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Philharmoniker-Chefdirigent Simon Rattle bei der Präsentation der Saison 2014/15 zusammen mit Intendant Martin Hoffmann und den Musikern Peter Riegelbauer und Olaf Maninger (v.l.n.r.)
© Thomas Rosenthal/Berliner Philharmoniker

20 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz (III): Hauptstadt ohne Gesetz

In unserer Debatten-Reihe zur Hauptstadt Berlin fordert der Rechtsanwalt und Kunstexperte Peter Raue mit Blick auf die Kulturszene: „Die Abgeordneten mögen umsetzen, was die Verfassung längst fordert. Es ist dafür höchste Zeit.“

„Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Wie in Stein gemeißelt formuliert der am 1. September 2006 neu gefasste Artikel 22 des Grundgesetzes zweierlei:

1. Aufgabe der Hauptstadt Berlin ist die Repräsentation des Gesamtstaates.

2. Der Bund muss die Einzelheiten durch ein Gesetz regeln.

Dieses verfassungsrechtliche Gebot missachtet der Bundestag seit nunmehr acht Jahren! Nie war die Zeit reifer, diesen verfassungswidrigen Wartestand zu beenden, als jetzt: Große Koalition im Bund, große Koalition in Berlin. Da wird man sich doch einigen können, was unter der „Repräsentationspflicht der Hauptstadt“ zu verstehen ist. Bei der Formulierung des Gesetzes wird der Kultur in der Hauptstadt eine tragende Rolle zukommen müssen. Einrichtungen, die gesamtstaatliche Präsenz haben, sind vom Bund zu finanzieren und nicht vom Land Berlin, denn der Artikel 22 ermächtigt und verpflichtet den Bund, zu definieren, welche Gebiete in die Repräsentation des Gesamtstaates wegen ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fallen.

Dabei wird das Gesetz dem kulturellen Feld, das der Bund in Berlin bestellen muss, einen breiten Raum einräumen müssen. Auf der Basis des sogenannten Hauptstadtfinanzierungsvertrages (in der jüngsten Fassung aus dem Jahre 2007) ist schon viel geschehen, um eine gesamtstaatliche Repräsentation der Hauptstadt zu gestalten. So übernimmt der Bund unter anderem die Förderung des Jüdischen Museums, der Berliner Festspiele, der Akademie der Künste und der Stiftung Deutsche Kinemathek. In diesem Vertragswerk, abgeschlossen zwischen Bund und Land Berlin, entlässt der Bund das Land aus der Verpflichtung zur Finanzierung der Bauwerke der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Die Fortsetzung dieser Finanzierungszusage muss nun gesetzlich abgesichert werden. Darin sollte sich das Gesetz aber nicht erschöpfen. Man darf erwarten, dass der Gesetzgeber nicht nur die Finanzierung der Bauinvestitionen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übernimmt, sondern den Ausbau der Museumsinsel festschreibt mit der Verpflichtung, einen weiteren Neubau gegenüber dem Bode-Museum zu finanzieren, um endlich den Umzug der Gemäldegalerie und damit der bildenden Kunst von der frühen Renaissance bis in das 18. Jahrhundert auf die Museumsinsel zu sichern.

Peter Raue
Peter Raue
© Mike Wolff

Zur Repräsentation des Gesamtstaates gehört es, dass die grandiosen Kunstbestände in dieser Stadt in würdiger, angemessener und ausreichender Form gezeigt werden können. Dass die Nationalgalerie mit ihrer im Untergeschoss liegenden Ausstellungsfläche nicht einen Bruchteil der Sammlung des 20. Jahrhunderts zeigen kann, die Gemäldegalerie diesem Jahrhundert und einem Neubau dem 21. Jahrhundert Platz bieten muss, ist längst ausgemacht. Der Gesetzgeber sollte den Mut haben, diese Bauverpflichtung im Hauptstadtgesetz festzuschreiben. Der Bundestag sollte die entschiedene und kluge Forderung der Kulturstaatsministerin Monika Grütters ernst nehmen und umsetzen und damit die Voraussetzung zu schaffen, um das Kulturforum zu einer Stätte des 20. und 21. Jahrhunderts zu verwandeln.

Aber auch dies: Keine Institution in Berlin hat eine solche Strahlkraft – nicht nur in ganz Deutschland, sondern weltweit – wie die Berliner Philharmoniker. Die oft erhobene Forderung, die Berliner Philharmoniker in die Obhut des Bundes zu geben, kann ich nur nachdrücklich erneuern und einfordern. Die Argumentation „Berlin wird sich doch nicht von seinem kostbarsten Tafelsilber trennen“, ist provinziell. Wie die Berliner Festspiele, die Akademie der Künste sind die Berliner Philharmoniker ein geradezu klassisches Beispiel für die „Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt“. Eine solche Übernahme würde den Kulturhaushalt des Landes Berlin um 14 Millionen Euro erleichtern, Mittel freigeben, die vielen notleidenden Einrichtungen bis hin zur Off-Szene zugute kommen können und sollen.

Die Repräsentation kultureller Einrichtungen in Berlin legt es freilich auch nahe den grotesken Zustand zu beenden, dass ausgerechnet die meisten Mitarbeiter des Bundeskulturministeriums in Bonn arbeiten – anstatt in Berlin.

Über Einzelheiten des Hauptstadtgesetzes mag mancher streiten, der Gesetzgeber sollte, ja, er muss den Mut aufbringen, die Repräsentation der Hauptstadt nicht nur vertraglich schwankenden Vereinbarungen zu überlassen, sondern sie in einem Gesetz festzuschreiben. Vielleicht ist manchen Abgeordneten aus den deutschen Landen bange, wenn sie mitwirken bei einem Gesetz, das erfüllt, was die Verfassung längst fordert: ein die Repräsentation der Hauptstadt sicherndes Bundesgesetz. Aber dies ist ein Gebot der Verfassung! Jetzt, in dieser Legislaturperiode, sollte das Gesetz den Verfassungsauftrag erfüllen.

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