Identifikationsmarke ist!

Vielleicht sind auch die in einer frappierenden Regelmäßigkeit aufkommenden Debatten um Berlin Ausdruck einer neuen Verbundenheit mit der Spreemetropole. Die zum Hauptstadtgesetz ist nicht ganz so neu – und aktuell wohl jubiläumsbedingt. Doch braucht Berlin tatsächlich ein solches Gesetz? Gibt es eine Lücke, die es zu schließen gilt? Meines Erachtens nicht, und wenn es sie dennoch geben sollte, so ist Berlin bisher hervorragend damit gefahren. Denn die vertragliche Regelung zwischen Bund und Berlin zur Finanzierung der Belastungen aufgrund der Hauptstadtfunktion garantiert Berlin zum einen die notwendige Unterstützung des Bundes und hat sich zum anderen als flexibles Gestaltungsinstrument bewährt.

Die Vorteile eines Vertrag gegenüber dem Gesetz

So sieht es übrigens auch der Berliner Senat, der am 12. November 2013 in der Abgeordnetenhaus-Drucksache 17/1305 klar feststellt: „Eines solchen Gesetzes bedarf es … nicht unbedingt.“ Auch der Berliner Senat weiß, dass sich in Verträgen manches vereinbaren lässt, was als Rechtsanspruch per Gesetz kaum zu haben wäre. Tatsächlich scheint mir eine ständig fortgeschriebene vertragliche Vereinbarung in der Praxis für Berlin vorteilhafter zu sein als eine gesetzlich festgeschriebene. Ein Bundesgesetz könnte nicht jeden Aspekt einer künftigen Hauptstadtentwicklung berücksichtigen, notwendige Anpassungen könnten sich im Gesetzgebungsprozess schwierig gestalten.

Fraglich ist auch, ob mit einem Hauptstadtgesetz die Finanzierung der einzigartigen Kulturlandschaft Berlins seitens des Bundes so umfangreich ausfallen würde, wie sie sich ohne Gesetz längst darstellt. Freilich läuft der aktuelle Hauptstadtfinanzierungsvertrag 2017 aus und muss dann entsprechend wieder verhandelt werden. Doch das ist eine Chance, auf veränderte Situationen adäquat reagieren zu können. Jedenfalls bietet dies dem Senat und der Bundesregierung die Möglichkeit, auf dem Verhandlungswege auch eigene Schwerpunkte bei der gesamtstaatlichen Repräsentation in der deutschen Hauptstadt zu setzen. Weniger auf die Existenz eines Hauptstadtgesetzes kommt es also an, sondern darauf, dass Berlin in der Lage ist, seine Hauptstadtaufgaben zu erfüllen – selbstredend mit Unterstützung des Bundes, der seiner Verpflichtung auch in Zukunft verantwortungsbewusst nachkommen wird.

In unserer Debatte zum 20. Geburtstag des zu ergänzenden Bonn-Berlin-Gesetzes erschienen bisher Beiträge von Rupert Scholz, Wolfgang Schäuble, Norbert Blüm, Peter Raue, Michael Naumann, George Turner, Edzard Reuter, Ingo Kramer, Joachim Braun und Egon Bahr, Alexander Otto und Adrienne Goehler. Nachzulesen auf www.tagesspiegel.de/kultur.

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