Simon McBurney an der Schaubühne: Kühler Rausch, heiße Rede
Magie und Technik: Regiestar Simon McBurney inszeniert in Berlin die „Ungeduld des Herzens“ nach Stefan Zweig.
In Woody Allens Liebesmärchen „Magic in the Moonlight“ spielt Simon McBurney einen Illusionisten, der einen alten Freund und Kollegen verzaubert. In einer Villa an der Cote d’Azur zieht er ein raffiniert gesponnenes Liebeskomplott auf, erteilt eine Lektion, die das Leben einiger Menschen ändert, und genießt sein Kunstwerk mit maliziösem Vergnügen. Happy End mit hohem Risiko.
So ist es auch, wenn Simon McBurney Theater macht. Der 58-jährige Schauspieler und Regisseur, Mitbegründer des Londoner Theatre de Complicité, entfaltet magische Kräfte – und er zeigt, wie das handwerklich funktioniert. Illusion und Transparenz. Gastspiele in Berlin hat es gegeben, aber er hat hier noch nie ein Stück inszeniert. Darauf kann die Schaubühne jetzt stolz sein. Simon McBurney blättert am Lehniner Platz die „Ungeduld des Herzens“ auf, Stefan Zweigs einzigem Roman. Er schrieb ihn 1938 im Exil. 1942 nahm er sich in Brasilien das Leben.
McBurney nähert sich dem Schlachtfeld des 20. Jahrhunderts
Bald fünfzehn Jahre ist es her, dass McBurney bei den Berliner Festspielen seine Schostakowitsch-Produktion präsentierte. In einem Interview sagte er damals, und das gilt ebenso für Stefan Zweig und die Literatur, diese Musik sei wie ein Gebet über Raum und Zeit hinweg: „Schostakowitschs 15. Streichquartett legt Zeugnis ab von der Dunkelheit im Leben des Komponisten. Diese Musik überquert das Schlachtfeld, das der Historiker Eric Hobsbawm als das Jahrhundert der Extreme, das kurze 20. Jahrhundert bezeichnet hat. Diese Musik hört auf die Echos der Schreie von Triumph und Angst. Und trotz all der Dunkelheit kommt daraus auf seltsame Weise ein Frieden.“
Nicht lange vor dem Zweiten Weltkrieg entsteht ein Roman, der am Vorabend des Ersten Weltkriegs ein Drama entfaltet: ein paar Wochen nur, unglaublich verdichtet, kaum zu ertragen in seiner Intensität der Gefühle oder auch Hysterie. Ein junger Leutnant in einem K.-u.-k.-Provinznest, eine sehr reiche und an den Beinen gelähmte junge Frau, ein Mädchen noch, ihr alter Vater, Witwer, Gutsbesitzer, Fabrikant mit schattiger Vorgeschichte. 450 Seiten von starker szenischer Ausprägung, etliche (Theater-)Monologe sind darin enthalten. In einer Welt der Barbarei, der Naziverbrechen, der Vertreibung und angesichts neuer Kriegsgefahr dreht sich das Karussell des Liebesirrsinns darum, ob es überhaupt Liebe ist. Oder doch nur Mitleid.
So viele schlechte Romanadaptionen, aber Simon McBurney kann es
Der Fluch der guten Tat: Der Leutnant läuft nicht weg vor der Gelähmten, lässt sich hineinillusionieren in das reiche Haus und in die Gefühlswelt der jungen Dame, er kennt die Welt nicht und auch nicht sich selbst, wird drangsaliert von den Kameraden in der Garnison, erlebt Neid, Spott, Sadismus. Dazu der Ehrenkodex, schlimme Einsamkeit und die rasende Verliebtheit einer Verzweifelten – das geht nicht gut, mischt sich fatal wie in einem Vollrausch zu vieler zu unterschiedlicher Getränke.
McBurney baut diese Welt der Höflichkeiten und Depeschen als Sprachlabor auf. Auf der Bühne, entworfen von Anna Fleischle, stehen Tische, Mikrofone, ein Klavier und eine Vitrine, in der sich, wie man bald erfährt, die Uniform des im Sommer 1914 in Sarajewo erschossenen österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand befinden soll. Ein Trick, ein Requisit, eine Projektionsfläche; der fahrbare Glaskasten ist das Kino des Kriegs, des Jahrhunderts. Und es kann sich ausweiten auf die große Hinterwand. Ein paar Sätze nur und große Wirkung. Volle Entfaltung der literarischen Qualität des Buchs, seiner Musikalität. Wie viele Romanadaptionen hat man in den letzten Jahren auf den Bühnen gesehen, an der Schaubühne, überall! Wie viele flache Abende waren das, Etikettenschwindel!
Die Welt von gestern im Heute
Simon McBurney kann es. Er hat Erzählungen von John Berger, Haruki Murakami, Bruno Schulz transformiert. Wenn man nicht seine Musikalität, sein Formgefühl hat, soll man es lassen mit dem Literaturrecycling im Theater. Die Performance der „Ungeduld des Herzens“ wirkt nicht gleich, aber dann lange. Ob er keine Augen im Herz habe, wird der Leutnant einmal gefragt im Roman. So kann man das sagen: Dieses Theater hat Augen im Herz. Ihm geht vielleicht die große Sinnlichkeit ab, aber es besticht durch Intelligenz. Emotionale Intelligenz.
Zu Beginn stellt der Schauspieler Robert Beyer seine Mitspieler vor. Eine Lockerungsübung, bevor es in die Details geht und aufs große Ganze: Mit Marie Burchard, Johannes Flaschberger, Christoph Gawenda, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg und Eva Meckbach verbringt man die kommenden zwei Stunden und fünfzehn Minuten ohne Pause in einem Wirbel. Mit Stefan Zweigs Worten: „Eine andere, eine bessere Betäubung erwartete mich, eine feinere, reinere Trunkenheit, als ich sie im groben Fusel gesucht.“
Am Schluss von "Ungeduld des Herzens" erfindet McBurney etwas Irres
Obwohl der Abend nüchtern daherkommt. Doch das Hörspiel verwandelt sich wundersam in ein eben feineres Spektakel. Die Akteure lesen, sprechen sich ins Spiel. Es gibt Rollenzuweisungen, die lösen sich im Ostinato der Begegnungen und Offenbarungen auf. Sie werden Stimmen im Kopf des Erzählers, und die Stimmen formen Körper, Gesichter, Innenräume, Landschaften, Soundflächen, Große Kammermusik: Wie McBurney mit seiner Technikcrew Klänge und Geräusche einsetzt, verwebt, plastisch werden lässt, wie bewegte Bilder sich dazu- und darüberlegen, ist großartig. Diese Herzoperation ist hoch konzentriert, kondensiert, technisch kompliziert.
Wenn man an den Kern der Geschichte geht: Operation gelungen, Patientin tot. Die „Ungeduld des Herzens“ lässt sich als dichterisches Experiment lesen: Wie viel Leid ist in Mitleid, und wie viel Liebe? Wie viel Entfernung aus schrecklicher Gegenwart, Flucht und Asyl, ist nötig und möglich – da kam ein Stefan Zweig nicht weit. Landete im Ersten Weltkrieg, der auf den letzten Seiten des Romans begonnen hat. Ein lebenswichtiges Telegramm kommt nicht an, weil der Generalstab sämtliche telegrafischen Leitungen belegt nach dem Attentat von Sarajewo.
Man liest mit den Schauspielern ein Buch, man sieht ein Stück vom 20. Jahrhundert, im Sinne des Historikers Hobsbawm. Kurz und brutal, jede Vorstellungskraft übersteigend. Dafür erfindet Simon McBurney etwas Irres am Schluss. Die Vitrine läuft über mit Blut. Die lebendig gewordenen Museumsstücke sterben. In Sekundenbruchteilen, schon bald zu schnell fürs Auge, blitzt, flackert, jagt das Jahrhundert der Weltkriege mit ikonischen Bildern vorüber, in Videogewittern. Der visuelle Höllenritt bleibt stehen, wahnsinnig kurz, bei einem Foto, das, wenn nicht alles täuscht, ein überfülltes Schiff mit Flüchtlingen zeigt. Das ist nicht die Welt von gestern.
Wieder am 25. Dezember und vom 14. bis 17. Januar.
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