Leipziger Buchmesse abgesagt: Was die Entscheidung für Verlage und Autoren bedeutet
Nach langem Zögern ist es entschieden: Die alljährliche Bücherschau, das Lesefest und die Manga Convention in Leipzig fallen wegen des Coronavirus aus.
Es hing wohl mit der Oberbürgermeisterwahl in Leipzig zusammen, damit, dass die Behörden der sächsischen Metropole – beruhigenderweise – noch ein paar andere Probleme als das Corona-Virus hatten, dass es mit dieser Absage so lange gedauert hat: Die Leipziger Buchmesse 2020 fällt definitiv aus, genau wie das parallel stattfindende Lesefest „Leipzig liest“ und die ebenfalls in den Messehallen angesiedelte Manga Comic Convention.
„Die Stadt Leipzig und die Leipziger Messe haben gemeinsam entschieden, die Buchmesse abzusagen“, sagte ein Sprecher der Stadt Leipzig am Dienstag und bezeichnete die Absage als eine wichtige „Präventionsmaßnahme“, eben damit sich das Virus in Deutschland nicht weiter ausbreiten könne.
„Die Gesundheit unserer Bürger und der Stadt steht für uns an erster Stelle“, ließ der frisch wiedergewählte Leipziger Bürgermeister Jung auf Twitter schreiben: „Die Entscheidung über die Absage der Leipziger Buchmesse wurde auf Grundlage der Empfehlung der zuständigen Fachbehörden getroffen“, womit er unter anderem das Gesundheitsamt in Leipzig meint. „Sie allein verfügen über die notwendigen Fachkenntnisse und Kompetenz zur Lagebeurteilung.“
Und Buchmessendirektor Oliver Zille teilte mit: „Wir bedauern zutiefst, dass wir diesen Schritt gehen und die beiden Messen absagen müssen. Solch’ eine schwere Entscheidung mussten wir in den letzten sieben Jahrzehnten der Leipziger Buchmesse noch nie treffen. Sie ist bitter für uns und für die gesamte Buchbranche. Ich danke allen Ausstellern, Partnern und Besuchern, die uns die Treue halten. Wir bitten sie jetzt um Verständnis und wir freuen uns, wenn wir uns zur nächsten Leipziger Buchmesse vom 18. bis 21. März 2021 wiedersehen.“
Die lit.cologne soll stattfinden
Damit reiht sich dieser Ausfall in die vielen Messeabsagen der vergangenen Tage in Deutschland und anderen Ländern Europas. Die Tourismusmesse ITB in Berlin fiel dem Corona-Virus zum Opfer, die Internationale Handwerksmesse in München, aber eben auch weitere Buchmessen. Nachdem als erste die Kinder- und Jugendbuchmesse in Bologna, die vom 30. März an stattfinden sollte, von den zuständigen italienischen Behörden auf den 4. bis 7. Mai verschoben worden war, wurde am Sonntagabend Frankreichs größte Messe, die Livre Paris, abgesagt. Sie hätte vom 20. März bis 23. März stattfinden sollen.
Die Londoner Book Fair dagegen, geplant für den 10. März bis 12. März, findet bislang noch statt – nur vermutlich mit vielen Leerstellen in den Hallen. Denn gerade die amerikanischen Buchverlage von Simon & Schuster über HarperCollins bis hin zu Macmillan und Hachette haben ihre Teilnahme abgesagt. Penguin Random House dagegen will seinen Stand in London aufbauen und besetzen, hat den Mitarbeitern aber freigestellt, ob sie nach London aufbrechen.
Auch die lit.cologne, das meistens zeitgleich mit der Leipziger Buchmesse stattfindende große Lesefest in Köln, das bis zu 100.000 Menschen zu den Lesungen von vielen prominenten Autoren und Autorinnen lockt, soll bislang noch wie geplant stattfinden. Obwohl es sicher auch hier viele Bedenken geben dürfte, Überlegungen, die vielen Veranstaltungen der lit.cologne abzusagen.
Natürlich dürfte es nicht nur die Oberbürgermeisterwahl gewesen sein, die die Leipziger Messe und die Stadt Leipzig so lange zögern ließen mit der Absage. Die wirtschaftlichen und nicht zuletzt kulturellen Aspekte werden sicherlich eine Rolle gespielt haben. Die 260.000 bis 270.000 Besucher, die Jahr für Jahr nach Leipzig zur Buchmesse kommen, lassen einiges an Geld in der Stadt und sorgen für eine fast hundertprozentige Hotelauslastung in den vier Messetagen. Gleich nach der Absage formulierte es der Chef der Leipziger Tourismus und Marketing GmbH, Volker Bremer, so: „Leipzig hat keine andere Veranstaltung mit vergleichbarer Strahlkraft und Außenwirkung, auch international. Das ist schwer zu verkraften.“
Was wird aus den Preisverleihungen?
Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels versteht die Absage „als einen schweren Schlag für die Buchbranche“, so der Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis. „Die Strahlkraft, die von der Leipziger Buchmesse in die Gesellschaft ausgeht, und das Interesse und die Begeisterung für Bücher, die sie vermittelt, sind enorm.“
Bei den Verlagen heißt es an diesem Dienstagnachmittag erstmal, die Situation zu beurteilen: Autoren und Autorinnen informieren, sich beraten, Ersatztermine finden, die vielen ausgemachten Interviewtermine neu koordinieren. Und es heißt auch, die weitere Entwicklung abzuwarten: Ob die Absage wirklich jede einzelne Lesung und auch die Preisverleihungen betrifft. Zum Beispiel den Preis der Leipziger Buchmesse, der in der Regel am Messe-Donnerstag in der Glashalle vergeben wird.
Man sei derzeit dabei, die Frage nach einer eventuell trotzdem stattfindenden Preisverleihung zu klären, sagte Messe-Sprecherin Ruth Justen, genau wie nun der ungarische Schriftsteller, Essayist und Übersetzer László Földényi den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung überreicht bekommen solle. Földényi schrieb aus Budapest: "Aus Leipzig erhielt ich noch keine Nachricht über die Pläne."
Der Preis zur Europäischen Verständigung wird traditionell am Eröffnungsabend der Messe im Leipziger Gewandhaus verliehen. Buchmessendirektor Oliver Zille deutete in einem Interview mit der "Leipziger Volkszeitung" an, den Preis an Földényi wie auch den der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung in kleinerem Rahmen in den eigentlichen Messetagen vergeben zu wollen.
Beim Verlag Klett-Cotta in Stuttgart hatte man von selbst bereits die Londoner Buchmesse gecancelt. Nun meint Verleger Tom Kraushaar, es hänge auch davon ab, „was mit der Preisverleihung und den Abendveranstaltungen ist“. Jörg Sundermeier vom Berliner Verbrecher Verlag sagt, man schaue jetzt erstmal, „was noch übrig bleibt“. Fünf Lesungen hätte die Verbrecher-Debütantin Alexandra Riedel mit ihrem Roman „Sonne, Mond, Zinn“ gehabt, dazu mehrere Interviews. Finanziell könne man das alles für den Moment einigermaßen verkraften. Doch es ginge eben auch um „Sichtbarkeit und Präsenz“, und gerade für viele kleinere Verlage dürfte der Messeausfall einen ökonomischen Schlag darstellen.
"Da beginnt der Junge leise zu husten", schreibt Bov Bjerg
Was sagen die Autoren? Der Schriftsteller Bov Bjerg schreibt auf Twitter, unter Bezugnahme auf seinen viel gefeierten neuen Roman „Serpentinen“, in dem ein unter Depressionen leidender Vater mit seinem Sohn eine Erinnerungsreise durch die Schwäbische Alb macht: „Auf der Flucht vor einem neuartigen Virus fährt ein Vater mit seinem Sohn auf die Schwäbische Alb. Linkskurve, Rechtskurve. Er zweifelt: Sind Serpentinen wirklich ein geeignetes Mittel, der Gefahr zu entkommen? Da beginnt der Junge leise zu husten“. In Klammern ergänzt Bjerg vielsagend: „Buchmarketing am Limit“.
Es ist an diesem Dienstag viel davon die Rede, dass der „Gesundheitsschutz der Bevölkerung“ vorgehe (zum Beispiel Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping). Das ist bei einem Event wie so einer großen Messe und der hohen Infektiösität von SARS-CoV-2 das einzig Richtige, das Vernünftigste. Einen Trost gibt es: In Ruhe zu lesen wäre in Leipzig niemand vergönnt gewesen. Das geht immer noch am besten in den eigenen vier Wänden.