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Dutzende Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zeigen beim Millionaires Club ihre Werke - normalerweise.
© Lars von Törne
Update

Aus für Millionaires Club wegen Coronavirus: Leipziger Indie-Comicfestival jetzt doch abgesagt

Nach der Absage der Leipziger Buchmesse sucht die Comicszene nach Alternativen. Es gibt ein Mini-Manga-Programm, aber der Millionaires Club fällt aus.

Jetzt hat es den Millionaires Club doch erwischt. Lange schien das Leipziger Independent-Comicfestival dem Trend zu trotzen. Nach der Absage der Leipziger Buchmesse werde das dreitägige Treffen der unabhängigen Comic-Szene trotzdem stattfinden, hatten die Organisatorinnen und Organisatoren erklärt, an ihrem Programm festzuhalten.

Vorübergehend waren sie darin auch von der Stadt Leipzig bestärkt worden. Denn anderes als die Leipziger Buchmesse, zu der Hunderttausende Besucherinnen und Besucher gekommen wären, dürfte der Millionaires Club in den vergangenen Jahren höchstens ein paar hundert Menschen gleichzeitig angezogen haben.

Der Kern des Festivals, das in dem alternativen Jugend- und Kulturzentrum Conne Island im Süden Leipzigs stattfand, ist normalerweise ein Büchermarkt mit Dutzenden Tischen von Verlagen und Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt, wo man viele selbstverlegte und kunstvoll gedruckte Arbeiten entdecken konnte, die es in dieser Mischung sonst nirgendwo gibt. Daneben gibt es einen kleinen Veranstaltungsraum für Lesungen sowie eine Bar und einen kleinen Ausstellungsraum.

Kehrtwende in letzter Minute

Doch am Donnerstagabend, einen Tag vor der geplanten Eröffnung des Millionaires Club, dann die Kehrtwende. Auf der Website des Festivals wurde eine Erklärung auf Englisch veröffentlicht, die so beginnt: "Heute hat die Stadt Leipzig eine Ankündigung vorgenommen, die es uns unmöglich macht, den Markt abzuhalten. Dies beinhaltet alles, was auch im großen Raum passieren würde (Lesungen und Vorträge)."

Damit ist, auch wenn es das Organisationsteam explizit nicht sagt, der Millionaires Club 2020 so gut wie komplett abgesagt. Stattdessen wird auf der Website darauf hingewiesen, dass zumindest drei einzelne Veranstaltungen auch weiterhin stattfinden, darunter eine mit dem extra aus Kanada angereisten Ehrengast des Festivals, der Comic-Pionierin Julie Doucet.

"Die Eröffnungsausstellung mit Werken von Julie Doucet, Gabriela Jolowicz und Max Baitinger findet am Freitag, den 13. März um 19 Uhr statt !!", heißt es auf der Website. Zudem gebe es am Sonnabend um 19 Uhr im Conne-Island-Café eine Comic-Lesung "und anschließend einen Drink" sowie am Sonntag um 16 Uhr am selben Ort eine Buchpremiere von Phillip Janta und Marcel Raabe.

Am Ende dann noch dieser Satz: "Mit unserem tiefsten Bedauern müssen wir diese Neuigkeiten mitteilen. Es tut uns sehr leid, dies so kurzfristig mitteilen zu müssen, da wir gerade erst die offizielle Ankündigung erhalten haben."

Die Leipziger Buchmesse - hier ein Foto vom Messe-Gelände - wurde abgesagt. Einige Comicveranstaltungen finden trotzdem statt.
Die Leipziger Buchmesse - hier ein Foto vom Messe-Gelände - wurde abgesagt. Einige Comicveranstaltungen finden trotzdem statt.
© Hendrik Schmidt/dpa

Damit ist nach der Absage der Buchmesse aufgrund der Coronavirus-Gefahr für Comic-Fans nur noch ein rudimentäres Restprogramm an Veranstaltungen in Leipzig übrig geblieben.

Da die Messe mit ihrer Tradition aus Lesungen und Ausstellungen tief in der Leipziger Stadtgemeinschaft verwurzelt ist, hatte die Absage vorübergehend eine Vielzahl kreativer Energien freigesetzt. Neben rund hundert Lesungen, die trotz Messeausfall stattfinden sollten (und deren Durchführung derzeit auch unklar ist), zeugte vorübergehend ein halbes Dutzend Comicveranstaltungen davon, die als Alternative stattfinden sollten.

Da zum jetzigen Zeitpunkt unklar ist, wieweit diese Veranstaltungen wirklich noch stattfinden können, geben wir im Folgenden einen Überblick über den Stand der Dinge am Donnerstag, dem 12. März, der nach Lage der Dinge aktualisiert wird.

Manga

Manches davon ist neu und in unglaublich kurzer Zeit entstanden. Etwa die Artist Alley im Beyerhaus (Ernst-Schneller-Str. 6). Die kleine Convention mit voraussichtlich 23 Ausstellern soll einem Teil jener Mangakünstler Ersatz bieten, die sonst als Selbstverleger auf der Buchmesse ausstellen. Die Veranstaltung soll Samstag und Sonntag von 10 bis 17 Uhr stattfinden. Der Eintritt ist frei - wie übrigens bei fast allen Comic-Ersatzveranstaltungen zur diesjährigen Buchmesse.

Das Beyerhaus ist eine Location, die bisher kaum für Comicereignisse genutzt wurde. Einzig der Leipziger Comicstammtisch hatte hier vor einigen Jahren kurzzeitig seinen Treffpunkt.

Annemarie Strankmüller, die in der Manga-Szene unter dem Pseudonym Nimatkaja aktiv ist, arbeitet in der Leipziger Traditionskneipe, die zudem über einen großen Saal verfügt. Entsprechend kurz war der Organisationsweg: "Ich hatte mit meinem Chef schon letztes Jahr mal darüber gesprochen, dass ich sehr gern mal einen Künstlermarkt im Beyerhaus machen würde" sagt sie. "Da ich selbst auf der Buchmesse ausgestellt hätte, kam die Idee bei Absage der LBM wieder auf." Eine Idee mit Erfolg: Die zur Verfügung stehenden Ausstellerplatze waren innerhalb eines Tages ausgebucht.

Zu den dort ausstellenden Künstlern gehört der Chemnitzer David Füleki. Der rührige Zeichner (u.a. mehrfacher Preisträger des ICOM-Independent-Preises und des Sondermann-Preises der Frankfurter Buchmesse) hatte im Vorfeld für einen kleinen Skandal gesorgt, als er eine mögliche Ersatzveranstaltung zur Leipziger Buchmesse auf Twitter mit dem sarkastischen, sicher streitbaren Hashtag "Coronacon" andachte.

Nach einigen emotional verständlichen, aber auch einigen übertriebenen Reaktionen ("gestört", "abartig") löschte Füleki seinen Tweet. Füleki wird sowohl im Beyerhaus mit seinem Verlag Delfinium Print ausstellen als auch am Freitag und Samstag in der Bar Rudi (Karl-Heine-Str. 59) signieren.

Independent-Comic

Kurzfristig abgesagt wurde hingegen das "Comic-Vorlese-Stündchen" des Berliner Jaja-Verlags im Tschau Tschüssi (Karl-Tauchnitz-Str. 9-11), bei dem m Samstag Bea Davies, Büke Schwarz, Dominik Wendland und Joris Bas Becker aus ihren Werken vorlesen wollten.

Shopping, Turniere & Party

Satelliten der größeren Veranstaltungen sind die beiden Leipziger Comicshops. Die Comic Combo (Riemanstrasse 31) wollen von Donnerstag bis Samstag jeweils ab 11 Uhr Signierstunden mit Mangakünstlern ausrichten, die im Beyerhaus keinen Platz mehr gefunden haben.

City Comics (Nürnberger Str. 3) will am Donnerstag mehrere Signierstunden ausrichten sowie am Samstag eine kleine Ladenmesse, bei der Teile des geplanten Buchmessestandes im Laden errichtet werden. Am Freitag soll ein Magic Draft Turnier stattfinden, sowie am Samstag in Zusammenarbeit mit der Moritzbastei ein Yu-Gi-Oh-Turnier.

Die Moritzbastei (Kurt-Masur-Platz 1) ist auch Ausrichterin der einzigen größeren Comicparty in diesem Jahr. Kurzfristig wurde für Freitag eine Nacht für "Anime-Music, Games & Cosplay" ins Programm gehoben. Es ist die einzige Veranstaltung, die Eintritt kostet, Tickets sind ab 10 Euro erhältlich.

Warnung

Noch ist offen, ob und welche der hier genannten Veranstaltungen tatsächlich durchgeführt werden - oder ob sie nicht doch noch in letzter Minute abgesagt werden. Hierzu bitte die verlinkten Websites der Veranstalter im Auge behalten.

Online-Aktivitäten

Viele Verlage, auch aus der Comicbranche, haben Onlineangebote und Hashtags zur Nicht-Mehr-Buchmesse initiiert werden. Der Splitter Verlag ist mit einer "Buchmesse2.0" präsent, bei der es täglich neue Aktionen geben soll. Neben der Verlosung signierter Comics besonders interessant: Live-Diskussionsrunden etwa zum Thema "Wird die Comic-Branche zum Frauenzimmer?"

Relevante Twitter-Hashtags sind u.a #Live4Leipzig, #bücherhamstern und #leidernichtleipzig.

Eine weitere Aktion gibt es auf Twitch.tv, deren Initiatoren laut eigener Aussage das ganze Wochenende über aus mehreren deutschen Comicverlagen streamen wollen. Geplant sind sowohl Verlagsvorstellungen als auch Gesprächsrunden, u.a. mit Tommy Krapweis und Enrico Marini (“Die Adler Roms”). Federführend hinter der Aktion ist der Comiczeichner Ralf Singh (“Zinnober”).

Unter der irritierenden URL flixcomics.de (die nichts mit dem gleichnamigen Comiczeichner zu tun hat) soll laut Eigenwerbung eine virtuelle Buchmesse entstehen, auf der sich Verlage und Zeichner Kleinstände mieten können sollen. Der angebotene Service (Selbstdarstellung, Video- und Bildpräsentation) entspricht dabei weitgehend dem, den andere Hoster gratis anbieten, nur dass hier Geld verlangt wird.

Entsprechend scheint das Interesse gering zu sein: aktuell weist die Seite bis auf Eigenwerbung keinerlei Inhalte auf. Da die Seite bereits 2017 eingerichtet wurde, wirkt der von den Betreibern verkündete Zusammenhang zum Corona-Virus eher aus kommerziellen Gründen herbeigezogen und wenig solidarisch.

Stefan Pannor, Lars von Törne

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