Musikfest Berlin: Furorkultur
Peter Eötvös dirigiert bei den Philharmonikern sein 2. Violinkonzert, Patricia Kopatchinskaja spielt es. Eine Sternstunde des Musikfests
„Do-Re-Mi“ heißt das 2. Violinkonzert von Peter Eötvös. So fängt es auch an, mit den ersten drei Tönen der Tonleiter. Die Berliner Philharmoniker errichten unter Leitung des ungarischen Komponisten ein ganzes Universum darauf – aber was für eins. Das Violinkonzert von 2013, das seinen Namen auch der japanischen Uraufführungs-Geigerin Midori verdankt, ist eine einzige große, bestürzende Vergeblichkeit. Denn Do, Re, Mi – also C, D, und E – werden einander gleich wieder fremd, die Töne verzerren, verwischen, zerfasern, türmen sich hoch, löschen sich aus. Restmelodien nach Art von Tom & Jerry: Kaum hat einer sie plattgetreten, schnurren sie wieder zusammen, rennen atemlos weiter, umsonst.
„Während ein Kind daran interessiert ist zu formen, bin ich daran interessiert zu deformieren“, sagt Eötvös, der im Januar 70 wurde – der Musikfest-Abend ist ihm zum runden Geburtstag gewidmet. Jazz, Folk, Symphonik, Ungarisches, Fernöstliches: Wer könnte Midori bei diesen filigran-eklektischen Metamorphosen besser beerben als die Extremgeigerin Patricia Kopatchinskaja, die das Konzert ebenfalls schon öfter mit Eötvös aufgeführt hat? Hier das Temperament, der Furor, die Unbedingtheit der 37-jährigen Moldawierin, dort die ausgefeilte Klangkultur des Orchesters – und beide sind Meister des Dialogischen.
Wunderbar, dass sie nun mit Eötvös ihr Debüt bei den Philharmonikern gibt (und am Samstag zudem die „Late Night“ des Musikfests bestritt). Kopatchinskajas Geige lockt und tobt, flüstert und kreischt, ihre Kunst des jähen Umschlags von Wildheit in Zärtlichkeit und vice versa sucht ihresgleichen. Fast unanständig, wie sie in der Schlusskadenz des dreiteiligen Werks die Solo-Bratsche in ein intimes Zwiegespräch lockt. Musik ist bei Kopatchinskaja ohne Erotik nicht denkbar.
Wolfgang Rihms Raumkomposition „In-Schrift 2“ (2013) – sein Auftragswerk für das Geburtstagskonzert zum 50. der Philharmonie – wirkt monochrom dagegen, fast abweisend. Trotz der im Saal verteilten Klarinettisten und deren Sekundreibungen mit 3-D-Klangeffekt. Und Schönbergs ebenso dunkel grundierte Orchesterbearbeitung von Brahms’ g-Moll- Klavierquartett op. 25 bleibt schwerfällig unter Eötvös’ Leitung. Derart breit ausgepinselt, gehen selbst im „Rondo alla zingarese“ die Bizarrerien des Kammermusikwerks verloren. Umso betörender Eötvös’ eigenes Stück.