Zum Tod von Péter Esterházy: Der Spottlustige
Friedenspreisträger, Meisterironiker, Ungar mit Leib und bitterer Seele: Ein Nachruf auf den großen europäischen Schriftstellers Péter Esterházy.
Was er nicht alles war. Ein Charmekünstler. Ein Wortquertreiber. Ein Zitatenwiederkäuer. Ein Ironiearistokrat. Ein subversiver Eulenspiegel. Ein selbstbewusst geschäftstüchtiger Showman. Und vor allem, mit größtem Stolz und zuletzt mit noch größerem Magengrimmen über den politischen Mehltau, mit dem Viktor Orbán seit Jahren sein Land überzieht: ein Ungar. Heiterkeit war bei alledem Péter Esterházys größte Waffe, und die deutsche Sprache, die er mit feinem österreichisch-ungarischen Akzent zelebrierte, seine geringste Schwäche. Das machte ihn auch hierzulande zum gefragten Gast auf literarischen Bühnen, wobei er so manchen unqualifiziert fragenden Moderator auch mit leisem Gift vorführte – und das Publikum kam in den Genuss eines hinterhältigen Vergnügens.
„Der Ernst ist keine Heimat für mich“, erklärte er in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Jahr 2004. „Das ist nicht der Ort, wo ich zu Hause bin, deshalb möchte ich weiterhin dem europäischen Unernst die Ehre erweisen.“ Doch was verstand er schon darunter, sich zu erklären? In den Knoten und postmodernen Meta-Knoten, die er knüpfte, kamen die paradoxen Bewegungen seines Denkens nur zeitweise zum Stillstand.
Dann konnte er, wie in der Frankfurter Paulskirche, auch einmal ohne doppelten Boden feststellen: „Die Sprache der Literatur ist nicht die der Verständigung, sondern die des Schöpferischen. Aus nichts etwas machen – das ist nichts für Gentlemen. Die Literatur ist nicht für Literaturpreise geschaffen. Die Literatur gehört nicht zur Rechtmäßigkeit, nicht zur Toleranz, sondern zur Leidenschaft und zur Liebe. Mit der Liebe wird man keine Gesellschaften bilden, dafür ist sie nicht zuverlässig genug. Die Literatur ist kein Botschafter des Friedens; sollte die Botschaft überhaupt jemandem gehören, dann der Freiheit. Die Freiheit aber will mal den Frieden, mal den Krieg.“ Das war für viele vielleicht schon wieder so verwirrend, dass sie nicht gleich merkten, welcher Grad von spöttischer Verachtung für jede Form der intellektuellen und politischen Dummheit mit dieser Lizenz zur Freiheit verbunden war.
Erfolgreiches Debüt mit dem "Produktionsroman"
Péter Graf Esterházy de Galántha, am 14. April 1950 in Budapest geboren, wuchs, nachdem die adlige Familie von den Kommunisten enteignet worden war, in der dörflichen Verbannung auf. Dem edlen Geschlecht seiner Vorfahren widmete Esterházy 2001 sein Opus magnum „Harmonia Caelestis“, das mit der „Verbesserten Ausgabe“ wenig später indes einen Nachtrag erforderte: Esterházy hatte entdeckt, dass sein Vater Mátyás über 20 Jahre als Stasi-Spitzel gearbeitet hatte.
Als junger Mann studierte er zunächst Mathematik, verdingte sich dann als EDV-Techniker, ergriff nach dem Erfolg seines schriftstellerischen Debüts, dem „Produktionsroman“ (1979), der sich mit dem absurden Dasein eines Rechentechnikers an einem mathematischen Institut beschäftigte, nie wieder einen bürgerlichen Beruf. Esterházy wurde bald auch einer der meistübersetzten zeitgenössischen Ungarn. Anders als Péter Nádas oder László Krasznahorkai, den beiden anderen Schriftstellern eines sonst heterogenen Triumvirats, das in Miklós Mészöly eine Vaterfigur sah, blieb er nach fulminanten Anfängen seinem Stil weitgehend treu. Der Remix von Peter Handkes Mutterbuch „Wunschloses Unglück“ in „Die Hilfsverben des Herzens“, die Prosa „Kleine ungarische Pornografie“, ein Brevier realsozialistischer Sauereien, oder die mitteleuropäische Fantasie „Donau abwärts“: Sie alle übten sich in einem patchworkhaften Erzählen, das sich größeren Zusammenhängen standhaft verweigerte und unweigerlich ein Produkt seiner Zeit ist. In der „Kleinen ungarischen Pornografie“ zerplatzt der Text in tausend Fragmente. Einschübe unterbrechen einmal angerissene Geschichten. Das eingeklammerte Wörtchen Selbstzensur kündet von freiwilligen oder nicht so freiwilligen Auslassungen. Und wenn es zuweilen heißt, „siehe Seite sowieso“, handelt es sich garantiert um einen Blindverweis. Das größte Wunder seiner Bücher war deshalb ihre eminente Lesbarkeit, ein Schreiben, das seinen eigenen Sound und Sog erzeugte.
Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Oktober
Die Ursprünge dieser Spiellust, die bis zu seinem erst im Frühjahr auf Deutsch erschienenen Roman „Die Markus-Version“ anhielt, stammten noch aus der Zeit des Kádárschen Gulaschkommunismus. Doch auch der Großschriftsteller ging noch souverän mit ihnen um. Die Prosafetzen und -flicken, mit denen er hantierte, dienten nicht zuletzt dazu, die Wunden, die ihm die Geschichte geschlagen hatte, zu umwickeln. Der Meister des trompe l’œil wusste nur zu genau, dass es ein Außerhalb der Sprache gibt, dass es sich aber nur gewinnen lässt, indem man tief in ihr Unterholz kriecht, dorthin, wo erst einmal überhaupt kein Baum geschweige denn ein Wald zu sehen ist.
Als er im vergangenen Oktober erfuhr, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war, entschied er sich zwar für eine Chemotherapie, reagierte aber auch literarisch. Hauptfigur seines jüngsten, bisher nur in Ungarn erschienenen Buches „A Bünös“ (Der Schuldige) ist ein Märchenheld namens „Bauchspeichelchen“. Esterházy zeichnet ihn als „lebenslustigen, frechen Kerl“, als einen, der unaufhörlich „Frauen nachstellt wie der Fuchs den Hühnern, und den Männern auch.“ Die Einbildungskraft hat ihn diesmal nicht gerettet: Am gestrigen Donnerstag ist Péter Esterházy mit 66 Jahren in Budapest gestorben.
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