Salzburger Festspiele: Kunst des Stotterns
Salzburger Festspiele: Ein Oratorium von Péter Eötvös mit Texten des verstorbenen Schriftstellers Péter Esterházy.
Den Auftrag der Salzburger Festspiele, ein Oratorium zu schreiben, zumal eines von stattlichen Ausmaßen, wollte Péter Eötvös nur dann annehmen, wenn ihm sein Freund Péter Esterházy den Text dazu liefern würde. „Es gab eine Humorebene zwischen uns, wie sie nur auf Ungarisch möglich ist“, erinnert der Komponist an seinen unlängst verstorbenen Textdichter, der, wie konnte es anders sein, viel zu viel Text geliefert hatte. Man zerrieb ihn gemeinsam zu Fragmenten, weil man bei denen niemals weiß, worüber man eigentlich redet. So bleibe das eigentliche Thema ausgespart, frohlockte Esterházy.
Von der Unmöglichkeit etwas zu prophezeien, handelt das einstündige „Halleluja – Oratorium balbulum“, das nun im Großen Festspielhaus mit den Wiener Philharmonikern unter Leitung von Daniel Harding seine Uraufführung erlebte. Es bietet einen recht schwatzhaften Narrator auf, mit trockener Süffisanz von Peter Simonischek auf die Musik gesprochen, dazu einen alkoholisierten Engel (Iris Vermillion) und einen stotternden Propheten (Topi Lehtipuu).
Den hat Esterházy dem Mönch Nottker Balbulus abgelauscht, einem frühen Musiker und Dichter, nach dessen Sprachgeschick das ganze Werk zu einem stotternden Oratorium wurde. Sollte der Prophet etwas sehen, wäre aus der Vorsehung, bis er es mitgeteilt hätte, schon Rückschau geworden.
Der Autor wird zum Propheten
Eine doppelte Versicherung gegen Wunder haben Eötvös und Esterházy da erdacht, dazu einen Chor, der immerzu nur „Halleluja“ singen kann, abgehörte Versionen durch die Jahrhunderte von Monteverdi bis Mussorgsky und eine, die Bartók so vielleicht hätte komponieren können. Es werden rhetorische Finten geschlagen, schmunzelnd theologische Diskurse umrundet, Lottozahlen mit Bach-Chorälen gekreuzt und Sentenzen geköchelt: „Die Fleischbrühe unserer Kultur ist ganz dünn geworden!“
Im letzten Teil des Oratoriums aber, der „Worüber schweigen wir?“ heißt, erreicht Esterházy unsere Angst. Weil uns nach den Weltkriegen und dem Ende des Kommunismus die Zukunft ausgegangen ist, brauchen wir Grenzen. „Wir ziehen überall Zäune, wir umzäunen sogar die Zäune. Innerhalb der Zäune sind wir, außerhalb … ja die … die sind wir nicht.“
Hier ist der Autor, der partout keinem Propheten Worte geben wollte, dann selbst zu einem geworden. Esterházys Text entstand bereits vor fünf Jahren. Jetzt müssen wir ohne ihn und seine wunderbar erfundene Geschichtsschreibung zusehen, wie Europa den Glauben an seine Zukunft zurückgewinnt.
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