„Olympia in Love“: Kunst, Kommerz und Kanon
In „Olympia in Love“ dekonstruiert die ehemalige Charlie-Hebdo-Kolumnistin Catherine Meurisse „Romeo und Julia“ und jongliert mit der Kunstgeschichte.
Der Pariser Louvre hat bereits seit 2005 seine eigene Comic-Kollektion. Jedes Jahr wird in Zusammenarbeit mit dem französischen Verlag Futuropolis ein neuer Comic veröffentlicht, der sich, in welcher Art auch immer, mit dem Museum oder seiner Sammlung auseinandersetzt: Der Louvre muss in der Geschichte vorkommen, darüber hinaus gibt es keine Vorschriften. Den beteiligten Autoren (der Prominenz des französischen Autorencomics wie Nicolas de Crécy, David Prudhomme und Etienne Davodeau und auch ausländischen Autoren wie Jiro Taniguchi) werden immer wieder Ausstellungen und Veranstaltungsreihen gewidmet.
Auch das Musée d’Orsay kooperiert mit dem französischen Comicverlag Futoropolis, bislang sind allerdings erst zwei Werke erschienen. Das erste von beiden, „Moderne Olympia“ von Catherine Meurisse liegt jetzt auch in deutscher Übersetzung vor.
Dass „Comics die Museen erobern“, ist eine Phrase, die immer wieder gerne bemüht wird, wenn es im Feuilleton um die vermeintliche Aufhebung der Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur geht. So ganz ohne Exklamationen wie „Huch“ und „Mon Dieu“ kommen die meisten deutschen Artikel zu dem Phänomen aber nicht aus, ist es ihnen doch trotz aller skizzierter Salonfähigkeit ein Anliegen, das Anrüchige der „neuen“ Liaison zwischen Kunst und Comic hervorzuheben.
Wenn auch dieser Artikel mittels vorliegenden Prologs über Bande in die High-versus-Low-Diskurs-Dauerschleife einstimmt, so gibt es dafür mehrere Motive - und zumindest einen guten Grund. Das erste Motiv liegt auf der Hand: Von dem Wunsch, dass die hochkulturell (ab)gesegneten Stätten auf das Renommee des Mediums abfärben (auf dass es eines schönen Tages ganz ohne Rechtfertigungszwänge wird florieren können!) ist auch die Verfasserin dieser Zeilen nicht ganz frei.
Fragen von Legitimation, Kanon und Vermarktbarkeit prägen auch das zweite Motiv: Der Zeitpunkt der deutschen Übersetzung von „Moderne Olympia“ unter dem Titel „Olympia in Love“ , vier Jahre nach Erscheinen des französischen Originals und zwei Jahre nach Veröffentlichung des autobiografischen Comics „Die Leichtigkeit“ (in dem die Autorin und Überlebende des Charlie-Hebdo-Attentats sich mit den Anschlägen und resultierenden Traumata auseinandersetzt) zeigt, dass das deutsche Publikum dieses „Frühwerk“ ohne die (traurige) Berühmtheit, die Meurisse im Januar 2015 erlangte, vermutlich gar nicht kennengelernt hätte.
Der Charlie-Hebdo-Kontext bietet hierzulande den Paratext, in den sich Meurisse literaturbetrieblich einbetten und vermarkten lässt – in einem Land, dessen Comic-Kultur sonst vielleicht noch nicht für Meurisse bereit gewesen wäre?! An diese Frage anschließen lässt sich der im Vorfeld versprochene „gute Grund“: Die omnipräsente High-Low-Debatte nicht zu erwähnen, ist im Fall Meurisse keine Option: Der Reiz von Olympia in Love besteht nämlich darin, dass die Autorin ganz entschieden auf die konventionellen Kategorien …. pfeift und dabei alle ihr zur Verfügung stehenden Register zieht und bedient: Das Resultat ist entsprechend feingeistig und derb.
Nackt im Museum
Die Protagonisten der Komödie entstammen zum Großteil den (die deutsche Ausgabe untertitelnden) 50 Gemälden aus dem Musée d’Orsay, die praktischerweise auch im Appendix des Comics gebündelt präsentiert werden. Besonders prominente Rollen besetzen im Comic die cartoonesken Meurisse-Interpretationen (die Assoziationen mit Sempé und New-Yorker-Cartoonistin Roz Chast wecken) von Édouard Manets Olympia und Alexandre Cabanels Geburt der Venus.
Olympia trägt (wie in der Vorlage) bis auf ein Schleifchen um den Hals nichts, verkörpert aber bei aller Freizügigkeit die „Unschuld vom Lande“, die von einer Karriere als Schauspielerin träumt. Was gäbe sie dafür, mal die „Julia“ spielen zu dürfen, aber selbst für Statistinnenrollen reicht es meistens nicht aus. Die „leichteren“ Mädchen (etwa Edgar Degas‘ Balletttänzerinnen) „stellen sich weniger an“ und sind daher Casting-tauglicher.
Die große Diva mit den entsprechenden großen Gesten hört auf den Namen Venus. Als ein Mitglied ihrer dreiköpfigen Putten-Truppen-Entourage ihre Allüren nicht mehr erträgt und sie schließlich meuchelt und noch dazu ein Produzent mit Hollywood-Credibility um die Ecke biegt, schlägt Olympias große Stunde. Nicht nur brilliert sie vor der Kamera, auch in der Liebe beweist sie ein glückliches Händchen.
Viel wichtiger als die Details des wahnwitzigen Plots ist der implizite Kommentar, der sich auf den Kunst-, Kultur- und Schauspielbetrieb unserer und vergangener Tage beziehen lässt. Im Jahr 1863 wurde Cabanels Venus-Gemälde im Pariser Salon gefeiert; Manet hingegen musste draußen bleiben. Er hatte bereits 1859 versucht, seinen Absinthtrinker einzureichen – erfolglos. 1863 sorgte sein Frühstück im Grünen, ausgestellt im Salon des Réfusés (Salon der Abgelehnten) für einen Eklat. Stil und Inhalt des Gemälde Manets widersprachen dem Kanon und den Sehgewohnheiten der Pariser Kunstkenner. Zu ungehörig, zu flächig, zu anders. Mittlerweile entzücken sie distinguierte Bildungsbürger und Museumsbesucher der ganzen Welt.
Vor diesem Hintergrund entfalten die zahlreichen Analogien, Parabeln, Zitate und Andeutungen in Meurisses Comic ihren subtextuellen Charme. „Olympia in Love“ ist ein Kunstcomic, der sich von der didaktischen Herangehensweise anderer Vertreter seines Genres lossagt, um etwas Neues zu wagen. In unzähligen Variationen der Mise en abyme widmet sich Meurisse der Hochkultur und dem Boulevard und erinnert en passant daran, dass Kanon ist, woraus wir Kanon machen.
Dass diese Dynamiken auch den Streit um Comic und Graphic Novel bestimmen, ist nur einer der vielen Anknüpfungspunkte, den die Lektüre dieses überaus inspirierten Comics für die Diskurse unserer Tage liefert. Wohltuend albern, anders, lesenswert.
Catherine Meurisse : Olympia in Love. Eine Komödie in 50 Gemälden. Reprodukt, aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock, Handlettering von Olav Korth, 72 Seiten, 18 Euro
Marie Schröer
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