Manuele Fiors „d'Orsay-Variationen“: Schaufensterkrankheit
Comics reüssieren im Museum, nun kommen die Museen in die Comics. Ist das nur gut für die Museen, oder nutzt es auch den Comics?
Man mag es gar nicht sagen, aber der Titel der bis vor kurzem im Pariser Musée d'Orsay gezeigten und sich im Titel an Balzac anlehnenden Ausstellung über die künstlerische Darstellung der Prostitution „Splendeurs et misères“ könnte auch als Kommentar über Manuele Fiors aktueller deutscher Veröffentlichung „d'Orsay-Variationen“ stehen.
Denn, wie äußerte sich Balzac, „Jede Frau besitzt ihr Glück zwischen ihren Beinen“, und auf den Comic übertragen, könnte man daraus folgern, dass das Glück eines Comickünstlers demnach zwischen den von ihm kreierten Bildfolgen liegen müsse, also zwischen den Panels. Somit wäre Balzacs hinterfragbare Äußerung als Analogie zum dazwischen stattfindenden induktiven Prozess verwendbar, der fachterminologisch oft als „Blut im Rinnstein“ benannt wird.
Mangelnde Führungsqualitäten
Nun ist der Comic keine Frau, auch wenn es ihm innerhalb des Kanons der Künste oft schlechter als anderen Vertretern ergeht. Weswegen er sich zuweilen gern von populäreren Disziplinen vereinnahmen lässt, sei es nun mittels Okkupation durch den Film oder indem er sich verschämt als Steigbügelhalter beim vorteilhaften in Szene setzen von literarischen Werken andient.
Hier also leistet man Beistand im Auftrag von Museen, die ihrer Altehrwürdigkeit einen Spritzer Aufgeregtheit verleihen wollen. In seinem neuesten Werk jedenfalls fabuliert Manuele Fior über im Musée d'Orsay befindliche Bilder und den an ihnen Beteiligten.
Gleichberechtigt findet hier die Rezeption durch Besucher und Personal Eingang, derweil die Kunstwerke in Fiors Bildsprache überführt werden. Dies geschieht bei einem derartig versierten Multitalent auf erwartbar hohem Niveau und bringt recht ansehnliche Resultate hervor.
Allein, Vergleiche mit Fiors Opus Magnum „Die Übertragung“ enthüllen den ausstellenden und somit sachdienlichen Charakter der Auftragsarbeit. Einen wesentlichen Anteil daran trägt eine geradezu lähmende Statik, welche die Frage nach den im Verlauf der Handlung von Jean-Auguste-Dominique Ingres anempfohlenen Linien aufwirft, die aus Edgar Degas einst einen großen Künstler machen sollen.
Diese Aneinanderreihung von Kabinettstückchen und ähnlich gelagerten Anekdötchen aus dem Werdegang der im Musée d'Orsay ausgestellten Kunstschaffenden, welche in sich stimmig komponiert mit treffsicher abgewickelten Dialogen daherkommen und das dichterische Talent von Fior sukzessive aufblitzen, aber leider ohne erkennbaren Überbau wieder versanden lassen, werfen dann ebenso die Frage nach einer wie auch immer gearteten erzählerischen Linienführung außerhalb des von ihm absolvierten musealen Parcours auf.
Still und starr ruht der Blick
Weiterhin findet das zeitgeschichtlich umrissene Aufkommen des Impressionismus und das anhand der Gruppendynamik zwischen Edgar Degas, auf den sich Fior maßgeblich fokussiert, und seinen Mitausstellern wie Renoir oder Pissarro etablierte Spannungsfeld so gut wie keinen bildsprachlichen Widerhall – fast alles versackt in schwerer, von Erdtönen gesättigter Farbästhetik, und die Frage drängt sich auf, was Fior bloß in diese ehrerbietige Starre versetzt haben mag. Der Fluch der Hochkultur, möchte man meinen, wüsste es der Fior-Leser aus dessen anderen Arbeiten wie zum Beispiel der Literaturadaption „Fräulein Else“ nach Arthur Schnitzler nicht besser.
Das Blut im Rinnstein fließt hier also nur leidlich, was uns zu der durch Durchblutungsstörungen verursachten Schaufensterkrankheit führt, die den Betrachter nötigt, den ausstellenden Charakter der Bilder zu rezipieren, aber nicht ihren Fluss. Dieser aber macht letztlich den Comic erst zu dem, was er eigentlich ist. Die „d'Orsay-Variationen“ jedoch sind leider nur ein besserer Ausstellungskatalog und somit aus comicspezifischer Sicht mehr Elend als Glanz.
Manuele Fior: d'Orsay-Variationen, Avant-Verlag, 72 Seiten, 19,95 Euro.
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