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Harvey Weinstein muss sich vor Gericht verantworten.
© REUTERS

Weinsteins Firma verkauft: Leichen im Keller

Die Produktionsfirma des einstigen Film-Moguls Harvey Weinstein ist verkauft worden. Nachruf auf eine Ära.

Es herrschte Aufbruchsstimmung in den Neunzigern. Wenn Bob und Harvey Weinstein nachts mit ihrer Entourage durch die Restaurants in Tribeca und der Lower East Side streiften, wurden sie mit offenen Armen empfangen. Erinnerungen an die kurze, ruhmreiche Ära des New Hollywood waren geweckt, als noch ein anderer Bob (Robert De Niro) und sein Kumpel Harvey (Keitel) die New Yorker Szene unsicher machten und dem Minderwertigkeitskomplex der Ostküste gegenüber der Konkurrenz aus Hollywood ihre übergroßen Egos entgegenstellten.

So beschreibt es der Journalist Peter Biskind in seinem Buch „Down and Dirty Pictures: Miramax, Sundance and the Rise of Independent Film“, in dem er die Erfolgsgeschichte des US-Kinos in den neunziger Jahren eng mit dem Aufstieg der Weinstein-Brüder und ihrer 1979 gegründeten Produktionsfirma Miramax verknüpft. Miramax, die ab 1993 zu Disney gehörte, war das Maß aller Dinge: Quentin Tarantino, Steven Soderbergh, Peter Jackson, Jane Campion, Michael Moore, David O. Russell und Gus Van Sant verdanken den Weinsteins ihre Karrieren. Für eine gute Dekade war das Independentkino auch in kommerzieller Hinsicht die treibende Kraft in Hollywood: „Indie“ wurde veredelt zu Arthouse.

Weistein wartet auf seinen Vergewaltigungsprozess

2005 verließen die Brüder Miramax, um The Weinstein Company zu gründen, Weggefährten wie Tarantino und Russell folgten ihnen. Aber da hatten die „Sonnenkönige von New York“ bereits ihren magic touch verloren. Es dauerte sechs Jahre, bis sie mit „The King’s Speech“ 2011 wieder einen Oscar für den besten Film gewannen.

Mit dem Verkauf der Weinstein Company an die Investorengruppe Lantern Capital zu Beginn der Woche ist dieses Kapitel nun endgültig geschlossen. Der Name Weinstein gilt nach den Enthüllungen des jahrzehntelangen Missbrauchs und Missbrauchsregimes seitens des Filmmoguls als verbrannt. Im Oktober war Harvey Weinstein vom Aufsichtsrat seiner Firma gefeuert worden, kurz darauf schloss ihn auch die Oscar-Academy aus. Nachdem er sich im März der Polizei stellte, wartet er auf seinen Prozess wegen des Vorwurfs der dreifachen Vergewaltigung. Die nächste Anhörung ist im September.

Gläubiger wie Tarantino und Clooney schauen in die Röhre

Unter dem Namen Lantern Entertainment sollen die Geschäfte nun weitergeführt werden. Für 289 Millionen Dollar übernimmt der Investor die Filmbibliothek der Weinsteins sowie eine lange Liste unrealisierter Projekte. Zuletzt war nur noch um einen „Rabatt“ von 20 Millionen Dollar gefeilscht worden, außerdem hatten einige Gläubiger – darunter Tarantino, George Clooney und Meryl Streep – auf ausstehende Zahlungen gepocht. Sie gucken nun in die Röhre.

So gründlich, wie damit Licht in eines der finstersten Kapitel in der an Skandalen nicht gerade armen Geschichte von „Hollywood Babylon“ (Kenneth Anger) gebracht wurde: An der Demontage der Weinstein Company zeigt sich auch, dass für die US-Filmindustrie eine neue Zeitrechnung beginnt. In Hollywood erreicht mit der Fusion von AT&T und Time Warner sowie der geplanten Übernahme von 20th Century Fox durch Disney die Konzentration von globalen Unterhaltungskonzernen bald ihren Sättigungsgrad.

Traditionelle Filmstudios wie Miramax oder die Weinstein Company, die im klassischen Sinn mit Regisseuren – früher: Autorenfilmern – arbeiten, diese aufbauen und zu kommerziellen Erfolgen verhelfen, gehören wohl der Vergangenheit an. Kleinere Studios wie Blumhouse („Get Out“) erzielen allenfalls noch Achtungserfolge. Nostalgie ist dennoch nicht angebracht, das Hollywood-System hat genug Leichen im Keller. Der Name Weinstein stand einmal für eine Antwort auf die alten Strukturen. In Erinnerung bleibt er nun als Teil des Problems.

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